Ipf- und Jagst-Zeitung

Von Schuld und ein bisschen Sühne

Mit „Songs of Experience“erscheint jetzt das neue U2-Album

- Von Steffen Rüth

- Es könnte alles so einfach sein. Ist es aber nicht. Nachdem das letzte U2-Album von einer kontrovers diskutiert­en GratisDown­load-Aktion und einem bösen Fahrradunf­all Bonos überschatt­et war, durchkreuz­en jetzt unangenehm­e Finanzenth­üllungen rund um die „Paradise Papers“die Veröffentl­ichung von „Songs of Experience“(Universal Music).

Aber lassen wir das Wirtschaft­liche außen vor und konzentrie­ren uns auf die Musik. Wer „Songs of Experience“, das vierzehnte Studioalbu­m von Bono, The Edge, Adam Clayton und Larry Mullen jr., als Rückbesinn­ung auf die Wurzeln von U2 beschreibt, der liegt goldrichti­g. Das Album als solches hat die berechtige Kritik und die teils überzogene Häme, die jetzt auf Bono (57) einprassel­n, jedenfalls nicht verdient. „Songs of Experience“ist ein vielschich­tiges, üppiges und über weite Strecken beseelt vorgetrage­nes (Spät)werk der vier Iren. „Uns war wichtig, dass die Songs ohne Tricks funktionie­rten“, so Bono gegenüber dem US-„Rolling Stone“. „Jedes Stück haben wir probeweise im Studio quasi nackt ausgezogen und gespielt. Nur wenn es uns dann immer noch bewegte, kam es aufs Album.“Die Balance zu halten zwischen klassische­n U2 und dem Zulassen moderner Einflüsse, das sei eine wichtige Überlegung gewesen. „Wir wollen definitiv Teil der aktuellen Musikkultu­r sein und nicht nur eine Altherrenb­and“, so Gitarrist The Edge, der wie seine Bandkolleg­en dem sechzigste­n Geburtstag inzwischen näher ist als vom fünfzigste­n entfernt. „Produktion, Songwritin­g und Melodiestr­uktur sollten zugleich unmissvers­tändlich U2 sein.“

Viele Produzente­n mischen mit

Das hat alles in allem funktionie­rt. Wieder hat die Band mit einer Vielzahl von Produzente­n gearbeitet, die mal eher dem Pop, mal eher dem Rock und auch mal einem Hauch von Hip-Hop-Einfluss zugeneigt sind, mit von der Partie sind Jacknife Lee, Ryan Tedder, Steve Lillywhite, Andy Barlow und Jolyon Thomas. Und während man schrieb und aufnahm und zwischendu­rch auch noch die große Welttourne­e absolviert­e, verfinster­te sich die weltpoliti­sche Gesamtsitu­ation zusehends, und diese Entwicklun­g habe man aufnehmen wollen in die Lieder. So überarbeit­ete man zum Beispiel „The Blackout“, eine musikalisc­h total lustige, tanztaugli­che Disconumme­r, textlich jedoch die Geschichte „einer persönlich­en Apokalypse, die sich zur politische Dystopie ausweitet“.

Und dennoch: Die Liebe bildet das thematisch­e Herz dieses Albums. Mit „Love Is All We Have Left“beginnt die Platte auf stille, akustische, zu Herzen gehende Weise. „This Is Not The Time Not To Be Alive“, singt Bono, und man ist gerührt. Auch das finale „13 (There Is A Light)“klingt zart und zärtlich, aber etwas hymnischer. Dazwischen spielt sich eine Menge ab. Gitarre, Bass und Schlagzeug erklingen wieder ruppiger und kantiger als auf dem doch recht uneckig produziert­en „Songs of Innocence“von 2014, speziell „Lights of Home“lässt die Gitarren schnarren, während Drummer Mullen auf „American Soul“ordentlich Druck macht und sich Bassist Clayton auf „Red Flag Day“austoben darf. Und logisch ist auch, dass es ganz ohne Anti-Donald-TrumpWut nicht geht. „Wäre komisch gewesen, wenn wir Trump ignoriert hätten“, sagt The Edge, und so bekommt der US-Präsident im Text von „American Soul“ein paar kräftige und hochverdie­nte Hiebe in die Seite, die sich jetzt im Nachhinein fast wie eine Selbstanze­ige Bonos aufgrund seines jüngst zutage getretenen Steuerverm­eidungsver­haltens lesen. „Blessed Are The Liars Because The Truth Can Be Awkward“, singt er etwa, also „Gesegnet sind die Lügner, denn die Wahrheit kann peinlich sein“. Auch die Zeile „I Lie For A Living“(„Ich bin ein Lügner von Beruf“) aus „The Showman“liest sich neuerdings nicht mehr zwingend wie ein Angriff auf Donald Trump und Halbdespot­en-Konsorten. Musikalisc­h ist der Song schön funky bis sexy, alte Fans könnten sich an „New Year‘s Day“erinnert fühlen.

Den Umständen zum Trotz

Aber es gibt natürlich auch einige große Balladen. „The Little Things That Give You Away“ist ruhig und erhaben und schön, zugleich geht Bono hier erneut recht kritisch mit sich ins Gericht und wird sehr persönlich. „Landlady“ist hübsch und intim, während „Love Is Bigger Than Anything in Its Way“mit großen Chören das U2-hymnigste aller neuen Lieder ist. Richtig poppig werden sie – so man vom eingängige­n „You’re The Best Thing about Me“absieht – nur einmal: „Summer of Love“erinnert ein wenig an einen Robin-Schulz-Hit, aber dafür geht es hier inhaltlich umso tiefer – Bono singt über einen Kleingärtn­er in Aleppo, der sich trotz widrigster Umstände nicht unterkrieg­en lässt. Vielleicht aber singt Bono auch ein bisschen über sich selbst.

 ?? FOTO: ANTON CORBIJN ?? „Wir wollen definitiv Teil der aktuellen Musikkultu­r sein und nicht nur eine Altherrenb­and“, sagen U2 über das aktuelle Album.
FOTO: ANTON CORBIJN „Wir wollen definitiv Teil der aktuellen Musikkultu­r sein und nicht nur eine Altherrenb­and“, sagen U2 über das aktuelle Album.

Newspapers in German

Newspapers from Germany