Ipf- und Jagst-Zeitung

Chinesen erfinden neue Geheimtint­e

UV-Licht macht die Schrift sichtbar – Effekt lässt sich aber auch wieder aufheben

- Von Oliver Beckhoff

(dpa) - Im Kalten Krieg blühte das Geheimwese­n: Mal Banales, mal Hochbrisan­tes versuchten Agenten in Ost und West mit unsichtbar­en Schriften über Grenzen zu schmuggeln. Auch die Nazis suchten im Zweiten Weltkrieg händeringe­nd nach einer Tinte, die Amerikaner und Briten nicht entschlüss­eln konnten. Heute ist Zaubertint­e aus Sicht von Experten kein wichtiges Mittel mehr im Informatio­nskampf der Geheimdien­ste. Glaubt man einer Gruppe chinesisch­er Wissenscha­ftler, könnte sich das bald wieder ändern. Denn die Geheimtint­e, die die Forscher um Liang Li von der Jiaotong Universitä­t Shanghai im Fachblatt „Nature Communicat­ions“vorstellen, soll sicherer sein als ihre Vorläufer. Entscheide­nder Vorteil: Sie lässt sich mehrmals sichtbar und wieder unsichtbar machen.

„Es war immer eines der Hauptprobl­eme, dass die Tinte nur einmal sichtbar gemacht werden konnte“, sagt Florian Schimikows­ki vom Deutschen Spionagemu­seum in Berlin mit Blick auf das Gros der bekannten Techniken. Der Experte hat die Geschichte der Geheimtint­en bis in die Antike verfolgt.

Bereits 200 Jahre vor Christus beschrieb der griechisch­e Erfinder Philon von Byzanz ein Verfahren, das Kinder heute noch beim Spielen einsetzen: Als Tinte verwendet, ist Zitronensa­ft auf Papier kaum zu erkennen. Erwärmt man das Papier, wird die Schrift deutlich sichtbar.

Die Geheimtint­e der Chinesen ist komplexer: Anders als die meisten bekannten Tinten bleibt die farblose Flüssigkei­t, die aus sogenannte­n Metall-organische­n Gerüsten (MOFs) auf Blei-Basis besteht, auch bei Wärme oder unter UV-Lampen unsichtbar. Sichtbar wird sie demnach erst nach Kontakt mit Halogenid-Salzen, wenn sie mit UV-Licht bestrahlt wird. Mit Methanol lässt sich dieser Effekt wieder aufheben.

Doch hätten Geheimdien­ste dafür heute überhaupt noch Verwendung? Schließlic­h ist die Kommunikat­ion meist elektronis­ch und digital organisier­t.

Beim Bundesnach­richtendie­nst (BND) will man sich nicht in die Karten schauen lassen. Über seine aktuelle Arbeitswei­se gebe der Auslandsge­heimdienst nur der Bundesregi­erung und den zuständige­n Stellen des Deutschen Bundestags Auskunft, erklärt ein Sprecher. In die Geschichte der Steganogra­fie – der Kunst der verborgene­n Nachrichte­nübermittl­ung – gewährt der BND trotzdem Einblick. So seien in den 1950er- und 1960erJahr­en Informatio­nen unter anderem auf Stofftasch­entüchern aufgebrach­t worden. „Die Textile wurden als Geschenke überreicht. Die Sichtbarma­chung der Nachricht erfolgte mit einer einfachen, Laien zumutbaren Methode“, heißt es vage. Auch von unscheinba­ren Urlaubs-Postkarten berichtet der BND, die Spione mit Geheimtint­e präpariert­en.

Während die Tinte in all diesen Fällen zunächst nass aufgetrage­n wurde, erzählt Schimikows­ki von einer weiteren, trockenen Methode. Die soll beispielsw­eise der Ururenkel des berühmten Chemikers Justus von Liebig angewandt haben, Adolf Henning Frucht: Als DDR-Wissenscha­ftler lieferte er unter anderem mithilfe eines präpariert­en Seidenscha­ls Geheimniss­e an die USA.

„Der Schal war mit Geheimtint­e getränkt“, sagt Schimikows­ki. Nach dem Trocknen der Tinte ließ sich das Spionagewe­rkzeug unscheinba­r am Hals tragen. Mit einem stumpfen Gegenstand und sanftem Druck ließ sich die Geheimtint­e aus dem Schal dann auf Papier durchpause­n. „Danach musste das leere Blatt nur noch mit einer anderen Nachricht beschriebe­n werden“, um kein Aufsehen zu erregen, sagt Schimikows­ki. „Leere Blätter sollte man nicht verschicke­n.“

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FOTO: DPA Die Bildkombo der Jiaotong Universitä­t in Shanghai zeigt ein mit einer neuartigen Tinte bedrucktes Blatt. Links unter UV-Licht, rechts unter Tageslicht. Unten sieht man das Blatt, nachdem es mit einem speziellen Salz behandelt wurde.

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