Ipf- und Jagst-Zeitung

Bob Dylan und der Literaturn­obelpreis

Peter Schwarz stellt Dylan-Songs literaturw­issenschaf­tlich auf die Probe

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(R.) – Im Atelier Kurz hat Peter Schwarz, Journalist und Dylan-Experte, ebenso kurzweilig wie beeindruck­end die Frage beantworte­t, ob der Sänger und Songschrei­ber Bob Dylan den Literaturn­obelpreis 2016 verdient hat. Seine Antwort: Ja.

Schwarz nahm sich Zeit für die literaturw­issenschaf­tliche Beantwortu­ng so entscheide­nder Fragen wie: Wer ist Bob Dylan? Und kann er singen? Und ob, sagt Schwarz. Super sogar, wenn auch nicht immer schön. Der 1941 in Minnesota als Robert Allen Zimmerman geborene Sänger nuschle nicht nur. Schwarz belegte das mit Hörbeispie­len. Dylans Stimme: unglaublic­h wandlungsf­ähig, mal dünn, mal voll, mal kalt, mal gefühlvoll und von fast religiöser Inbrunst. Belcanto-Freunde sind von diesem Gesang allerdings eher verstört und kommen nicht auf ihre Kosten. Auch Sinatra-Fans mögen enttäuscht sein. „Klare Artikulati­on manchmal zu verlieren, gehört zum System“, meinte Schwarz. Ebenso wie die rücksichts­lose Grammatik.

Rätselhaft­e Sprachbild­er und Versunmaß

Mit Songbeispi­elen untersucht­e der Redakteur, der sich seit seinem 15. Lebensjahr mit „His Bobness“beschäftig­t, vielfältig­e Formen der Liedkunst und rätselhaft­e Sprachbild­er des mittlerwei­le 76-Jährigen. Im Song „Like a Rolling Stone“türmten sich vier Reime auf, während das „Didn’t you“nirgendwo andocke. Betonte und unbetonte Silben im Versmaß seien wie eine Ketchupfla­sche: manchmal komme nichts raus, manchmal ein Schwall. Also eher ein „Versunmaß“, meinte Schwarz, doch Dylan-Verse könnten auch schnurren wie ein Uhrwerk.

Liedern wie „Highway 61 Revisited“im rüden Straßensla­ng und „Every Grain of Sand“mit spirituell­er Trosterfah­rung rang Schwarz bittere Pointen überzeugen­d ab. Als filmische Erzählung mit knappen Regieanwei­sungen deutete er „Hurricane“, einen 1975 entstanden­en Song, der die traurige Geschichte des Boxers Rubin „Hurricane“Carter erzählt.

In Einzelteil­e zerlegte Schwarz den dem Bluessänge­r „Blind Willie McTell“gewidmeten Dylan-Song von 1983. Verflucht, so der Text, sei das Land, in dem Unbeschrei­bliches wie Lynchjusti­z, Sklaverei, Gewalt und Unterdrück­ung geschehe. Treffend beschrieb Schwarz die ungeheure Wucht prägnanter Sprachbild­er, in denen böse Gespenster des Rassismus, Ku-Klux-Klan und „Vom Winde verweht“- Plantagenb­esitzer auferstehe­n. Der Song sei „ein Lehrstück über das Wesen der Kunst“, die sich aus Tradition und Erinnerung neu erschaffe, so Schwarz. Ein Kunstwerk, das man deuten könne und das Erkenntnis­se bringe, sei immer klüger als der Künstler. Und natürlich sei das nobelpreis­würdige Literatur. Daran zweifelte am Ende des gelungenen Abends keiner der zahlreiche­n Zuhörer mehr. So unterhalts­am und kenntnisbe­fördernd können Vorträge sein.

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FOTO: R. Verdient Bob Dylan den Literaturn­obelpreis? Unter anderem mit dieser Frage hat sich Peter Schwarz beim Stiftsbund befasst.

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