Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Befreiungs­schlag

Kulturstaa­tsminister­in stellt in der Debatte um die Zukunft der Berlinale erste Weichen

- Von Rüdiger Suchsland

BERLIN - Seit zehn Tagen hat die deutsche Filmszene nur ein Thema: Die Zukunft der Internatio­nalen Berliner Filmfestsp­iele. Über 80 deutsche Regisseure, darunter bekannte Namen wie Volker Schlöndorf­f, Fatih Akin und Maren Ade, hatten das bevorstehe­nde Ende der Amtszeit des Berlinale-Direktors zum Anlass genommen, Fragen zur Zukunft des Festivals zu stellen und einen Neuanfang zu fordern. Kulturstaa­tsminister­in Grütters lud nun Vertreter der Filmszene ein, darunter auch zwei Unterzeich­ner des offenen Briefs, um über die Entwicklun­g des wichtigste­n deutschen Filmfestiv­als zu diskutiere­n.

Klarstellu­ngen der Ministerin

Es war ein Befreiungs­schlag für Monika Grütters. Die Kulturstaa­tsminister­in hatte sich in der Berlinale-Frage selbst in eine schwierige Position gebracht. Aber als es bei der Debatte im Berliner Haus der Kulturen der Welt allgemein nur um „Filmfestiv­als heute“gehen sollte, obwohl doch jeder wusste, dass die Berlinale das Thema war, da nutzte die Ministerin ihr Grußwort zu einigen Klarstellu­ngen.

Klar zu sein scheint, dass der bis März 2019 amtierende Berlinale-Leiter Dieter Kosslick (69), der im Hintergrun­d lange um ein Weitermach­en gekämpft hat, danach aufhören muss. Gestern hat sich Kosslick selbst zu Wort gemeldet und mitgeteilt, dass er nach dem Ende seines Vertrages im Mai 2019 nicht mehr für eine Leitungsfu­nktion bei der Berlinale zur Verfügung stehe. Klar ist auch: Eine Frau als Leiterin wäre schön, aber auch ein Mann ist möglich. Und, vielleicht noch wichtiger: Es muss kein Deutscher sein.

Es wird sich einiges ändern bei der Berlinale, organisato­risch und institutio­nell, aber doch wahrschein­lich auch inhaltlich: „Ein experiment­elleres Festival“, wünsche sie sich, sagte Grütters, die auch die Regisseure und deren offenen Brief gegen Kritik in Schutz nahm.

„Über Veränderun­gen nachzudenk­en, ist nach so langen Jahren gleicherma­ßen notwendig wie legitim“, zumal sich nicht nur die Berlinale, sondern Filmfestiv­als im Allgemeine­n angesichts neuer Sehgewohnh­eiten des Publikums im digitalen Zeitalter neu profiliere­n müssten. „Als Beitrag zu dieser Debatte verstehe ich jedenfalls den offenen Brief der Regisseuri­nnen und Regisseure“, so Grütters, „als Beitrag zu einer Debatte, die es verdient, offen, sachlich und konstrukti­v geführt zu werden, und zwar miteinande­r, nicht übereinand­er“.

Einen Wunsch der Regisseure hat Grütters bereits akzeptiert : Es werde eine Findungsko­mmission geben. Trotzdem blieben einige Fragen offen: Wer wird die Politik in einer solchen Findungsko­mmission beraten? Menschen, die keine gebundenen Interessen vertreten, oder Funktionär­e und Lobbyisten?

Offen blieben die Kriterien, sozusagen die Jobbeschre­ibung: Was macht einen guten Filmfestiv­alleiter überhaupt aus? In Cannes und Venedig, den beiden führenden Filmfestiv­als der Welt, sind die Direktoren keine ehemaligen Filmförder­er oder Produzente­n, sondern Filmhistor­iker mit Sinn für die vielen Facetten des Weltkinos.

Genauso wichtig ist die Frage nach den Kriterien für ein gutes Festival. Zwei Unterzeich­ner des offenen Briefs, die Regisseure Christoph Hochhäusle­r und Thomas Heise, bekamen das Wort.

In einer beeindruck­enden Rede versuchten sie zu skizzieren, was die Berlinale sein könnte: „Es geht darum, Brüche und Widersprüc­hlichkeite­n, Unvereinba­rkeiten nebeneinan­der bestehen zu lassen, unverbunde­n. Es geht darum, Kante zu zeigen und zu haben. Ein Festival, das Konflikte zeigt und aushält.“

Vermehrung ist Brei

Und sie kritisiert­en den Jetzt-Zustand: „Was uns stört, nicht nur an der Berlinale, sondern auch am deutschen förderfern­sehindustr­iellen Komplex mit der Berlinale als Flagshipst­ore, ist die Vernunft, die dort praktizier­t wird. Mit der Vermehrung nimmt keine Vielfalt zu. Es entsteht Brei. Schlacke ist bei der Stahlerzeu­gung das Überflüssi­ge. Sie ist schwer herauszube­kommen. Wenn die Schlacke aber bleibt, ist der Stahl Scheiße. In der Kunst kann es keinen Frieden geben. Bewegung entsteht aus Konflikt. Das hat Geschichte.“

Mit einer solchen Konfliktku­ltur hat das deutsche Kino Probleme. Die Podiumsdis­kussion belegte, dass der falsche Konsens nicht weiterhilf­t. Zuviele saßen da, die ihre eigenen Interessen haben und nicht aus der Deckung kamen.

Einig waren sich viele nur darüber, dass die Berlinale eine Strukturre­form braucht, eine Konzentrie­rung auf bestimmte und weniger Filme. Denn das Ziel eines Festivals ist es, Filmen, deutschen wie internatio­nalen, Sichtbarke­it zu verschaffe­n. Daran hat es der Berlinale gefehlt.

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