„Herausforderungen unterschätzt“
Baden-Württembergs Kultusministerin fordert neue Akzente in der Lehrerausbildung
BERLIN - Susanne Eisenmann, Kultusministerin von Baden-Württemberg und Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK) reagiert im Interview mit Tobias Schmidt bestürzt.
Frau Eisenmann, fast jeder fünfte Viertklässler kann nicht mehr richtig lesen. Wie beurteilen Sie das Ergebnis der Studie?
Deutschlands Grundschüler sind bei der Lesekompetenz stehen geblieben, während die Schüler in vielen anderen OECD-Ländern Fortschritte gemacht haben, weil dort besser und gezielter gefördert worden ist. In der Bundesrepublik gibt es erheblichen Handlungsbedarf. Dass immer mehr Grundschüler erhebliche Leseschwächen haben, ist ein Alarmsignal.
Besonders Kinder mit Migrationshintergrund verlieren beim Lesen den Anschluss. Wie kann man gegensteuern?
Das Problem, dass die Klassen immer heterogener werden – zum einen durch einen steigenden Anteil an Kindern mit ausländischen Wurzeln, aber auch durch die Inklusion – hat an Wucht zugenommen. Die Herausforderungen sind unterschätzt worden. Die Lehrer müssen deutlich stärker unterstützt werden. In Ausund Fortbildung braucht es hier dringend neue Akzente. Auch die Unterrichtsqualität leidet unter der großen Heterogenität. Die Zuwanderung ist aber nur ein Grund. Auch viele deutsche Kinder kommen inzwischen in die Erste Klasse und können noch keinen Stift halten. Andere können schon lesen. Die Kultusministerkonferenz wird sich intensiv mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir bei so unterschiedlich zusammengesetzten Klassen guten Unterricht gewährleisten können.
Das Buch verliert im digitalen Zeitalter generell an Bedeutung. Wie wichtig ist Lesekompetenz heute noch, um im Leben zurechtzukommen?
Lesen zu können ist entscheidend für einen gelingenden Start ins Leben. Wer nicht lesen kann, ist stark im Nachteil, das gleiche gilt für die Schreibekompetenz. Die Schulen müssen alles tun, um den Bedeutungsverlust des Buches aufzufangen und niemanden zurückzulassen.