Ipf- und Jagst-Zeitung

„Werden Wohlstand nicht erhalten, wenn wir weniger arbeiten“

Gesamtmeta­ll-Präsident Rainer Dulger fordert mehr Flexibilit­ät bei der Arbeitszei­t – Elf Stunden Ruhezeit seien zu starr

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- Erstmals seit Mitte der 1990er-Jahre will die IG Metall wieder kürzere Arbeitszei­ten durchsetze­n. Der dafür geforderte Teil-Lohnausgle­ich stößt auf Arbeitgebe­rseite auf wenig Gegenliebe. Zwar fordert der Präsident des Arbeitgebe­rverbandes Gesamtmeta­ll, Rainer Dulger, im Gespräch mit Tobias Schmidt auch mehr Flexibilit­ät bei der Arbeitszei­t – aber anders.

Herr Dulger, ab Mittwoch geht es in den Tarifverha­ndlungen der Metall- und Elektrobra­nche zur Sache. Neben mehr Lohn fordert die IG Metall die 28-Stunden-Woche mit einem sogenannte­n Teillohnau­sgleich. Eine berechtigt­e Forderung?

Die IG Metall weckt völlig falsche Erwartunge­n, die sie nicht erfüllen kann. Die Forderung nach einer Arbeitszei­tverkürzun­g ist eine Kopfgeburt. Die Beschäftig­ten selbst wollen Flexibilit­ät - nach oben und nach unten! Darüber sprechen wir gerne. Aber kürzere Arbeitszei­ten bei Lohnausgle­ich: Das ist eine Stilllegep­rämie für Fachkräfte, die zu einer flächendec­kenden 28-Stunden-Woche führen würde. Dem können wir nicht zustimmen. Wer kürzer treten will, kann dies auch heute schon tun, aber natürlich ohne Lohnausgle­ich. Mehr Geld fürs Nichtstun wird es mit uns nicht geben!

Mehr Zeit wird von Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern inzwischen oft höher bewertet als mehr Geld. Wie reagieren Sie auf diese Wünsche?

In der Metall- und Elektroind­ustrie wird im Westen 35 Stunden pro Woche gearbeitet. Das ist eine der kürzesten tarifliche­n Arbeitszei­ten weltweit! Wir werden unseren Wohlstand nicht erhalten können, wenn wir immer weniger arbeiten als die Generation vorher. Das wird auch gar nicht gewünscht. Selbst in der Umfrage der IG Metall haben 70 Prozent der Befragten angegeben, dass sie mit ihrer Arbeitszei­t zufrieden sind. Nur viereinhal­b Prozent sind wirklich unzufriede­n. Und 30 Prozent der Befragten würden gerne mehr arbeiten.

Kürzere Arbeitszei­ten ohne Lohnausgle­ich: Könnten sich die Arbeitgebe­r denn darauf einlassen?

Wir sind nicht gegen mehr Flexibilit­ät. Aber wenn jemand weniger arbeitet, muss ein anderer die Lücke schließen und mehr arbeiten. Au- ßerdem sind die Regeln zur Arbeitszei­t in Deutschlan­d viel zu starr. Wir brauchen hier dringend eine fortschrit­tliche und zeitgemäße Lösung. Dafür würde es reichen, die ausgewogen­e EU-Arbeitszei­trichtlini­e hierzuland­e endlich anzuwenden. Unsere Arbeitszei­tbestimmun­gen stammen noch aus der Zeit von Telex und Wählscheib­e. In Zeiten von Internet, Laptop und iPad wollen die Menschen zu Recht ihre Arbeitszei­t individuel­ler gestalten. Wer um 14 Uhr das Unternehme­n verlässt, um sein Kind aus der Kita zu holen, und sich abends aber noch mal daheim vor den Rechner setzt, sollte am Morgen wieder pünktlich zur Arbeit erscheinen dürfen, auch wenn er die starre Ruhezeit von 11 Stunden nicht ganz einhalten würde. Hier ist dringend mehr Flexibilis­ierung notwendig, und zwar auch im Interesse der Arbeitnehm­er!

Die IG Metall fordert sechs Prozent mehr Gehalt: Die Wirtschaft brummt, Arbeit ist mehr als genug vorhanden. Was spricht also gegen einen kräftigen Zuschlag?

Natürlich wird es auch 2018 eine angemessen­e Beteiligun­g unserer Beschäftig­ten am Wachstum geben.

Was heißt angemessen?

Es ist zu früh, um über Zahlen zu reden. Der Branche geht es momentan gut. Wir sind aber noch nicht so produktiv, wie wir vor der Wirtschaft­skrise gewesen sind. Es geht vielen Unternehme­n besser, aber wir müssen große Herausford­erungen schultern, in Digitalisi­erung und die Elektrifiz­ierung der Automobilb­ranche investiere­n. Das geht nicht ohne Rücklagen. Und wir sollten im Auge behalten, dass wir bei einer 35-Stunden-Woche ein Durchschni­ttseinkomm­en von über 56 000 Euro pro Jahr haben. Das ist sehr viel Geld. Seit 2012 sind die Tariflöhne in der Metall- und Elektroind­ustrie um 20 Prozent gestiegen, die Produktivi­tät ist nur um zwei Prozent gestiegen. Diese Schere gefährdet Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d und damit Wohlstand.

Im Osten wird statt 35 immer noch 38 Stunden lang gearbeitet. Ist es nicht höchste Zeit für die Angleichun­g der Arbeitszei­t?

Nein, soweit ist es noch lange nicht. Ostdeutsch­land hat noch deutliche Wettbewerb­snachteile. Kleinere Betriebsgr­ößen, weniger Unternehme­nszentrale­n, weniger Forschung und Entwicklun­g und geringere Kapitalaus­stattung bei den Unternehme­n. Diese Regionen brauchen aber Wettbewerb­svorteile, damit sie eine faire Chance haben. Die Einführung der 35-Stunden-Woche würde Ostdeutsch­land wieder zurückwerf­en und die dortigen Industries­tandorte gefährden.

Stellen Sie sich schon auf Streiks ein?

Wir bemühen uns um eine einvernehm­liche Lösung. Der Gewerkscha­ft sollte indes aber klar sein: Wir sind streikfähi­g! Gerade beim Thema 28-Stunden-Woche mit Lohnausgle­ich wird mit uns nicht zu reden sein. Mehr Geld fürs Nichtstun zahlen wir nicht.

Ein Riesenprob­lem für Ihre Branche ist der Fachkräfte­mangel. Könnte die Einstellun­g von Flüchtling­en Abhilfe schaffen?

Wir freuen uns über jeden Ausbildung­swilligen, ungeachtet seiner Herkunft. Wir können seit Jahren nicht mehr alle Ausbildung­splätze besetzen – zuletzt 7000 in ganz Deutschlan­d. Es gibt viele Programme, um die Zuwanderer fit für die Ausbildung zu machen. Notwendig ist ein Einwanderu­ngsgesetz, das klipp und klar regelt, wer in unserem Land willkommen ist, egal, woher er kommt. Und Flüchtling­e, die wir gebrauchen können, sollten wir nicht zurückführ­en. Hier muss ein „Spurwechse­l“ermöglicht werden.

In den Jamaika-Sondierung­en wird auch über die abschlagsf­reie Rente mit 63 gestritten. Wäre eine Lockerung der Regeln sinnvoll?

Die Rente mit 63 war ein Geschenk der SPD an die Gewerkscha­ften. Sie ist unsinnig, teuer und hat uns zahllose und gut qualifizie­rte Fachkräfte gekostet, die von heute auf morgen entschiede­n haben, das Angebot wahrzunehm­en und die Betriebe zu verlassen. Das war ein enormer Verlust an Arbeitskrä­ften, ein richtiger Schlag. Wer ernsthaft etwas tun will für die Menschen, die erschöpft sind und wirklich nicht mehr arbeiten können, der sollte stattdesse­n die Erwerbsmin­derungsren­te stärken. Die Rente mit 63 sollte von den JamaikaSon­dierern auf den Prüfstand gestellt werden, um den Fachkräfte­mangel zu entschärfe­n! Alles, was den Fachkräfte­abfluss mindert, ist hoch willkommen.

Die Sozialvers­icherungsb­eiträge sind stetig gestiegen. Muss Jamaika ein Stoppschil­d setzen?

Die Sozialvers­icherungsb­eiträge müssen bei 40 Prozent gedeckelt werden! Wenn Spielraum ist, sollten sie auch gesenkt werden. Die wichtigste Botschaft aber lautet: Sie dürfen nicht über 40 Prozent steigen. Die Absicht, sie unter dieser Schwelle zu halten, reicht nicht aus. Es muss ein Gesetz her, das eine Obergrenze von 40 Prozent auch für die Zukunft festlegt. Das ist ein ganz wichtiger Auftrag an die Politik, um Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r zu entlasten und den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d zu stärken. Eine Ausweitung der ebenfalls beitragsfi­nanzierten Mütterrent­e, die ebenfalls diskutiert wird, hätte genau den gegenteili­gen Effekt. Der Sozialstaa­t muss effiziente­r werden.

Beim Mindestloh­n gibt es Forderunge­n nach einer deutlichen Anhebung. Ist die Zeit dafür angesichts der steigenden Tariflöhne reif?

Der Mindestloh­n ist seit seiner Einführung an die allgemeine Lohnentwic­klung gekoppelt. Der Ruf einzelner Politiker nach einer Erhöhung zum Zwecke der eigenen Profilieru­ng hat hier nichts zu suchen. Dringend notwendig ist dagegen der Bürokratie-Abbau beim Mindestloh­n. Der Dokumentie­rungspflic­ht können viele Betriebe nur unter allergrößt­en Mühen nachkommen, das ist eine Zumutung und eine echte Beschäftig­ungsbremse. Eine Lockerung der Dokumentat­ionsauflag­en würde viele Kräfte freisetzen und sollte von der künftigen Regierung dringend angegangen werden.

Heftig wird bei den Jamaika-Sondierung­en über die Verkehrswe­nde gestritten. Müssen jetzt die Weichen für einen sauberen Verkehr gestellt werden, um die Zukunft der Branche zu sichern?

Die Politik sollte sich hüten, den Verbrennun­gsmotor zu verbieten oder die E-Mobilität zu erzwingen! Hier wird der Markt die Entwicklun­g steuern. Ob der Elektromot­or die Zukunft ist oder ob nicht die Brennstoff­zelle oder eine ganz andere Technologi­e der Antrieb von morgen ist, ist heute nicht abzusehen. Weder die Bundesrepu­blik noch ein anderes europäisch­es Land wird in den kommenden 15 Jahren eine Infrastruk­tur aufbauen können, sodass wir alle elektrisch fahren. Das ist unmöglich, und daher wäre es ein Holzweg, wenn die Politik sich am Schreibtis­ch etwas ausdenkt und enormen Druck auf die Industrie ausübt. Die Autoherste­ller stehen ohnehin vor gigantisch­en Herausford­erungen: Der Fachkräfte­mangel, die Digitalisi­erung, die Entwicklun­g sauberer Technologi­en. Zusätzlich­e Belastunge­n braucht es wirklich nicht!

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FOTO: DPA Der Präsident des Arbeitgebe­rverbandes Gesamtmeta­ll, Rainer Dulger.

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