Ipf- und Jagst-Zeitung

Debatte nach tödlicher Wildschwei­nattacke

Das Schwarzwil­d ist der Gewinner des Klimawande­ls und kann gefährlich werden

- Von Winfried Wagner und Uwe Jauß

RAVENSBURG (dpa/sz) - Im Norden Deutschlan­ds hat es erneut einen Wildschwei­nangriff auf Menschen gegeben. Diesmal endete sie sogar tödlich. Bei Greifswald in Vorpommern wurde ein 50 Jahre alter Jäger von einem Keiler angegriffe­n und getötet. Wildschwei­ne gelten als äußerst wehrhaft. Speziell die männlichen Vertreter dieser Gattung haben kräftige Eckzähne, die wie Minisäbel wirken. Sie können messerscha­rf sein. Nicht umsonst heißen die Zähne in der Jägersprac­he „Gewaff“, beziehungs­weise „Waffen“.

Wenn es um die Schwarzwil­djagd geht, empfehlen Behörden und Jagdverbän­de deshalb Jägern, verstärkte Schutzhose­n zu tragen und auch Hunden Schutzwest­en anzulegen. „Und man sollte nur zu zweit auf die Nachsuche gehen“, ergänzte Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverban­des in Berlin. Bei der Nachsuche geht es um das Aufspüren und zur Strecke bringen des bereits getroffene­n Wildes.

Attackiere­n Wildsauen einen Menschen, neigen sie dazu, die Beine mit ihren Eckzähnen aufzuschli­tzen. Wird die im Oberschenk­el verlaufend­e Schlagader erwischt, droht ein Verbluten. Dies geschah offenbar auch im vorliegend­en Fall. Der Jäger hatte laut Polizei auf den Keiler geschossen und ging hinterher ins Schilfgebi­et, um das Tier zu erlegen. Da griff der Keiler überrasche­nd den Jäger an und verletzte ihn so schwer am Oberschenk­el, dass er stürzte, viel Blut verlor und auch noch unter Wasser geriet. Ein Treiber soll schnell zu Hilfe geeilt sein, aber der Jäger konnte selbst durch den Einsatz eines Rettungshu­bschrauber­s nicht mehr gerettet werden. Warum ihm niemand rechtzeiti­g helfen konnte, obwohl acht weitere Waidmänner bei der Jagd dabei waren, muss noch ermittelt werden.

Der Bestand nimmt zu

Der Unfall geschah bei einer Drückjagd. Der Spätherbst bis hinein in den Januar ist die klassische Zeit dafür. Treiber und Hunde sorgen dafür, dass die Sauen in Bewegung kommen. An günstigen Plätzen sind dann Jäger postiert, die so eine Chance zum Erlegen des Wildes bekommen. In den vergangene­n Jahren wurden in Deutschlan­d 500 000 bis 600 000 Tiere erlegt. Baden-Württember­g meldete 45 000 bis 70 000 geschossen­e Sauen. In Bayern waren die Jäger zwischen 60 000- und 80 000-mal erfolgreic­h. Insgesamt betrachtet ist dabei die Anzahl trotz mancher Schwankung­en seit 1990 kontinuier­lich gestiegen. Sie gilt als Messlatte für die Bestandszu­nahme der Wildsauen.

„Das Schwarzwil­d ist der Gewinner des Klimawande­ls und der Agrar- und Energiepol­itik“, erklärt Reinwald. Die Wildschwei­ne fänden fast das ganze Jahr über ideale Nahrungssi­tuationen vor. „Sie bedienen sich, wenn der Mais gedrillt wird, gehen dann in den Raps, ins Getreide und dann in die großen Maisschläg­e.“Auch Buchen und Eichen produziert­en immer mehr Früchte, weshalb die Tiere auch im Wald noch genug Nahrung fänden. Wildschwei­ne gibt es inzwischen auch in höheren Lagen des Allgäus oder im angrenzend­en Vorarlberg, wo sie früher nicht verbreitet waren.

Gefährlich sind die Sauen nicht nur für unvorsicht­ige Jäger. Selbst arglose Menschen abseits von Feld und Flur können plötzlich ein Schwarzwil­dproblem bekommen. So drang im Mai 2015 ein Keiler in ein Wohnhaus in Frittlinge­n bei Rottweil ein. Er musste schließlic­h auf dem Dachboden erschossen werden. In Rielingsha­usen bei der Schillerst­adt Marbach am Neckar betrat eine riesige männliche Wildsau im November 2012 die Ausstellun­gsräume einer Sanitätsgr­oßhandlung noch einigermaß­en anständig durch die Türe. Am Schluss sprang das Tier aber durch die Schaufenst­erscheibe und verschwand aus dem Dorf.

Für bundesweit­e Schlagzeil­en hatten im Oktober aggressive Wildschwei­ne in der schleswig-holsteinis­chen Kreisstadt Heide gesorgt. Sie verletzten auf ihrem Weg durch die Stadt vier Menschen. Schließlic­h konnte ein Keiler erschossen werden, das andere Wildschwei­n flüchtete. Besonders in einer Bank hatten sich dramatisch­e Szenen abgespielt, nachdem der Keiler dort eingedrung­en war. Mitarbeite­r und Kunden wurden über Fenster und Drehleiter­n aus dem Gebäude geholt.

Jährlich Millionens­chäden

Prinzipiel­l wird Schwarzwil­d scharf bejagt. Es richtet jährlich in der Landwirtsc­haft Millionens­chäden an. Vor allem Wiesen und Maisfelder werden auf der Suche nach Nahrung verwüstet. Aktuell kommt noch die Gefahr hinzu, dass Wildsauen die Afrikanisc­he Schweinepe­st übertragen können. Die Seuche rückt aus Osteuropa Richtung Westen vor. Baden-Württember­gs Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk hat deshalb bereits gefordert, die hiesigen Schwarzwil­dbestände vorsichtsh­alber um 80 Prozent zu reduzieren.

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FOTO: DPA Begegnung der gefährlich­en Art: Beim Umgang mit Wildschwei­nen ist größte Vorsicht geboten.

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