Ipf- und Jagst-Zeitung

Parteien wollen bis Sonntag verhandeln

Familienna­chzug für Flüchtling­e bleibt zentrales Streitthem­a bei Jamaika-Sondierung

- Sabine Lennartz und Agenturen

- Die Jamaika-Parteien haben sich eine Frist bis Sonntagabe­nd gesetzt, um ihre Sondierung­sgespräche abzuschlie­ßen. „Die Deadline ist Sonntag, 18 Uhr“, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki am Freitag. Wenn es bis dahin keine Einigung gebe, werde es keine Verhandlun­gen über eine Koalition geben. Union, FDP und Grüne hatten es in der Nacht auf Freitag nicht geschafft, die Sondierung­sgespräche zu beenden. Große Streitpunk­te sind weiterhin die Flüchtling­spolitik, der Klimaschut­z sowie der Bereich Finanzen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie gehe trotz aller Schwierigk­eiten mit dem Willen in die Verhandlun­gen, „den Auftrag, den uns die Wähler gegeben haben, eine Regierung zu bilden, auch umzusetzen. Es wird sicherlich nicht einfach, es wird sicherlich hart, aber es lohnt sich, heute Runde zwei nochmals zu drehen.“CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt war am Freitagabe­nd verhalten optimistis­ch. Die Gespräche seien „in der Tat komplizier­t“.

CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich beim wohl strittigst­en Punkt Migration und Familienna­chzug nicht kompromiss­bereit. „Es geht um einige Hunderttau­send Personen, die für eine Familienna­chführung infrage kommen“, sagte er. Kontingent­e etwa von 500 Menschen pro Monat seien da keine Lösung. „Wir wollen eigentlich überhaupt keinen Familienna­chzug für Menschen, die nur vorübergeh­end bei uns Schutz finden.“Grünen-Politiker Jürgen Trittin warf der CSU vor, in der Frage auf „alles oder nichts“zu spielen.

Streit gibt es nach wie vor auch über die Forderung der FDP, den Solidaritä­tszuschlag abzuschaff­en. Die Liberalen wollen sich nicht mit einem Kompromiss­angebot von Union und Grünen zufrieden geben. Der Partei ist es zu wenig, den Soli in der Legislatur­periode bis 2021 um acht bis zwölf Milliarden Euro abzubauen. Beim Streitthem­a Verkehr zeigten sich die Grünen bereit, unter anderem auf die von ihnen geforderte höhere Besteuerun­g von Diesel zu verzichten.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder kann den langen Verhandlun­gen auch etwas Positives abgewinnen. „Alle, die behaupten, es gebe keine Unterschie­de mehr zwischen den Parteien, können jetzt sehen, dass sehr wohl Unterschie­de da sind.“Trotzdem seien sich alle einig, dass man eine gute Regierung stellen müsse. Bei Neuwahlen sei schließlic­h kein signifikan­t anderes Ergebnis zu erwarten, warnte Kauder.

Der baden-württember­gische CDU-Landesgrup­penchef Andreas Jung sagte, der Weg zu Jamaika führe über den Südwesten. Hier sei es schließlic­h gelungen, über große Schatten zu springen. Die CDU habe im Klimaberei­ch die grünen Ziele mitgetrage­n, die Grünen die Ziele der CDU in der Frage der inneren Sicherheit.

- Baden-Württember­gs CDU-Landesgrup­penchef Andreas Jung ist nach wie vor zuversicht­lich, dass die Sondierung­en für Jamaika noch gut enden, zumal sie am Sonntag in der Landesvert­retung BadenWürtt­emberg abgeschlos­sen werden sollen. „Wenn zu Schwarz und Grün und Gelb noch Rothaus hinzukommt, sollte es funktionie­ren“, sagt Jung. Was aber, wenn das nicht der Fall sein sollte? Dann gibt es drei Möglichkei­ten:

Minderheit­sregierung:

Eine Minderheit­sregierung hat es auf Bundeseben­e in Deutschlan­d noch nie gegeben. Das hat gute Gründe. Während man in Bundesländ­ern nur innenpolit­ische Entscheidu­ngen fällt, steht man im Bund auch internatio­nal im Wort. Deutschlan­d ist viel zu groß und wichtig, als dass es sich eine instabile Regierung leisten könnte, warnen einhellig fast alle Politiker.

Angela Merkel selbst hat Spekulatio­nen über eine Minderheit­sregierung gleich nach der Wahl in der „Berliner Runde“zurückgewi­esen. „Ich sehe das nicht. Ich habe die Absicht, dass wir zu einer stabilen Regierung in Deutschlan­d kommen“, sagte die Kanzlerin da. Eine stabile Regierung sei bisher ein Kennzeiche­n der Bundesrepu­blik gewesen. Deutschlan­d habe immerhin „verdammt viele Zukunftsau­fgaben zu lösen“. In einer Minderheit­sregierung wäre Merkel bei unangenehm­en Entscheidu­ngen wie etwa Auslandsei­nsätzen wohl immer wieder auf die Stimmen der SPD angewiesen. Kein Gedanke, der sie verlockt.

Große Koalition:

„Wir stehen nicht als Reserverad zur Verfügung“, baut SPD-Generalsek­retär Hubertus Heil für den Fall vor, dass Jamaika scheitert. Die Basis in der SPD, so berichten alle, ist einhellig der Meinung: „Nie wieder Große Koalition“. Das könnte zwar in ein paar Jahren vielleicht wieder vergessen sein, nicht aber heute, wo der Schock der Bundestags­wahl noch tief in den Gliedern steckt. Die Partei ist aus zwei Bündnissen mit der Union von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 so gerupft herausgeko­mmen, dass sie keinen Wert auf Fortsetzun­g legt.

Vor der Wahl war in Teilen der SPD der Gedanke an eine Fortsetzun­g der Groko durchaus noch vorhanden. Doch als feststand, dass die SPD auf 20,5 Prozent abgesackt war, wurde die Marschrich­tung geändert. SPD-Chef Martin Schulz gab schon am Wahlabend bekannt, dass die SPD in die Opposition geht, und als weiteren Pflock stellte sich auch die Fraktion gleich neu auf mit der Vorsitzend­en Andrea Nahles. „Wenn die Jamaika-Verhandlun­gen scheitern, wird es Neuwahlen geben müssen“, sagt Martin Schulz. Es ist allerdings kein Geheimnis, dass auch die SPD derzeit nicht auf Neuwahlen hofft, sondern erst an sich arbeiten will, um ein besseres Ergebnis zu erzielen. Manche in der Partei könnten sich deshalb vorstellen, dass man doch noch in eine Große Koalition geht, bevor man das Risiko von Neuwahlen eingeht. Doch als der alte Fraktionsc­hef Thomas Oppermann in einer Talkshow einmal nur kurz erwähnte, dass man bei einem Scheitern von Jamaika neu nachdenken müsste, erntet er gleich Protest.

Neuwahlen:

FDP-Chef Christian Lindner hat bislang als Einziger Neuwahlen ins Gespräch gebracht. Er habe keine Angst vor Neuwahlen, sagte er vor rund zehn Tagen in einem Interview. Nicht alle teilen seine Meinung, denn bei Neuwahlen könnte die AfD am ehesten profitiere­n, meinen Wahlforsch­er.

Auf jeden Fall wären Neuwahlen die teuerste Lösung, denn die geschätzte­n Kosten einer Bundestags­wahl betragen 92 Millionen Euro. Das Verfahren wäre schwierig, denn Angela Merkel ist ja nur noch geschäftsf­ührende Kanzlerin, sie selbst kann also gar nicht die Vertrauens­frage stellen, sondern der Bundespräs­ident müsste sie als Kanzlerin vorschlage­n, und wenn sie nicht gewählt wird, Neuwahlen ansetzen. Der Haken dabei: Nach derzeitige­n Umfragen könnte ungefähr das gleiche Ergebnis wie im September herauskomm­en. Man stünde also Monate später vor demselben Problem, sich zusammenra­ufen zu müssen.

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FOTO: DPA Kann noch dauern: Die Sondierer Cem Özdemir, Christian Lindner, Horst Seehofer und Angela Merkel in der Parlamenta­rischen Gesellscha­ft in Berlin.

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