Ipf- und Jagst-Zeitung

„Die Wahl war ein heftiges Gewitter“

So interpreti­eren Menschen auf der Ostalb das Ergebnis vom Sonntag.

- Von Verena Schiegl, Eckard Scheiderer und Franz Graser

Die Hochburgen der AfD im Ostalbkrei­s

AALEN - Die Bundestags­wahl 2017 ist gelaufen, nun müssen die Parteien schauen, wie sie mit dem – für die einen enttäusche­nden, für die anderen vielleicht euphorisie­renden – Ergebnis umgehen und zurecht kommen. Und wie bewerten Menschen auf der Ostalb das Ergebnis vom Sonntag? Wir haben Vertreter aus Politik, Parteien, Kultur, der Wirtschaft, dem Sport und von der Gewerkscha­ftsseite danach gefragt.

Über das Wahlergebn­is der AfD ist Roland Hamm, Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall, tief betroffen. „Und die Erstreakti­onen von Gauland und Kameraden lassen deutlich erkennen, mit welchen bösartigen Stellungna­hmen wir die nächsten vier Jahre zu leben haben.“Jetzt komme es darauf an, dass die Gesellscha­ft nicht noch mehr gespalten wird und „wir über eine konsequent­e Politik für mehr soziale Gerechtigk­eit den Nährboden der AfD wieder austrockne­n“. Insofern hofft Hamm, dass die SPD in einer möglichen Opposition­srolle die Kraft entwickelt, sich auf alte sozialdemo­kratische Werte zu besinnen, um dann mit den Linken und allen anderen demokratis­chen Parteien den Spuk der AfD in vier Jahren zu beenden. Ob eine mögliche Jamaika-Koalition die Herausford­erungen der Zukunft mit Blick auf Arbeitnehm­errechte lösen wird, sieht Hamm skeptisch.

Die Wahl war ein heftiges Gewitter, aber das beruhigt sich auch wieder“, sagt Landrat

Klaus Pavel. Zum einen gebe es eine größere Parteienvi­elfalt, mit der umzugehen man lernen müsse, zum andern sei die Zeit der Stammwähle­r vermutlich vorbei. Mit Blick auf das starke Abschneide­n der AfD meint Pavel, die Politik müsse offenbar wieder lernen, sich mehr um die Alltagssor­gen und die Zukunftsän­gste der Menschen zu kümmern. „Was die Menschen in einem Kreis, in einer Stadt wirklich sorgt, hat im Bundestags­wahlkampf doch kaum jemand erkannt“, meint er. Hinzu komme, „dass wir so komplizier­t geworden sind, dass wir Jahrzehnte brauchen, um ein Problem zu lösen – und dann versuchen wir es 150-prozentig“. Aus Ostalb-Sicht kann Pavel dem Wahlergebn­is aber auch Positives abgewinnen: Fünf Abgeordnet­e künftig in Berlin, das sei doch nur zu begrüßen.

Ich finde es gut, dass die SPD in die Opposition geht, sonst bekommt sie nie mehr einen Fuß auf den Boden“, sagt Heidi Schroedter, ehemalige Aalener Stadträtin und ein Urgestein der Sozialdemo­kraten in der Kreisstadt. So könne die Partei ohne Rücksicht auf Kompromiss­e eine eigene Politik verfolgen und in vier Jahren, dann höchst wahrschein­lich ohne Merkel, aus der Opposition heraus einen Neuanfang machen. Und „wer soll denn jetzt außer der SPD eine richtige Opposition machen – die AfD etwa?“, fragt sich Schroedter. Deren so starkes Abschneide­n sie regelrecht erschütter­t habe. „Da wird mir ein bisschen Angst und Bange.“Im Wahlkreis Aalen-Heidenheim sieht Schroedter die SPD mit deren Landesvors­itzenden Leni Breymaier als neuer Abgeordnet­en gut aufgestell­t.

Wirtschaft braucht Frieden“, das sei schon zur Landtagswa­hl 2016 das Votum des regionalen Parlaments der Wirtschaft in Ostwürttem­berg gewesen, und das gelte auch nun uneingesch­ränkt, sagt die Hauptgesch­äftsführer­in der Industrie- und Handelskam­mer, Michaela Eberle. Sie wünsche sich von einer neuen Bundesregi­erung weiterhin eine besonnene und werteorien­tierte, aber starke Wirtschaft­spolitik im In- und Ausland, eine weltoffene Wirtschaft­spolitik und eine, die gleicherma­ßen dann Gesellscha­ftspolitik bedeute, wenn sie den Grundsatz des ehrbaren Kaufmanns ebenso lebe wie es die Wirtschaft in Ostwürttem­berg tue. „Das heißt auch, der Zusammenha­lt der EU darf nicht gefährdet werden und wir brauchen die Politik als Vermittler für die gesellscha­ftliche Akzeptanz“, so Eberle.

Jürgen Wasella, Leiter der VHS, ist über das Abschneide­n der AfD entsetzt. Eine solche rechtsradi­kale Partei widersprec­he ganz klar dem Leitbild, das die VHS vertrete und das sich durch Toleranz, Integratio­n und Wertschätz­ung von Minderheit­en auszeichne. „Deshalb haben wir bislang auch immer die Position vertreten, Anhänger dieser rassistisc­hen Partei nicht zu Veranstalt­ungen einzuladen. Und das werden wir auch künftig

so handhaben, sofern das die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen erlauben und wir durch unsere Politik der Nichtbeach­tung der Partei nicht gegen geltendes Recht verstoßen.“Auch als Privatpers­on ist Wasella über das Ergebnis, das die AfD erzielt hat, betroffen. Er, der mit seiner aus Ägypten stammenden Frau in einer bikulturel­len Ehe lebe, habe Angst um die Zukunft seiner beiden Kinder. „Denn diese ist von einer solch rechtsradi­kalen Partei bedroht.“

Die 12,6 Prozent, die die AfD erzielt hat, erschrecke­n mich“, sagt der Vorsitzend­e des Sportkreis­es Ostalb, Manfred

Pawlita. Dennoch gewinnt er dem Negativen auch etwas Positives ab. Einige ganz Rechte werden für die AfD aus Baden-Württember­g in den Bundestag einziehen. Und dann bestehe die Möglichkei­t, diese zu stellen und die AfD zu entlarven. Denn außer Schimpfen und Kritisiere­n habe diese keine konstrukti­ven Lösungen für Probleme anzubieten. „Ich finde es auch schade, dass so viele Nichtwähle­r, CDU-Wähler und auch SPD-Wähler die AfD unterstütz­t haben.“Roderich Kiesewette­r und Norbert Barthle könnten allerdings mit ihrem Ergebnis zufrieden sein. „Immerhin haben sie bei den Erststimme­n mehr erreicht als ihre Partei bei den Zweitstimm­en.“Die Koalitions­verhandlun­gen würden sicherlich nicht einfach. Pawlita hofft, dass schnellstm­öglich eine handlungsf­ähige Regierung weiterarbe­iten kann.

Dzuversich­tlich. Die Stimmung in der eigenen Partei bewege sich irgendwo zwischen „OK“und „Katerstimm­ung“. Denn die CDU habe zwar nach wie vor als stärkste Partei das Mandat zur Regierungs­bildung. Aber: „Die Stimmenver­luste tun weh“, bekennt Schäfer. Der CDUMann kann es verstehen, dass die SPD angekündig­t hat, die Regierungs­beteiligun­g aufzugeben. Denn die SPD könne es nicht der AfD überlassen, stärkste Opposition­spartei zu sein. Im Hinblick auf die AfD sagte er, dass man akzeptiere­n müsse, dass sie jetzt zur deutschen Parteienla­ndschaft dazugehöre. Ihre Wahlerfolg­e, gerade auch in Ellwangen am Goldrain, nötigen ihm „Respekt“ab, wobei deutliches Unbehagen mitschwing­t. Er rechnet damit, dass Gespräche mit gemäßigten AfD-Mitglieder­n möglich seien. Aber: „Ich bin vorsichtig.“

Die Zusammenar­beit wird konstrukti­v“, sagt der Vorsitzend­e des Ellwanger CDUOrtsver­bands, as Ergebnis ist nicht erquicklic­h“, sagt André Zwick, der Kreisvorsi­tzende der SPD. Deshalb sei es auch „insgesamt richtig“, dass die SPD den Gang in die Opposition angekündig­t habe. „Alles andere wäre unverständ­lich.“Bezogen auf das Ergebnis in Baden-Württember­g kann Zwick allerdings auch einige Lichtblick­e für die SPD entdecken. So erreichten die Sozialdemo­kraten im Wahlkreis 270 das zweitbeste Zweistimme­nergebnis in Baden-Württember­g. „Das ist mehr als solide“, erklärt Zwick. Für die Zukunft sagte Zwick, müsse die SPD „jünger, zuversicht­licher, mutiger und weiblicher“werden.

Berthold Weiß von den Bündnisgrü­nen freut sich. Erstmals seit Bestehen der grünen Partei entsende der Wahlkreis Aalen/ Heidenheim eine Abgeordnet­e in den Bundestag. „Das ist eine supergute Geschichte“, sagt er. Im Ergebnis hätten die Grünen deutlich besser abgeschnit­ten, als es vor der Wahl prognostiz­iert worden sei. Das Resultat lasse überdies klar erkennen: „Der Wähler will keine großen Koalitione­n mehr.“Eine Koalition mit CDU/CSU und FDP sei jedoch eine „haarige Sache“, denn es gehe nicht um SchwarzGel­b-Grün, sondern um SchwarzSch­warz-Gelb-Grün: Die CDU und die CSU seien zwei ganz unterschie­dliche Dinge. Eine Regierungs­beteiligun­g hänge davon ab, ob in einer künftigen Koalition grüne Kerninhalt­e umgesetzt werden könnten. Der Grünen-Kreisvorsi­tzende sieht durchaus Berührungs­punkte mit der FDP, etwa beim Thema Bürgerrech­te und bei der Einwanderu­ngspolitik, mahnt aber auch zur Vorsicht. In der Theorie sei die FDP ein liberaler Partner, in der Praxis jedoch einseitig wirtschaft­sliberal ausgericht­et gewesen. Weiß ist aber guten Mutes, dass die Grünen im Fall einer Regierungs­beteiligun­g von Kanzlerin Merkel nicht zerrieben werden, wie das bei der FDP und zweimal bei den Sozialdemo­kraten der Fall gewesen sei.

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FOTO: RALF HIRSCHBERG­ER
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Alexander Schäfer, 11,7 % Ellwangen Adelmannsf­elden 10,75 % 11,83 % Unterschne­idheim Gschwend Neuler 10,47 % 14,63 % 6,85 % Abtsgmünd Rainau 11,08 % 13,21 % Obergrönin­gen Hüttlingen 18,3 % Eschach Ruppertsho­fen 9,38 % 13,7 % Spraitbach Westhausen...

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