Irland steht vor Neuwahlen
Eine Affäre um Amigo-Strukturen bei der Polizei bringt die irische Minderheitsregierung von Premier Leo Varadkar in Bedrängnis. Die Opposition hat für kommende Woche eine Vertrauensabstimmung über Wirtschaftsministerin Frances Fitzgerald anberaumt, die in der Vorgängerregierung das Innenressort leitete. Die Nationalistenparteien Fianna Fáil und Sinn Féin werfen der 67-Jährigen mangelnde Aufsicht über die Polizei sowie Vertuschung ihrer Mitverantwortung vor. Fitzgerald lehnt einen Rücktritt ab. Womöglich müssen die Iren noch im Advent an die Wahlurnen.
Ausgerechnet jetzt, zu einem delikaten Zeitpunkt in den Brexit-Verhandlungen, könne das Land Neuwahlen überhaupt nicht brauchen, wetterte Finanzstaatssekretär Michael D'Arcy. Tatsächlich steht für Irland in den nächsten Wochen viel auf dem Spiel: Obwohl London bisher keine zufriedenstellende Lösung für die zukünftige Grenze zwischen der Republik und der britischen Provinz Nordirland vorgelegt hat, drängen die Briten auf eine Erweiterung der Brexit-Verhandlungen. Varadkar hat indirekt damit gedroht, er werde dagegen sein Veto einlegen.
Aus der letzten Wahl 2016, damals noch unter Enda Kenny, war die regierende Fine-Gael-Partei (FG) erheblich geschwächt, aber als stärkste Kraft hervorgegangen. Seither wird die grüne Insel von FG sowie zwei Gruppen unabhängiger Abgeordneter regiert; bei entscheidenden Abstimmungen stützte Fianna Fáil das wacklige Bündnis, das auch den Wechsel im Chefposten von Kenny, 66, zu Varadkar, 38, überstand.
Gefälschte Statistiken
Für den jungen irischen Regierungschef wird nun ausgerechnet seine fast 30 Jahre ältere Stellvertreterin Fitzgerald zum Problem. Die erfahrene Politikerin war 2014 ins Innenressort geschickt worden, um eine längst schwelende Polizeiaffäre zu bewältigen. Sergeant Maurice McCabe hatte als Whistleblower öffentlich gemacht, dass Polizeiführer systematisch die Statistik über alkoholisierte Autofahrer verfälscht hatten. Schlimmer noch: Strafpunkte im irischen Verkehrsregister wurden als Freundschaftsdienst nach Gutdünken getilgt.
Die Polizeiführer reagierten darauf mit der Verunglimpfung des aufrechten Beamten. Dass sie von dieser Strategie Kenntnis hatte, stritt Fitzgerald zunächst lange ab. Erst in diesem Monat tauchte aber im notorisch schlampigen Innenressort eine belastende E-Mail auf. Fitzgerald beging den zusätzlichen Fehler, den Premierminister nicht sofort davon zu informieren, weshalb Varadkar sie im Parlament mit falschen Fakten verteidigte.
Am Wochenende trat nicht nur der FG-Parteivorstand zusammen; gestern traf sich Varadkar auch mit Micheál Martin, dem Chef von Fianna Fáil. Beobachtern der Dubliner Verhältnisse zufolge dürfte das ohnehin wenig ausgeprägte Vertrauensverhältnis zwischen den beiden großen Parteien zerstört sein. Neuwahlen erscheinen, wenn schon nicht im Advent, so doch im kommenden Jahr als unausweichlich.