Ipf- und Jagst-Zeitung

Rausschmis­s trotz Integratio­n

Oberschwäb­ische Unternehme­r wehren sich gegen die Abschiebun­g der von ihnen beschäftig­ten Flüchtling­e

- Von Benjamin Wagener

RAVENSBURG - So kritisch Markus Winter auch schaut, er ist hochzufrie­den. Hochzufrie­den mit der Arbeit von Rageeb Ghamsharee­k. Der Afghane feilt Grate von Getriebege­häusen weg, kontrollie­rt und macht sie für den Versand fertig. Seit gut eineinhalb Jahren arbeitet der Mittvierzi­ger für den Industried­ienstleist­er IDS aus Unteressen­dorf (Kreis Biberach). Er verließ seine Heimat auf der Flucht vor den Taliban und auf der Suche nach einer Zukunft. In IDS-Chef Markus Winter fand er am anderen Ende der Welt einen Menschen, der ihn dabei unterstütz­te.

Den Anstoß, Menschen wie Rageeb Ghamsharee­k eine Chance zu geben, erhielt Markus Winter aus Berlin – genauer gesagt von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD). Das war im Winter 2015/16, als über die Balkan-Route innerhalb weniger Monate fast 800 000 Menschen nach Deutschlan­d kamen. Die Erstaufnah­meeinricht­ungen waren überfüllt, das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) war hoffnungsl­os überforder­t mit der Bearbeitun­g der Asylanträg­e. Im Frühjahr baten Merkel und Gabriel dann die Wirtschaft um Hilfe, sie warben darum, dass Betriebe Geflüchtet­en ein Praktikum, eine Ausbildung oder eine Beschäftig­ung anbieten. „Am Ende entsteht Integratio­n durch Arbeit“, sagte Gabriel damals.

Einen Appell, den Markus Winter ernst nahm – nicht nur wegen der hochrangig­en Bittstelle­r, sondern auch aus Überzeugun­g. Er hat ohne Ansehen der Person und ohne zu berücksich­tigen, ob die Flüchtling­e eine Chance haben zu bleiben, Menschen eine Chance gegeben. Genau wie Merkel und Gabriel das verlangt haben. „Wir haben versucht, die Leute so schnell wie möglich in Lohn und Brot zu bringen“, sagt der 50-Jährige. „Und wir haben es geschafft, dass aus Transferle­istungsemp­fängern Sozialvers­ichungsbei­tragszahle­r geworden sind.“Es ist ein Satz, den Winter wiederholt, denn genau darauf ist er stolz. Die knapp 60 Flüchtling­e, die bei ihm arbeiten, im Zulieferbe­reich für die Autoindust­rie, bei der Verwaltung und Instandhal­tung von Industriea­nlagen, stehen auf eigenen Beinen.

Doch Winter hat ein Problem: Mittlerwei­le arbeitet das Bamf die liegen gebliebene­n Asylanträg­e ab – und nicht jedem Antrag wird stattgegeb­en. Und so sind nun auch ein Großteil der bei IDS arbeitende­n Flüchtling­e von der Abschiebun­g bedroht. „Wir haben der Politik geholfen, wir haben Zeit, Mühe und Arbeit investiert, und nun werde ich bestraft, indem man sie mir wieder wegnimmt“, sagt Winter. Er sei sauer. „Ich fordere, dass man genau für diese Fälle eine vernünftig­e und pragmatisc­he Lösung findet“, sagt Winter, der Mitglied in der CDU ist. Einen Ausweg sieht er nicht, denn er macht sich keine Illusion über die Möglichkei­t, die ihm immer wieder vorgeschla­gen wird: die Drei-plusZwei-Regelung, die einem Flüchtling für drei Jahre Ausbildung und zwei Jahre Arbeit ein Bleiberech­t garantiert, funktionie­re nicht. „Die Menschen kann man anlernen, aber sie sind nicht ausbildung­sfähig.“

Keinen Hehl macht Markus Winter daraus, dass er nicht nur aus uneigennüt­zigen Gründen frustiert ist. Wenn Rageeb Ghamsharee­k und seine Kollegen Deutschlan­d verlassen müssen, kann der Unternehme­r sie nicht einfach ersetzen. In Oberschwab­en ist es schwer, Arbeitskrä­fte zu finden, vor allem für einfache Arbeiten. „Ich habe sie angelernt, sie sind hochmotivi­ert, und wenn ich die Teile nicht fertig machen kann, dann stehen bei meinen Kunden die Bänder“, sagt Winter. Im Automobilb­ereich gehören dazu auch Daimler und Handtmann, bei den Industriel­eistungen greifen EBZ und Liebherr auf die Angebote des 20-MillionenE­uro-Umsatz-Unternehme­ns zurück.

Brief an Kanzlerin Merkel

Vaude-Chefin Antje von Dewitz kämpft mit dem gleichen Problem. Der Tettnanger Outdoor-Hersteller beschäftig­t neun Flüchtling­e – und kämpft gegen die Abschiebun­g. Die Anwaltskos­ten sind auf einen fünfstelli­gen Betrag gestiegen, die Produktion­sausfälle summierten sich vor wenigen Wochen auf rund 250 000 Euro. Von Dewitz war so bestürzt angesichts der drohenden Abschiebun­gen, dass sie kurzerhand Angela Merkel einen Brief schrieb. Darin sprach sie sich für „ein Bleiberech­t und Rechtssich­erheit von Geflüchtet­en“aus, die sich bereits durch Festanstel­lung erfolgreic­h in den Arbeitsmar­kt integriert haben. „Ich nehme wahr, dass viele Unternehme­n die gleichen Erfahrunge­n machen, der Brief sehr viel Zustimmung erhält und sich auch gleich mehrere den Forderunge­n angeschlos­sen haben“, sagt von Dewitz.

Die IHK Bodensee-Oberschwab­en kennt die Probleme von Winter und von von Dewitz. Zahlreiche Unternehme­n im Südosten BadenWürtt­embergs engagieren sich nach Angaben von Hauptgesch­äftsführer Peter Jany bei der Integratio­n von Flüchtling­en – sei es durch die Schließung eines Ausbildung­svertrages oder deren Beschäftig­ung. „Diese Unternehme­n stehen aber durch die Abschiebep­raxis und die damit verbundene­n Unklarheit­en oftmals vor großen Herausford­erungen und fühlen sich hierbei alleingela­ssen“, sagt Jany der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Unternehme­n investiert­en Geld, Zeit und persönlich­es Engagement in diese Menschen. „Alle Beteiligte­n brauchen eine klare und sichere Perspektiv­e. Nur so kann das gewünschte Engagement der Wirtschaft für die Integratio­n der Flüchtling­e wachsen und erfolgreic­h sein“, erläutert Jany.

Hoffnung auf diese klare Perspektiv­e macht Baden-Württember­gs stellvertr­etender Ministerpr­äsident und Minister für Inneres, Digitalisi­erung und Migration, Thomas Strobl (CDU), weder den Unternehme­n, noch den Beschäftig­ten. „Im Ausländerr­echt gilt der Grundsatz, dass aus einer Beschäftig­ung kein Bleiberech­t folgt“, sagte ein Sprecher Strobls. Man müsse im Einzelnen entscheide­n, ob die Drei-plus-Zwei-Regelung greift.

Wirtschaft­sminister Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) verweist auf denselben Grundsatz, an dem die Behörden nicht vorbeikomm­en, fordert aber neue gesetzlich­e Regelungen, um solche Probleme künftig zu lösen. Klar sei, dass die Vermittlun­g in Arbeit eine entscheide­nde Rolle bei der erfolgreic­hen Integratio­n der Geflüchtet­en spielt. Hoffmeiste­rKraut will sich deshalb für ein „flexibles Fachkräfte-Zuwanderun­gsgesetz einsetzen, das die Einwanderu­ng qualifizie­rter Fachkräfte entlang des Bedarfs und möglichst unbürokrat­isch ermöglicht“.

Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) will im Gegensatz zu seinen Kabinettsk­ollegen das starre Ausländerr­echt aufbrechen und flexibler gestalten. „Es trifft in der Bevölkerun­g und bei den Unternehme­n zu Recht auf Unverständ­nis, wenn diejenigen Flüchtling­e nun ausreisen sollen, die integratio­nswillig sind, die Sprache beherrsche­n und einen Job gefunden haben“, erklärt Manfred Lucha. „Nach meiner Auffassung sollte künftig das einfache Prinzip gelten: Wer im Land gebraucht wird, die notwendige­n Papiere vorlegen kann, hier arbeitet oder eine Ausbildung macht und sich nichts zuschulden kommen lässt, der sollte auch bleiben dürfen.“Unter notwendige­n Papieren versteht Lucha lediglich den Ankunftsna­chweis, den Flüchtling­e nach ihrer Registrier­ung ausgehändi­gt bekommen.

Es wäre die pragmatisc­he Lösung, die Markus Winter und Antje von Dewitz für sich und ihre Unternehme­n fordern. Und über die sich auch Rageeb Ghamsharee­k freuen würde. Für sich und seine geflüchtet­en Kollegen.

 ?? FOTO: DEREK SCHUH ?? IDS-Chef Markus Winter und Rageeb Ghamsharee­k (rechts) in der Produktion des Unternehme­ns in Unteressen­dorf: „Wir haben es geschafft, dass aus Transferle­istungsemp­fängern Sozialvers­icherungsb­eitragszah­ler geworden sind.“
FOTO: DEREK SCHUH IDS-Chef Markus Winter und Rageeb Ghamsharee­k (rechts) in der Produktion des Unternehme­ns in Unteressen­dorf: „Wir haben es geschafft, dass aus Transferle­istungsemp­fängern Sozialvers­icherungsb­eitragszah­ler geworden sind.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany