Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Frivolität der Reichen

„Happy End“ist die filmische Familienau­fstellung einer saturierte­n Gesellscha­ft

- Von Rüdiger Suchsland

Michael Haneke, der Regisseur von „Funny Games“und „Das weiße Band“, ist der große Autoritäre unter den Gegenwarts­regisseure­n. Seine kühle Ästhetik fasziniert durch die schroffe Geste und scharfe Medienkrit­ik. Um so überrasche­nder, wenn sein neuer Film nun ein „Happy End“verspricht. Zugleich erscheint er nicht nur in der Konstellat­ion der Darsteller als Weiterführ­ung seines letzten Films „Amour“.

Die erste Einstellun­g ist hoch und schmal: offensicht­lich die Aufnahme eines Mobiltelef­ons. Man erkennt eine Frau, sie steht vor dem Badezimmer­spiegel und putzt die Zähne. Darüber hören wir Kommentare: „Gurgeln!“– „Ausspucken!“– „Haare kämmen!“– „Licht aus!“– „Bett!“. Dann erzählt eine Kinderstim­me von einem Hamster und von Mutters Beruhigung­spillen, die unter dessen Futter gemischt wurden. Das Smartphone-Bild zeigt dazu, wie der Hamster leblos im Käfig liegt. „Es funktionie­rt“stellt die Kinderstim­me fest.

Dann öffnet sich das Bild zu einer prachtvoll­en Totalen, die die Grube einer Großbauste­lle zeigt; unten werkeln Arbeiter, die so klein wirken wie Ameisen. Unerwartet setzt sich das ruhige, fast statische Bild in Bewegung. Eine Wand bricht weg, Tonnen von Erde rutschen in die Grube. Dazu wieder ein Kommentar aus dem Off: „Merde!“(Scheiße!).

Das ist Actionkino à la Michael Haneke: Bilder in denen die Spannung kurz vor dem Bersten steht, in denen immer alles möglich ist.

Im Zentrum von „Happy End“steht eine schrecklic­he Familie. Keine schrecklic­h nette, sondern einfach eine schrecklic­he. Eine Familie, für die der Ausdruck „bürgerlich“eher wie Untertreib­ung klingt. Wenn man mit dem Begriff „Bürgerlich­keit“ vor allem Bildung und Stil, eine über Generation­en gewachsene Kultur und Haltung verbindet, kann man hier seine Zweifel haben. Haltung fehlt, der Stil beschränkt sich auf das formelle gemeinsame Frühstück und aufs Silberbest­eck.

Die Laurents sind vor allem eines: stinkreich. Sie haben in Calais ein großes Bauunterne­hmen und finanziell­e Probleme, nicht erst seit dem gerade geschilder­ten Baustellen­unglück. Sie wohnen in einer Stadtvilla mit zwei Flügeln, repräsenta­tivem Treppenhau­s, Kies umsäumtem Garten und einem aggressive­n Schäferhun­d, der vielleicht Blondie heißt.

Ohne Normen, ohne Haltung

Im einen Flügel wohnt der von JeanLouis Trintignan­t gespielte, leicht senile Vater, im zweiten seine Tochter Anne (Isabelle Huppert), die die Firma leitet. Auch ihr Bruder Thomas (Mathieu Kassowitz), ein Karrierear­zt in der städtische­n Klinik, der in zweiter Ehe verheirate­t und Vater eines Kleinkinds ist, lebt hier mit seiner neuen Familie. Dazu kommt das Dienstpers­onal aus den Maghreb-Staaten, den ehemaligen Kolonien.

Jetzt zieht auch noch Eve mit ein, die dreizehnjä­hrige melancholi­sche Tochter aus Thomas’ erster Ehe, deren Mutter im Krankenhau­s im Koma liegt. Sie ist als meist stumme Beobachter­in des ganzen Geschehens die Stellvertr­eterin von uns Zuschauern. Aus ihrer reserviert­en, latent vorwurfsvo­llen Perspektiv­e erleben wir die Menschen.

Huppert als geschäftig­e Tochter, Trintignan­t als alter Vater, der lebenssatt ist, aber keinen findet, der ihm hilft, zu sterben – das legt eindeutige Spuren: Als der Alte in einer der intensivst­en Szenen des Films seiner Enkelin Eve den Tod seiner Frau ziemlich genau so beschreibt, wie es in Hanekes „Amour“geschah, begreifen wir, dass „Happy End“eine konsequent­e Weiterführ­ung dieses Films ist.

Zugleich unterfütte­rt Haneke diese Weiterführ­ung mit viel Understate­ment mit Motiven aus anderen seiner Werke: In „Bennys Video“zeigte er ein Kind, das mit einer Kamera abgründig-unschuldig eigene Gewalttate­n filmt. In „Caché“versetzte er sein Publikum in die statisch-kühle Beobachtun­gshaltung einer Überwachun­gskamera und konfrontie­rte die französisc­he Bourgeoisi­e mit ihrer Schuld aus kolonialen Zeiten. Und in „Code: Inconnu“ging es um das westliche Wohlstands­leben und sein Lumpenprol­etariat aus Migranten und Flüchtling­en . Der Ort Calais, mit seinen Slums längst ein beschämend­es Symbol der Flüchtling­skrise, ist in diesem Zusammenha­ng natürlich auch nicht zufällig gewählt.

In formaler Brillanz, mit ruhigen, spannungsv­ollen Tableaus und beherrscht von jenem bitteren Unterton, in dem Michael Haneke nach wie vor unübertrof­fen bleibt, erlebt man eine filmische Familienau­fstellung, die auch die Aufstellun­g einer saturierte­n Gesellscha­ft ist. Es geht um soziale Dynamik in diesem harten, kühlen Film, den man zugleich als sarkastisc­he Komödie begreifen kann.

Sein Thema aber ist todernst: Es ist der Untergang des Westens durch die Frivolität der Reichen und die Unfähigkei­t, die eigenen Ideale zu leben. Es ist die Krise einer Gesellscha­ft, die all ihre Normen und Werte verraten und aufgegeben hat. Bei Haneke ist das Private immer auch politisch.

Happy End. Regie: Michael Haneke. Mit Isabelle Huppert, JeanLouis Trintignan­t,Toby Jones, Mathieu Kassovitz. Frankreich/ Deutschlan­d/Österreich 2017, 110 Min., FSK ab 12

 ?? FOTO: LES FILMS DU LOSANGE ?? Michael Hanekes düsteres Gesellscha­ftsproträt mit Laura Verlinden (Mitte), Fantine Harduin, Jean-Louis Trintignan­t, Isabelle Huppert, Toby Jones und Mathieu Kassovitz ( (v.l.n.r.))
FOTO: LES FILMS DU LOSANGE Michael Hanekes düsteres Gesellscha­ftsproträt mit Laura Verlinden (Mitte), Fantine Harduin, Jean-Louis Trintignan­t, Isabelle Huppert, Toby Jones und Mathieu Kassovitz ( (v.l.n.r.))

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