Schwierige Neubauten in der Nachbarschaft
Durch Nachverdichtung wollen Städte platzsparend bezahlbaren Wohnraum schaffen – eine mühsame Aufgabe
- Boden ist nicht vermehrbar. Wenn also wegen der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt im Südwesten Deutschlands neu gebaut werden muss, bleiben wenige Möglichkeiten. Eine davon ist, auf der grünen Wiese zu bauen. Da diese Flächen ebenfalls endlich sind, kommt man irgendwann nicht an der Nachverdichtung vorbei.
Das bedeutet laut Duden: „nachträglich dichtere Bebauung vorhandener, schon bebauter Gebiete“, auch Bauen im Bestand genannt. Doch dort zu bauen, wo bereits jemand wohnt und lebt, ist weder einfach noch unumstritten. Kritik kommt beispielsweise von Ottmar Wernicke, der als Geschäftsführer des Verbandes Haus und Grund Württemberg die Interessen von Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümern vertritt. „Nachverdichtung ist keine Lösung“, sagt er. Sie führe zu sozialen Spannungen. Wenn neue Wohnblöcke zwischen alten hochgezogen werden, mache das die Nachbarschaft unattraktiver. Aber, so Wernicke, es gebe Alternativen zu zusätzlichen Hochhausblöcken: Dafür brauche es allerdings – und das fordert er auch – „eine kluge Planung“.
„Wir sind ganz gut bei der Nachverdichtung“, sagt etwa Wolfgang Steidle, Erster Bürgermeister der Stadt Aalen (Ostalbkreis) und Leiter des Baudezernates. Der studierte Stadtplaner spricht dabei von den ersten Erfolgen des „Aalener Modells“genannten Projekts der Stadtverwaltung zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Vor gut einem Jahr, am 13. Oktober 2016 vom Gemeinderat beschlossen, sieht das Modell finanzielle Förderung von Sozialmietwohnungen und den Erwerb von Belegungsrechten für mittlere Einkommensbezieher vor. Die Grundlagen dafür wurden allerdings schon 2014 geschaffen, mit dem „Handlungsprogramm Wohnen“, nach dem bis zu 240 Wohnungen im Jahr entstehen sollten, um die angespannte Lage auf dem Immobilienmarkt zu entschärfen.
„Bezahlbarer Wohnungsbau, städtebaulich eingepasst und in guter Qualität, ist das Gebot der Stunde“, fordert Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungsund Immobilienunternehmen (GDW). Generell bemängelt er in Deutschland „fehlende Anreize für den Wohnungsbau“durch die Politik. Er sieht die Kommunen allgemein „im Zwiespalt zwischen fiskalischem Interesse an hohen Grundstückspreisen und dem sozialen Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“.
Dass Nachverdichtung für Städte und Gemeinden nicht ganz einfach ist, bestätigt auch Kristina FabijancicMüller, Sprecherin des Gemeindetags Baden-Württemberg: „Wenn es Leerstand vor Ort gibt, muss man zunächst versuchen, diesen zu aktivieren. Besteht seitens der Eigentümer keine Verkaufsbereitschaft, so sind der Kommune die Hände gebunden.“
Teure Grundstücke, bestehende Bebauung, Altlasten im Boden, ungeklärte oder zersplitterte Eigentumsverhältnisse – auch in Aalen musste man sich diesen Herausforderungen stellen. Natürlich sei Innenraumentwicklung schwierig und teuer, sagt Steidle, deshalb müsse man an vielen Stellen ansetzen und eine „ganzheitliche Strategie“verfolgen. So werden beispielsweise städtische Grundstücke auf der grünen Wiese – Aalen hat noch welche – beim Verkauf mit 7,5 Prozent belastet. Diese Zusatzeinnahmen fließen in einen Fonds zur Innenraumentwicklung. Neben dieser Umverteilung von außen nach innen werden Modernisierungsmaßnahmen gefördert, wenn sie nachhaltig sind. „Nicht nur Renditeprojekte“wolle man in Aalen, weshalb Investoren beim Wohnbau Mehrwert für die Allgemeinheit schaffen müssen, wie beispielsweise eine Fußgängerbrücke über die Bahngleise.
Angst, Investoren mit solchen Auflagen zu verschrecken, gibt es in Aalen keine. Das Interesse seitens der Investoren bestehe. Die Stadt mit ihren derzeit 67 000 Einwohnern wachse. 6500 Einwohner mehr bis 2030 seien prognostiziert, so Steidle. Doch das war nicht immer so. Aufgrund des demographischen Wandels rechneten vor einigen Jahren viele Städte und Gemeinden in Deutschland noch mit schwindenden Einwohnern. „2010 hat jeder nur noch Innenentwicklung betrieben“, erinnert sich Steidle. Deutschlandweit wurden weniger Bauflächen ausgewiesen, es wurden weniger Wohnungen gebaut. Württembergs Haus-und-Grund-Chef Wernicke kennt die Zahlen: Während 1994 noch circa 900 000 Wohnungen in Deutschland fertiggestellt worden sind, waren es 2010 nur noch um die 22 000.
Entgegen der Prognosen wuchs die Bevölkerung im Schnitt in Deutschland, im wirtschaftsstarken Süden besonders. Aus dem europäischen Ausland zogen viele Menschen nach Deutschland. Viel Bewegung gab es zudem innerhalb der Bundesrepublik. Die Binnenwanderung wird als ein wesentlicher Faktor für die angespannten Immobilienmärkte im Süden identifiziert. Wernicke kritisiert, dass man bis in die Jahre 2013 und 2014 nicht signifikant mehr Wohnungen gebaut habe. „Der Wohnungsmangel kam nicht überraschend“, ist er überzeugt.
Fragt man Steidle, wann in Aalen auf politischer Ebene ein Umdenken beim Thema Wohnbau stattgefunden habe, antwortet er: „Mit dem Wechsel der Rathausmannschaft 2012/13 und dem neuen Oberbürgermeister.“Zuvor sei man zwar auch von einem Rückgang der Bevölkerung ausgegangen, aber dann wuchs die Stadt eben. Dass das „Aalener Modell“erste Erfolge vorzuweisen hat, liege nicht nur am Umdenken auf politischer Ebene. Die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern sei ebenso wichtig. „Man kann Innenstadtentwicklung nicht betreiben, wenn nicht alle an einem Strang ziehen“, so Steidle.
Zudem würden Baufehler der Vergangenheit heute vermieden. Das mache moderne Mehrgeschossbauten attraktiver. Sie seien laut Steidle bautechnisch viel besser als deren Vorgänger aus den 1960er-Jahren, wie beispielsweise beim Schallschutz. Bei der Planung achte man inzwischen auf eine soziale Durchmischung, damit keine Brennpunkte entstehen. Darüber und über die vielen weiteren Details habe man die Bürger in Aalen früh und umfassend durch Veranstaltungen sowie im Internet informiert. Ein Innenentwicklungsmanager bietet kostenlose Beratung, Nutzungsvorschläge bis hin zu ersten Grundrissen. Dieses Angebot soll Grundstücksund Wohnungsbesitzern helfen, die Möglichkeiten des „Aalener Modells“zu verstehen und zu nutzen.
25 Projekte wurden so seit Januar angestoßen, mehr als 200 000 Euro Förderungen bewilligt. Deshalb sagt Steidle selbstbewußt: „Wir sind ganz gut bei der Nachverdichtung.“Bauen im Bestand kann demnach eine Lösung für das Problem des Wohnraummangels sein. Wie das Beispiel Aalen allerdings zeigt, ist es keine schnelle, einfache oder günstige Lösung.