„Die Wahl war ein heftiges Gewitter“
So interpretieren Menschen auf der Ostalb das Ergebnis vom Sonntag.
Die Hochburgen der AfD im Ostalbkreis
AALEN - Die Bundestagswahl 2017 ist gelaufen, nun müssen die Parteien schauen, wie sie mit dem – für die einen enttäuschenden, für die anderen vielleicht euphorisierenden – Ergebnis umgehen und zurecht kommen. Und wie bewerten Menschen auf der Ostalb das Ergebnis vom Sonntag? Wir haben Vertreter aus Politik, Parteien, Kultur, der Wirtschaft, dem Sport und von der Gewerkschaftsseite danach gefragt.
Über das Wahlergebnis der AfD ist Roland Hamm, Erster Bevollmächtigter der IG Metall, tief betroffen. „Und die Erstreaktionen von Gauland und Kameraden lassen deutlich erkennen, mit welchen bösartigen Stellungnahmen wir die nächsten vier Jahre zu leben haben.“Jetzt komme es darauf an, dass die Gesellschaft nicht noch mehr gespalten wird und „wir über eine konsequente Politik für mehr soziale Gerechtigkeit den Nährboden der AfD wieder austrocknen“. Insofern hofft Hamm, dass die SPD in einer möglichen Oppositionsrolle die Kraft entwickelt, sich auf alte sozialdemokratische Werte zu besinnen, um dann mit den Linken und allen anderen demokratischen Parteien den Spuk der AfD in vier Jahren zu beenden. Ob eine mögliche Jamaika-Koalition die Herausforderungen der Zukunft mit Blick auf Arbeitnehmerrechte lösen wird, sieht Hamm skeptisch.
Die Wahl war ein heftiges Gewitter, aber das beruhigt sich auch wieder“, sagt Landrat
Klaus Pavel. Zum einen gebe es eine größere Parteienvielfalt, mit der umzugehen man lernen müsse, zum andern sei die Zeit der Stammwähler vermutlich vorbei. Mit Blick auf das starke Abschneiden der AfD meint Pavel, die Politik müsse offenbar wieder lernen, sich mehr um die Alltagssorgen und die Zukunftsängste der Menschen zu kümmern. „Was die Menschen in einem Kreis, in einer Stadt wirklich sorgt, hat im Bundestagswahlkampf doch kaum jemand erkannt“, meint er. Hinzu komme, „dass wir so kompliziert geworden sind, dass wir Jahrzehnte brauchen, um ein Problem zu lösen – und dann versuchen wir es 150-prozentig“. Aus Ostalb-Sicht kann Pavel dem Wahlergebnis aber auch Positives abgewinnen: Fünf Abgeordnete künftig in Berlin, das sei doch nur zu begrüßen.
Ich finde es gut, dass die SPD in die Opposition geht, sonst bekommt sie nie mehr einen Fuß auf den Boden“, sagt Heidi Schroedter, ehemalige Aalener Stadträtin und ein Urgestein der Sozialdemokraten in der Kreisstadt. So könne die Partei ohne Rücksicht auf Kompromisse eine eigene Politik verfolgen und in vier Jahren, dann höchst wahrscheinlich ohne Merkel, aus der Opposition heraus einen Neuanfang machen. Und „wer soll denn jetzt außer der SPD eine richtige Opposition machen – die AfD etwa?“, fragt sich Schroedter. Deren so starkes Abschneiden sie regelrecht erschüttert habe. „Da wird mir ein bisschen Angst und Bange.“Im Wahlkreis Aalen-Heidenheim sieht Schroedter die SPD mit deren Landesvorsitzenden Leni Breymaier als neuer Abgeordneten gut aufgestellt.
Wirtschaft braucht Frieden“, das sei schon zur Landtagswahl 2016 das Votum des regionalen Parlaments der Wirtschaft in Ostwürttemberg gewesen, und das gelte auch nun uneingeschränkt, sagt die Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer, Michaela Eberle. Sie wünsche sich von einer neuen Bundesregierung weiterhin eine besonnene und werteorientierte, aber starke Wirtschaftspolitik im In- und Ausland, eine weltoffene Wirtschaftspolitik und eine, die gleichermaßen dann Gesellschaftspolitik bedeute, wenn sie den Grundsatz des ehrbaren Kaufmanns ebenso lebe wie es die Wirtschaft in Ostwürttemberg tue. „Das heißt auch, der Zusammenhalt der EU darf nicht gefährdet werden und wir brauchen die Politik als Vermittler für die gesellschaftliche Akzeptanz“, so Eberle.
Jürgen Wasella, Leiter der VHS, ist über das Abschneiden der AfD entsetzt. Eine solche rechtsradikale Partei widerspreche ganz klar dem Leitbild, das die VHS vertrete und das sich durch Toleranz, Integration und Wertschätzung von Minderheiten auszeichne. „Deshalb haben wir bislang auch immer die Position vertreten, Anhänger dieser rassistischen Partei nicht zu Veranstaltungen einzuladen. Und das werden wir auch künftig
so handhaben, sofern das die rechtlichen Rahmenbedingungen erlauben und wir durch unsere Politik der Nichtbeachtung der Partei nicht gegen geltendes Recht verstoßen.“Auch als Privatperson ist Wasella über das Ergebnis, das die AfD erzielt hat, betroffen. Er, der mit seiner aus Ägypten stammenden Frau in einer bikulturellen Ehe lebe, habe Angst um die Zukunft seiner beiden Kinder. „Denn diese ist von einer solch rechtsradikalen Partei bedroht.“
Die 12,6 Prozent, die die AfD erzielt hat, erschrecken mich“, sagt der Vorsitzende des Sportkreises Ostalb, Manfred
Pawlita. Dennoch gewinnt er dem Negativen auch etwas Positives ab. Einige ganz Rechte werden für die AfD aus Baden-Württemberg in den Bundestag einziehen. Und dann bestehe die Möglichkeit, diese zu stellen und die AfD zu entlarven. Denn außer Schimpfen und Kritisieren habe diese keine konstruktiven Lösungen für Probleme anzubieten. „Ich finde es auch schade, dass so viele Nichtwähler, CDU-Wähler und auch SPD-Wähler die AfD unterstützt haben.“Roderich Kiesewetter und Norbert Barthle könnten allerdings mit ihrem Ergebnis zufrieden sein. „Immerhin haben sie bei den Erststimmen mehr erreicht als ihre Partei bei den Zweitstimmen.“Die Koalitionsverhandlungen würden sicherlich nicht einfach. Pawlita hofft, dass schnellstmöglich eine handlungsfähige Regierung weiterarbeiten kann.
Dzuversichtlich. Die Stimmung in der eigenen Partei bewege sich irgendwo zwischen „OK“und „Katerstimmung“. Denn die CDU habe zwar nach wie vor als stärkste Partei das Mandat zur Regierungsbildung. Aber: „Die Stimmenverluste tun weh“, bekennt Schäfer. Der CDUMann kann es verstehen, dass die SPD angekündigt hat, die Regierungsbeteiligung aufzugeben. Denn die SPD könne es nicht der AfD überlassen, stärkste Oppositionspartei zu sein. Im Hinblick auf die AfD sagte er, dass man akzeptieren müsse, dass sie jetzt zur deutschen Parteienlandschaft dazugehöre. Ihre Wahlerfolge, gerade auch in Ellwangen am Goldrain, nötigen ihm „Respekt“ab, wobei deutliches Unbehagen mitschwingt. Er rechnet damit, dass Gespräche mit gemäßigten AfD-Mitgliedern möglich seien. Aber: „Ich bin vorsichtig.“
Die Zusammenarbeit wird konstruktiv“, sagt der Vorsitzende des Ellwanger CDUOrtsverbands, as Ergebnis ist nicht erquicklich“, sagt André Zwick, der Kreisvorsitzende der SPD. Deshalb sei es auch „insgesamt richtig“, dass die SPD den Gang in die Opposition angekündigt habe. „Alles andere wäre unverständlich.“Bezogen auf das Ergebnis in Baden-Württemberg kann Zwick allerdings auch einige Lichtblicke für die SPD entdecken. So erreichten die Sozialdemokraten im Wahlkreis 270 das zweitbeste Zweistimmenergebnis in Baden-Württemberg. „Das ist mehr als solide“, erklärt Zwick. Für die Zukunft sagte Zwick, müsse die SPD „jünger, zuversichtlicher, mutiger und weiblicher“werden.
Berthold Weiß von den Bündnisgrünen freut sich. Erstmals seit Bestehen der grünen Partei entsende der Wahlkreis Aalen/ Heidenheim eine Abgeordnete in den Bundestag. „Das ist eine supergute Geschichte“, sagt er. Im Ergebnis hätten die Grünen deutlich besser abgeschnitten, als es vor der Wahl prognostiziert worden sei. Das Resultat lasse überdies klar erkennen: „Der Wähler will keine großen Koalitionen mehr.“Eine Koalition mit CDU/CSU und FDP sei jedoch eine „haarige Sache“, denn es gehe nicht um SchwarzGelb-Grün, sondern um SchwarzSchwarz-Gelb-Grün: Die CDU und die CSU seien zwei ganz unterschiedliche Dinge. Eine Regierungsbeteiligung hänge davon ab, ob in einer künftigen Koalition grüne Kerninhalte umgesetzt werden könnten. Der Grünen-Kreisvorsitzende sieht durchaus Berührungspunkte mit der FDP, etwa beim Thema Bürgerrechte und bei der Einwanderungspolitik, mahnt aber auch zur Vorsicht. In der Theorie sei die FDP ein liberaler Partner, in der Praxis jedoch einseitig wirtschaftsliberal ausgerichtet gewesen. Weiß ist aber guten Mutes, dass die Grünen im Fall einer Regierungsbeteiligung von Kanzlerin Merkel nicht zerrieben werden, wie das bei der FDP und zweimal bei den Sozialdemokraten der Fall gewesen sei.