Schluss mit den Betriebsausflügen
Joachim Löw bemängelt vor dem Spiel gegen Frankreich das Tempo der Nationalelf
(SID) - An ihrem freien Tag schipperten Mats Hummels und die anderen Weltmeister im Schnellboot über die Themse. Wie James Bond sahen sie in ihren dicken Schwimmwesten allerdings nicht aus, eher wie ein Kegelclub beim launigen Saisonausklang. Und so versuchte Joachim Löw seiner Mannschaft das Urlaubsgefühl nach einem kurzen Flug nach Köln und der freitäglichen Nullnummer gegen England auch schnell wieder auszutreiben. Der Bundestrainer schaltete vor dem Prestigeduell mit Frankreich am Dienstag (20.45 Uhr/ ARD) wieder zurück auf Ernst.
„Ich werde testen. Das steht für mich sogar über dem Ergebnis. Ich will sehen, wie einige Spieler sich gegen die Besten beweisen“, betonte Löw vor dem zweiten Spiel der Klassiker-Woche gegen eine „sensationelle, faszinierende Mannschaft“, wie Abwehrchef Hummels die Franzosen nennt.
Nach der Ankunft im Hyatt-Hotel am Rhein ging es am späten Nachmittag weiter zum Training im Kölner Südstadion. Die Neuauflage des EM-Halbfinals (0:2) soll schließlich mehr Erkenntnisse für den WMSommer liefern als das anfangs gute, später eher fade 0:0 in Wembley. Nach einem Spiel, das „niemanden vom Hocker riss“, wie Löw selber einräumte, waren nicht alle Eindrücke positiv. Fazit des Bundestrainers: Die Weltmeister haben in einer makellosen, jedoch kaum herausfordernden WM-Qualifikation den Sinn fürs Blitzartige verloren.
Frankreich-Spiel als Härtetest
Eher stellt sich bei der DFB-Elf eine Art Weltmeister-Syndrom heraus, bei dem Freundschaftsspiele – unbewusst – als eher zweitrangig eingestuft werden. Biss und der absolute Wille sind nur selten zu erkennen ist. „Wir müssen nach Ballgewinn schneller umschalten, mit Dynamik zum Tor. Das haben wir versäumt. Es ist wichtig, dass wir das wieder einschleifen“, forderte Löw daher. Er knetete seine Hände, die Botschaft war ihm wichtig. „Wir verpassen es, schnell zu spielen, das müssen wir wieder lernen. Gegen solche Gegner muss man überfallartig ausbrechen und durchziehen.“Er kündigte für das längst nicht ausverkaufte Frankreich-Spiel (30 000 verkaufte Karten) und das Trainingslager in Südtirol Ende Mai an, „konsequent“daran zu arbeiten.
Die Franzosen dürften zudem ein härterer Prüfstein als Englands, zwar sehr talentierte aber international recht unerfahrene Truppe, werden. Und das, obwohl Stars wie der frühere Dortmunder Ousmane Dembele und Paul Pogba fehlen. Hummels sieht den Gegner in der absoluten Weltspitze – und in manchen Belangen vor der DFB-Auswahl. „Sie haben eine unfassbare Breite bei den jungen Spielern. Wir auch. Aber vom Standing her, das die Spieler in jungen Jahren haben, sind die noch mal einen Schritt weiter.“Somit werde Frankreich „völlig zu Recht“zu den Titelanwärtern gezählt. Kurz: Ein würdiger Gegner für einen Weltmeister. „Das sind Spiele von allerhöchster Wichtigkeit“, fügte DFBPräsident Reinhard Grindel an.
Um sie zu gewinnen, sollte das Toreschießen wieder funktionieren. Gelegenheiten hatte es für die seit 20 Spielen ungeschlagene DFB-Auswahl in Wembley genug gegeben. Leroy Sane traf die Querlatte (20.), er war zudem an einer Dreifach-Riesenchance beteiligt, bei der auch Timo Werner und Julian Draxler scheiterten (23.). Nach Werners zweiter Großchance (39.) begann gegen verletzungsgeplagte Engländer das Durchbeißen. „Der November ist fast immer der schwierigste Monat. Da gibt es das erste Loch, die Plätze werden schwer“, sagte Manager Oliver Bierhoff.
Doch es gab auch Erfreuliches: Löws Systemtest mit einem ungewohnten 3-4-3 verlief recht ruckelfrei, Ilkay Gündogan gab nach einem Jahr Zwangspause ein ansprechendes Comeback, Marcel Halstenberg von RB Leipzig ein ordentliches Debüt. Für Dienstag kündigte Löw personelle Wechsel an – er hatte beispielsweise Toni Kroos und Sami Khedira geschont.
Ob das allerdings an der Mentalität etwas ändert, bleibt abzuwarten.