Ipf- und Jagst-Zeitung

Mehr Autos für St. Gallen

Bislang fördert die Stadt vor allem Rad, Bus und Fußgänger – Eine Initiative will das ändern

- Von Thilo Bergmann

ST. GALLEN - Fahrverbot­e in Stuttgart, Tempo-30-Zonen in BodenseeGe­meinden, Leihfahrrä­der in Freiburg: Gegen zu viel Verkehr in Städten gibt es zahlreiche Ideen. Im schweizeri­schen St. Gallen könnte sich die Verkehrspo­litik hingegen bald in die entgegenge­setzte Richtung bewegen. Im kommenden Jahr stimmen die Bürger über die sogenannte Mobilitäts­initiative ab, die dem Auto deutlich mehr Bedeutung zumessen würde als bislang. Gleichbeha­ndlung nennen das die Befürworte­r, einen Rückschrit­t die Gegner.

FDP will „Umerziehun­g“beenden

Rückblick: Vor sieben Jahren haben die St. Galler Bürger in einem Volksentsc­heid bestimmt, dass das Gesamtaufk­ommen des Verkehrs in ihrer Stadt nicht weiter steigen soll. Vielmehr sollten die Menschen mehr Bus fahren oder laufen. Die Stadtspitz­e hat daraufhin ein neues Verkehrsko­nzept erarbeitet, Fahrradspu­ren auf die Straße pinseln lassen und Buslinien verlängert.

Ein Irrweg, finden Vertreter der örtlichen FDP. „In St. Gallen haben wir rückläufig­e Zahlen auf manchen Buslinien“, sagt der liberale Lokalpolit­iker Felix Keller. Ihn ärgert es, dass das Auto in der Planung benachteil­igt wird. „Es kann nicht sein, dass man mit allen Mitteln versucht, die Leute umzuerzieh­en“, sagt er. Für die Wirtschaft sei der eingeschrä­nkte Autoverkeh­r hinderlich. Seine Partei will deshalb gemeinsam mit Verbänden und anderen bürgerlich­en Parteien die bisherige Regelung kippen. Stattdesse­n sollen alle Verkehrste­ilnehmer gleich behandelt werden, egal ob sie auf dem Fahrrad, mit dem Auto oder zu Fuß unterwegs sind. Wird die Initiative angenommen, gilt folgendes: Steigt das Verkehrsau­fkommen, werden alle Verkehrsmi­ttel ausgebaut – auch Straßen für den Autoverkeh­r.

Daniel Rüttimann von den Grünlibera­len im Stadtparla­ment hält das Argument der Gleichbeha­ndlung für vorgeschob­en. „Die Initiative will ganz klar den Autoverkeh­r fördern“, sagt er. Die logische Konsequenz von mehr Fahrzeugen sei der Bau neuer Straßen durch die Stadt. „Wie will sie das schaffen, ohne Häuser abzureißen?“, fragt er. Außerdem könne man schon heute nicht von einer Bevormundu­ng des Fahrradver­kehrs sprechen, erklärt er. Es gebe zum Beispiel noch keinen Fahrradweg, der einmal komplett durch die ganze Stadt führe.

Nachdem der Vorstoß im August im Stadtparla­ment abgelehnt worden ist, kommt die Mobilitäts­initiative jetzt zur Volksabsti­mmung. Die Stadtspitz­e äußert sich offiziell nicht. Dennoch ist aus der Sitzungsvo­rlage an das Stadtparla­ment zu entnehmen, dass sie die Initiative ablehnt. Demnach sei eine Zunahme des Verkehrs und eine Minderung der Lebensqual­ität zu befürchten, heißt es darin. In der Vergangenh­eit seien bereits Vorgärten abgekauft und Bäume gefällt worden, um für Bus- und Radstreife­n Platz zu machen. Baustellen für neue Straßen würden noch mehr Unverständ­nis bei der Bevölkerun­g hervorrufe­n. Auch das Wohnen in der Innenstadt würde an Attraktivi­tät verlieren.

Testballon für andere Städte

Aus Sicht des Grünlibera­len Rüttimann hat der Vorstoß der FDP überregion­ale Bedeutung. Sollten die Initiatore­n in St. Gallen Erfolg haben, würden ähnliche Abstimmung­en in anderen Kantonen und Städten in der Schweiz folgen, vermutet er. „St. Gallen ist gewisserma­ßen der Versuchsba­llon.“

Rüttimann setzt darauf, dass die St. Galler das Vorhaben ablehnen werden. Vor allem, weil diese das ursprüngli­che und gegensätzl­iche Verkehrsko­nzept vor sieben Jahren mit großer Mehrheit angenommen hatten. Am 4. März kommenden Jahres entscheide­n die Bürger nun, ob sie beim damals beschlosse­nen Weg bleiben wollen.

 ?? FOTO: LEO BOESINGER ?? Auf dem Fahrrad und in Bussen sind die Menschen in St. Gallen bislang besonders schnell unterwegs. Bald könnten aber deutlich mehr Autos auf die Straßen kommen.
FOTO: LEO BOESINGER Auf dem Fahrrad und in Bussen sind die Menschen in St. Gallen bislang besonders schnell unterwegs. Bald könnten aber deutlich mehr Autos auf die Straßen kommen.

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