Der große Rumms
Astronomen zeichnen erstmals Gravitationswellen von der Kollision zweier Neutronensterne auf
Albert Einstein hat es schon immer gewusst: Erneut haben Detektoren die von dem Physiker vorhergesagten Gravitationswellen empfangen. Sie stammen vom Crash zweier kollidierender Neutronensterne (Foto: dpa). Das Ereignis könnte eine neue Ära der Astronomie einleiten.
(AFP) - Sensationeller Durchbruch in der Weltraumforschung: Erstmals haben Wissenschaftler in Europa und den USA Gravitationsund Lichtwellen bei der Verschmelzung zweier sogenannter Neutronensterne gemessen. Wie die Forscher am Montag mitteilten, ermöglichen die Messungen zahlreiche neue Erkenntnisse, etwa über die Geschwindigkeit der Ausbreitung des Universums oder die Herkunft von schweren Elementen wie Gold, Platin und Blei.
„Alle unsere Träume sind wahr geworden“, sagte Alan Weinstein von der Caltech Universität im kalifornischen Pasadena. Vom „Beginn einer neuen Ära“für das Verständnis des Universums sprach Elena Pian vom italienischen Institut für Astrophysik (Inaf). Mit den Erkenntnissen über die Verschmelzung von Neutronensternen wurde eines der großen Geheimnisse des Kosmos gelüftet.
Der beobachtete Zusammenprall zweier dieser Sterne, die sich durch ihre extreme Dichte auszeichnen, fand vor 130 Millionen Jahren statt, wie Wissenschaftler unter anderem auf Pressekonferenzen in Washington und im bayerischen Garching mitteilten – in einer Zeit, in der Tyrannosaurus Rex noch die Erde beherrschte. Die Überbleibsel der Kollision erreichten am 17. August um genau 14.41 Uhr MESZ die Erde. Gemessen wurden sie zunächst in Form von Gravitationswellen vom US-Detektor Ligo und dem europäischen Observatorium Virgo in Italien.
Registriert wurden die Gravitationswellen über den erstaunlich langen Zeitraum von 100 Sekunden hinweg. Nur zwei Sekunden nach den Gravitationswellen wurde dann am 17. August ein Ausbruch von Gammastrahlen registriert, gefolgt von weiteren Messungen anderer elektromagnetischer Strahlen.
Die gemeinsame Quelle der Lichtphänomene wurde durch den Einsatz zahlreicher Teleskope lokalisiert, darunter solche der Europäischen Südsternwarte ESO, die ihren Hauptsitz in Garching hat und Teleskope in der chilenischen AtacamaWüste betreibt.
Verzerrungen der Raumzeit
Gravitationswellen waren erstmals vor zwei Jahren nachgewiesen worden – eine Entdeckung, die in diesem Jahr mit den Physik-Nobelpreis für drei US-Forscher gewürdigt wurde. Bei diesen Wellen handelt es sich um Verzerrungen der Raumzeit, die Albert Einstein bereits vor gut hundert Jahren im Rahmen seiner Relativitätstheorie vermutet hatte.
Die in den vergangenen zwei Jahren gemessenen Gravitationswellen stammten jedoch in allen vier Fällen von verschmelzenden Schwarzen Löchern – die Ereignisse dauerten nur ein paar Sekunden und blieben unsichtbar für Teleskope im Weltall und auf der Erde. Nun sei zum ersten Mal „im sichtbaren Licht eine Quelle von Gravitationswellen vermessen“worden, erklärten die ESO-Forscher.
Aufgrund der Daten aus dem Zusammenstoß der Neutronensterne konnten die Wissenschaftler eine neue Messmethode für die Geschwindigkeit entwickeln, mit der sich das Universum ausdehnt. Ferner beobachteten sie, dass der kosmische Zusammenprall eine breite Materiespur hinterließ.
Dies deutet darauf hin, dass womöglich die Hälfte der schweren Elemente auf der Erde bei der Fusion dieser unfassbar kompakten Sterne entstanden sind – eine Handvoll Materie dieser Sternen wiegt so viel wie der Mount Everest. „Das Gold in Ihrem Hochzeitsring stammt wahrscheinlich von einer Neutronensternverschmelzung, die sich vor fünf Milliarden Jahren und damit vor der Entstehung der Sonne in unserem Teil der Galaxis ereignet hat“, sagte Patrick Sutton von der Universität Cardiff.
Wissenschaftler weltweit reagierten verblüfft. „Dieser erste Nachweis der Gravitationswellen von verschmelzenden Neutronensternen ist für sich allein genommen schon extrem spannend“, erklären Karsten Danzmann, Bruce Allen und Alessandra Buonanno vom Max-PlanckInstitut für Gravitationsphysik in Hannover und Potsdam in einer Institutsmitteilung. „Aber die Kombination mit Dutzenden von Folgebeobachtungen im elektromagnetischen Spektrum macht es wirklich revolutionär.“
Unfassbare Massen
Neutronensterne sind Danzmann zufolge die „kompliziertesten Objekte im Universum“. Diese Himmelskörper bleiben übrig, wenn ein massereicher Stern in einer Supernova explodiert. Bei einem Durchmesser von etwa 20 Kilometern besitzen sie das Zweifache der Masse der Sonne oder 700 000 Erdmassen. Ein Teelöffel voll Neutronensternmaterial entspricht der Masse von rund einer Milliarde Tonnen.