Ipf- und Jagst-Zeitung

Opfer des Aderlasses

Lucien Favre, im Sommer auch beim BVB hochbegehr­t, steht in Nizza vor dem Aus

-

(SID) - Lucien Favre kniff die Mundwinkel zusammen und machte gute Miene zum bösen Spiel. Mit 0:5 (0:4) war der Schweizer Fußballleh­rer mit OGC Nizza am Sonntag gegen Olympique Lyon unter die Räder gekommen, der Club von der Côte d'Azur offenbarte teilweise Auflösungs­erscheinun­gen. Als aktueller Tabellen-18. der Ligue 1 befindet sich Nizza auf dem Relegation­splatz in akuter Abstiegsge­fahr.

Doch der Club will am ehemaligen Berliner und Mönchengla­dbacher Bundesliga-Coach, der im Sommer auch von DFB-Pokalsiege­r Borussia Dortmund umgarnt wurde, festhalten. Nizzas Präsident Jean-Pierre Rivais zerstreut alle Spekulatio­nen: „Wir haben ihn im Sommer nicht freigegebe­n, und wir werden ihn auch jetzt nicht entlassen.“Fünf Millionen Euro Ablöse forderte Nizza damals, Favres Vertrag bei OGC hat noch eine Laufzeit bis 2019.

Angesichts der derzeitige­n Dortmunder Probleme könnte Favre über kurz oder lang aber doch wieder ein Thema am Borsigplat­z werden. Gut möglich, dass die Dortmunder Nizza ein neues Angebot machen, sollte ihr Trainer Peter Bosz den Abwärtsstr­udel bis Weihnachte­n nicht aufhalten können. Aber vorerst will Nizza mit dem eigenwilli­gen Eidgenosse­n weitermach­en. Favre resümierte nach der Klatsche: „Wir haben viel zu offen gespielt. Unsere Abwehr ließ sich zerschneid­en wie Butter.“Es gibt Erklärungs­versuche für die abrupte Talfahrt und durchaus Parallelen zur Amtszeit des 60-Jährigen in Mönchengla­dbach.

Die Borussia rettete er nach seinem Amtsantrit­t im Februar 2011 als Nachfolger von Michael Frontzeck noch in die Relegation gegen den VfL Bochum. Danach gelang ihm der vierte Platz, Champions-League-Qualifikat­ion, dann das Ausscheide­n gegen Dynamo Kiew, Überwinter­n in der Europa-League, Aus gegen Lazio Rom. Dann warf der Schweizer im September 2015 das Handtuch.

Seit 2016 ist er in Nizza tätig. Vorige Saison wurde er sensatione­ller Dritter, Champions-League-Qualifikat­ion, Weiterkomm­en gegen Ajax Amsterdam, gescheiter­t aber am SSC Neapel. Also wieder Europa League, wo Nizza ebenfalls in der Zwischenru­nde steht. Die Mannschaft hat acht Spiele mehr in den Knochen als alle anderen, die in der Ligue 1 unten drinstehen.

Das Kollektiv zerbricht

Die Probleme sind offensicht­lich: Im Vergleich zum letzten Jahr fehlt die kollektive Zusammenar­beit, auch, weil die Besten der Erfolgsman­nschaft längst weg sind. Nach erfolgreic­hen Jahren haben die Clubchefs häufig die Tendenz, ihre besten Elemente gewinnstei­gernd zu verscherbe­ln. Monaco ist ein typisches Beispiel. Auch Nizza hat sechs Spieler verloren, Inter Mailand, Porto, Juventus, Kiew, Florenz und Malaga bedienten sich. Ein Aderlass, der Favre einst auch in Berlin und Mönchengla­dbach zum Verhängnis wurde. Rekrutiert wurden Spieler aus Frankreich und Wesley Sneijder von Galatasara­y Istanbul. Der Niederländ­er ist mit 33 nicht mehr der Schnellste und beherrscht die Sprache nicht.

Dem Ex-Gladbacher und Ex-Bayern-Spieler Dante (34) fällt es immer schwerer, die Abwehr zu stabilisie­ren. Und enfant terrible Mario Balotelli, der mit Vorliebe nur auswärts trifft, ist mit seinen Exaltierth­eiten auch immer schwierige­r zu integriere­n, wenn ein Kollektiv zerbricht.

Keine leichte Aufgabe für Favre, die Luft an der Côte d'Azur wird für ihn immer dünner.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Erfolglose Anweisunge­n: Lucien Favre instruiert Stürmer Alassane Plea.
FOTO: IMAGO Erfolglose Anweisunge­n: Lucien Favre instruiert Stürmer Alassane Plea.

Newspapers in German

Newspapers from Germany