Der wahre Raketenmann
Elton John zündet vor mehr als 7000 Fans in Friedrichshafen ein Feuerwerk an Hits
- Es braucht nur ein paar wenige Klicks im Netz, um zu erkennen, dass man es bei diesem Elton John mit keinem Gewöhnlichen zu tun hat. Man stößt da zum Beispiel auf folgende Tourneedaten: 16. Dezember 2017 Friedrichshafen, dann 27-mal Las Vegas, ehe als bisher letzte Termine des Jahres 2018 im Juni und Juli zwei Auftritte in Georgien gelistet sind. Willkommen in der Welt von Reginald Kenneth Dwight aus Middlesex in England, der sich seit 1967 Elton John nennt – ein Name, den der damals 20-Jährige aus den Vornamen eines frühen Bandkollegen und des britischen Bluesmusikers und Sängers Long John Baldry zusammengebastelt hat.
Den Mann, den er einst mit seiner Band Bluesology auf dessen Tour durch England unterstützte, hat er an Popularität um Lichtjahre übertroffen. Und wen nicht? Um eine „residency“in Las Vegas zu bekommen, muss man anders sein als andere. Mit einem weißen Tiger auf der Bühne erscheinen wie Siegfried & Roy, zaubern können wie David Copperfield oder Frank Sinatra heißen oder Celine Dion. Oder halt Elton John. Seit mittlerweile elf Jahren unterhält er die Gäste im Colosseum des weltberühmten Hotels Ceasars Palace, zuerst mit der Show „The Red Piano“, seit 2011 mit dem „Million Dollar Piano“. Dieses ganz besondere Klavier herrscht über mehr als 68 LEDVideowände. Bauzeit: vier Jahre.
Für die Show in der Rothaushalle reichten zwei Tage, dann stand die Bühne mit der zentralen Videowand und den beiden seitlichen. Völlig ausreichend für beste Unterhaltung der mehr als 7000 am Freitagabend. Die stehen teilweise noch im Parkstau, als Elton John und seine fünf lang gedienten Mitstreiter überpünktlich um 18.59 Uhr mit „The Bitch Is Back“loslegen. Der Maestro, gekleidet in einen für seine Verhältnisse dezenten Smoking mit roten Stickereien und Pailletten, hat keine Zeit zu verlieren, noch am selben Abend geht es zurück in die Heimat mit dem Privatjet. Zuvor aber lässt er sich nicht lumpen und haut in zwei Stunden und zehn Minuten 23 Lieder und ein ausgedehntes Klaviersolo raus.
Ein Leben aufs Klavier gebaut
Die schwarzen und weißen Tasten sind Elton Johns Lebenselixier, sie haben ihm alles ermöglicht: den Ruhm, den Reichtum, das ganze pralle Leben. Oma Ivy hat ihn einst als Dreikäsehoch ans Klavier gesetzt, und als Elfjähriger war Reginald so weit, dass er ein Stipendium an der Royal Academy of Music erhielt. 1967 bewarb er sich auf die Anzeige eines Musiklabels, lernte Texter Bernie Taupin kennen – und ab ging die Post: Eines der erfolgreichsten Songschreiberteams in der Geschichte der populären Musik hatte sich gefunden. Mit der einfühlsamen Ballade „Your Song“, in Friedrichshafen Nummer 17, begann die Weltkarriere. Die hatte ein aufgeweckter Musikkritiker Elton John schon nach dessen erstem US-Auftritt 1970 in einem Club in Los Angeles prophezeit.
Die überbordende Musikalität und sein Talent für Melodien machten Elton John zum größten Star der 1970er-Jahre. Was immer er anpackte, wurde zum Erfolg. Soul, Disco, Country, Rock, klassische Popballaden und sogar Progressive Rock, alles kein Problem. Unermüdlich und scheinbar mühelos spuckte er Hit um Hit aus wie eine Jukebox und erwies sich zudem als geborener Entertainer. Zwischen 1972 und 1976 hatte er 16 Top-20-Hits in Serie. Mit seinem Raketenmann („Rocket Man“) ging’s in die Umlaufbahn, auch in Friedrichshafen, wo nach dem Klaviersolo nur noch Hochkaräter folgen: „Goodbye Yellow Brick Road“, „Sorry Seems To Be The Hardest Word“, „Sad Songs“, „Don’t Let The Sun Go down on Me“, „Crocodile Rock“, später, als Zugabe, „Candle in The Wind“, die meistverkaufte Single der Welt, sein allergrößter Erfolg. Und natürlich: „I’m Still Standing“.
Ja, er steht immer noch auf der Bühne , nach all den Jahren, 70 inzwischen. Der Gang wacklig, die Körperfülle unübersehbar, der Falsettgesang nach einer Kehlkopf-Operation lange verloren. Bei Balladen wie „Daniel“erinnert man sich leicht wehmütig an alte Tage mit ausgefeilterer Gesangstechnik, aber seine markante Männerstimme funktioniert immer noch, hat Druck und Autorität.
Die Kurve gekriegt
Ungeschoren kommt halt keiner durchs Leben, ein Popstar vom Rang Elton Johns auch nicht. Die Zeiten der Rekordverkäufe, Rekordverträge, des weltweiten Ruhms mündeten in andere Exzesse: Kokain, Alkohol, Bulimie. Bei manchen Auftritten sah Elton John aus wie ein Karnevalswagen aus Rio, seine Brillensammlung und seine schrillen Klamotten sind legendär. Wenn er alte Bilder sehe, könne er nicht glauben, dass er das wirklich mal getragen habe, erzählt er heute. Ende der 1980er-Jahre hat er die Kurve gekriegt, den ganzen Plunder versteigert, sich einem Drogenentzug unterzogen, einer Haartransplantation, sich zu seiner Homosexualität bekannt und begonnen, sich für die Aids-Hilfe zu engagieren – ein Schnitt, der ihm das Leben rettete, sagt er. Still standing.
„Wie wundervoll das Leben doch ist, während du auf der Welt bist“, singt Elton John in „Your Song“– ein Glücksgefühl, das er selbst seit 50 Jahren Millionen von Fans beschert. Es gibt nicht so viele, die das für sich in Anspruch nehmen können.