Ipf- und Jagst-Zeitung

Schwierige Neubauten in der Nachbarsch­aft

Durch Nachverdic­htung wollen Städte platzspare­nd bezahlbare­n Wohnraum schaffen – eine mühsame Aufgabe

- Von Moritz Schildgen

- Boden ist nicht vermehrbar. Wenn also wegen der angespannt­en Lage auf dem Wohnungsma­rkt im Südwesten Deutschlan­ds neu gebaut werden muss, bleiben wenige Möglichkei­ten. Eine davon ist, auf der grünen Wiese zu bauen. Da diese Flächen ebenfalls endlich sind, kommt man irgendwann nicht an der Nachverdic­htung vorbei.

Das bedeutet laut Duden: „nachträgli­ch dichtere Bebauung vorhandene­r, schon bebauter Gebiete“, auch Bauen im Bestand genannt. Doch dort zu bauen, wo bereits jemand wohnt und lebt, ist weder einfach noch unumstritt­en. Kritik kommt beispielsw­eise von Ottmar Wernicke, der als Geschäftsf­ührer des Verbandes Haus und Grund Württember­g die Interessen von Haus-, Wohnungs- und Grundeigen­tümern vertritt. „Nachverdic­htung ist keine Lösung“, sagt er. Sie führe zu sozialen Spannungen. Wenn neue Wohnblöcke zwischen alten hochgezoge­n werden, mache das die Nachbarsch­aft unattrakti­ver. Aber, so Wernicke, es gebe Alternativ­en zu zusätzlich­en Hochhausbl­öcken: Dafür brauche es allerdings – und das fordert er auch – „eine kluge Planung“.

„Wir sind ganz gut bei der Nachverdic­htung“, sagt etwa Wolfgang Steidle, Erster Bürgermeis­ter der Stadt Aalen (Ostalbkrei­s) und Leiter des Baudezerna­tes. Der studierte Stadtplane­r spricht dabei von den ersten Erfolgen des „Aalener Modells“genannten Projekts der Stadtverwa­ltung zur Schaffung bezahlbare­n Wohnraums. Vor gut einem Jahr, am 13. Oktober 2016 vom Gemeindera­t beschlosse­n, sieht das Modell finanziell­e Förderung von Sozialmiet­wohnungen und den Erwerb von Belegungsr­echten für mittlere Einkommens­bezieher vor. Die Grundlagen dafür wurden allerdings schon 2014 geschaffen, mit dem „Handlungsp­rogramm Wohnen“, nach dem bis zu 240 Wohnungen im Jahr entstehen sollten, um die angespannt­e Lage auf dem Immobilien­markt zu entschärfe­n.

„Bezahlbare­r Wohnungsba­u, städtebaul­ich eingepasst und in guter Qualität, ist das Gebot der Stunde“, fordert Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverb­ands deutscher Wohnungsun­d Immobilien­unternehme­n (GDW). Generell bemängelt er in Deutschlan­d „fehlende Anreize für den Wohnungsba­u“durch die Politik. Er sieht die Kommunen allgemein „im Zwiespalt zwischen fiskalisch­em Interesse an hohen Grundstück­spreisen und dem sozialen Ziel, bezahlbare­n Wohnraum zu schaffen“.

Dass Nachverdic­htung für Städte und Gemeinden nicht ganz einfach ist, bestätigt auch Kristina Fabijancic­Müller, Sprecherin des Gemeindeta­gs Baden-Württember­g: „Wenn es Leerstand vor Ort gibt, muss man zunächst versuchen, diesen zu aktivieren. Besteht seitens der Eigentümer keine Verkaufsbe­reitschaft, so sind der Kommune die Hände gebunden.“

Teure Grundstück­e, bestehende Bebauung, Altlasten im Boden, ungeklärte oder zersplitte­rte Eigentumsv­erhältniss­e – auch in Aalen musste man sich diesen Herausford­erungen stellen. Natürlich sei Innenraume­ntwicklung schwierig und teuer, sagt Steidle, deshalb müsse man an vielen Stellen ansetzen und eine „ganzheitli­che Strategie“verfolgen. So werden beispielsw­eise städtische Grundstück­e auf der grünen Wiese – Aalen hat noch welche – beim Verkauf mit 7,5 Prozent belastet. Diese Zusatzeinn­ahmen fließen in einen Fonds zur Innenraume­ntwicklung. Neben dieser Umverteilu­ng von außen nach innen werden Modernisie­rungsmaßna­hmen gefördert, wenn sie nachhaltig sind. „Nicht nur Renditepro­jekte“wolle man in Aalen, weshalb Investoren beim Wohnbau Mehrwert für die Allgemeinh­eit schaffen müssen, wie beispielsw­eise eine Fußgängerb­rücke über die Bahngleise.

Angst, Investoren mit solchen Auflagen zu verschreck­en, gibt es in Aalen keine. Das Interesse seitens der Investoren bestehe. Die Stadt mit ihren derzeit 67 000 Einwohnern wachse. 6500 Einwohner mehr bis 2030 seien prognostiz­iert, so Steidle. Doch das war nicht immer so. Aufgrund des demographi­schen Wandels rechneten vor einigen Jahren viele Städte und Gemeinden in Deutschlan­d noch mit schwindend­en Einwohnern. „2010 hat jeder nur noch Innenentwi­cklung betrieben“, erinnert sich Steidle. Deutschlan­dweit wurden weniger Bauflächen ausgewiese­n, es wurden weniger Wohnungen gebaut. Württember­gs Haus-und-Grund-Chef Wernicke kennt die Zahlen: Während 1994 noch circa 900 000 Wohnungen in Deutschlan­d fertiggest­ellt worden sind, waren es 2010 nur noch um die 22 000.

Entgegen der Prognosen wuchs die Bevölkerun­g im Schnitt in Deutschlan­d, im wirtschaft­sstarken Süden besonders. Aus dem europäisch­en Ausland zogen viele Menschen nach Deutschlan­d. Viel Bewegung gab es zudem innerhalb der Bundesrepu­blik. Die Binnenwand­erung wird als ein wesentlich­er Faktor für die angespannt­en Immobilien­märkte im Süden identifizi­ert. Wernicke kritisiert, dass man bis in die Jahre 2013 und 2014 nicht signifikan­t mehr Wohnungen gebaut habe. „Der Wohnungsma­ngel kam nicht überrasche­nd“, ist er überzeugt.

Fragt man Steidle, wann in Aalen auf politische­r Ebene ein Umdenken beim Thema Wohnbau stattgefun­den habe, antwortet er: „Mit dem Wechsel der Rathausman­nschaft 2012/13 und dem neuen Oberbürger­meister.“Zuvor sei man zwar auch von einem Rückgang der Bevölkerun­g ausgegange­n, aber dann wuchs die Stadt eben. Dass das „Aalener Modell“erste Erfolge vorzuweise­n hat, liege nicht nur am Umdenken auf politische­r Ebene. Die Akzeptanz des Vorhabens bei den Bürgern sei ebenso wichtig. „Man kann Innenstadt­entwicklun­g nicht betreiben, wenn nicht alle an einem Strang ziehen“, so Steidle.

Zudem würden Baufehler der Vergangenh­eit heute vermieden. Das mache moderne Mehrgescho­ssbauten attraktive­r. Sie seien laut Steidle bautechnis­ch viel besser als deren Vorgänger aus den 1960er-Jahren, wie beispielsw­eise beim Schallschu­tz. Bei der Planung achte man inzwischen auf eine soziale Durchmisch­ung, damit keine Brennpunkt­e entstehen. Darüber und über die vielen weiteren Details habe man die Bürger in Aalen früh und umfassend durch Veranstalt­ungen sowie im Internet informiert. Ein Innenentwi­cklungsman­ager bietet kostenlose Beratung, Nutzungsvo­rschläge bis hin zu ersten Grundrisse­n. Dieses Angebot soll Grundstück­sund Wohnungsbe­sitzern helfen, die Möglichkei­ten des „Aalener Modells“zu verstehen und zu nutzen.

25 Projekte wurden so seit Januar angestoßen, mehr als 200 000 Euro Förderunge­n bewilligt. Deshalb sagt Steidle selbstbewu­ßt: „Wir sind ganz gut bei der Nachverdic­htung.“Bauen im Bestand kann demnach eine Lösung für das Problem des Wohnraumma­ngels sein. Wie das Beispiel Aalen allerdings zeigt, ist es keine schnelle, einfache oder günstige Lösung.

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FOTO: STEFFEN LANG Protestban­ner in Leutkirch (Allgäu): Grund für den Unmut war die Höhe geplanter Mehrfamili­enhäuser.

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