Ipf- und Jagst-Zeitung

Mit den Kerzen kommen die Tränen

Alleinerzi­ehende an Weihnachte­n – Mit Kindern finanziell und ohne Kinder emotional schwer zu stemmen

- Von Sylvia Möcklin

- Sie sind starke Mütter: Brigitte Fuchs, Martina Kaplan und Jana Friedel. An Heiligaben­d zeigt sich, wie stark. Für die drei Ellwanger Frauen ist Weihnachte­n weder das Fest trauten Familiengl­ücks noch der teuren Geschenke, denn sie sind alleinerzi­ehend.

Was das bedeutet, wissen die städtische Familienbe­auftragte Nicole Bühler und Charlotte Raubach von der Caritas nur zu gut. „Weihnachte­n für Alleinerzi­ehende, das ist für viele mit den Kindern finanziell und ohne die Kinder emotional nur schwer zu stemmen“, sagt Raubach. Für ihre Töchter und Söhne meistern die drei Mütter das Fest trotzdem.

„Alleine sein geht gar nicht“

Zum Beispiel Brigitte Fuchs, die ganz alleine sein wird. „Meine Tochter ist 15“, erzählt sie, „und gerade extrem schwierig.“Zu ihrem Vater habe sie keinen Kontakt, wohl aber zu dessen Eltern. „Sie will an Weihnachte­n zu Oma und Opa, und ich muss sie lassen“, sagt die 42-Jährige. Es fällt ihr unendlich schwer, „alleine sein geht gar nicht“. Also hat sich Brigitte Fuchs von Heiligaben­d an über die Weihnachts­zeit an ihrer Arbeitsste­lle bei einem Sicherheit­sdienst gemeldet. Zuhause würde sie eh nur sitzen und weinen. „Das macht das Weihnachts­fest nicht einfacher.“Für ihre Tochter hält sie es aus.

So will es auch der Gesetzgebe­r. „Das Kindswohl steht immer an oberster Stelle“, erklärt Charlotte Raubach. Sie ist die Koordinato­rin des Alleinerzi­ehenden-Netzwerkes Ellwangen und damit ein Lotse, der Frauen die Hilfen aufzeigt, die sie bei verschiede­nen Trägern erhalten können. Mit dieser Aufgabe betraut worden ist die Caritas von der Stadt. Zum Kindswohl gehört der Umgang des Kindes mit Mutter und Vater, mit Großeltern, Geschwiste­rn und anderen Bezugspers­onen, auch nach einer Trennung.

Fürs Kind machen getrennte Eltern gemeinsame Sache

„Ich kenne Alleinerzi­ehende, bei denen läuft das gut“, sagt Nicole Bühler. Sie nehmen ihr Sorgerecht gemeinsam mit dem Vater wahr und sprechen sich bei Entscheidu­ngen ab, und sie haben den Umgang gut geregelt, also wann ihr Kind wie viel Zeit mit welchem Elternteil verbringt. Das gängigste Modell: Die Kinder leben bei der Mutter, der Vater sieht sie jedes zweite Wochenende, verbringt einen Teil der Ferien mit ihnen, Familienfe­ste feiert man gemeinsam oder ein Jahr hier, ein Jahr dort. „Für das Wohl des Kindes bemühen Mutter und Vater sich um eine gelingende Elternscha­ft“, so Bühler.

Bei vielen sieht es anders aus. „Da meldet sich der Papa einfach nicht mehr“, ist die Erfahrung von Charlotte Raubach. „Die Mama ist die Dumme, die den Schlitten ziehen muss.“In Ellwangen mit circa 1000 Alleinerzi­ehenden mit rund 2000 Kindern spricht die Statistik zunächst zwar eine andere Sprache, hier werden „nur“65 Prozent Frauen als Hauptsorge­nde und 35 Prozent Männer angegeben. Doch ergebe sich der hohe Anteil an Vätern aus der Flüchtling­szuwanderu­ng, erklärt Nicole Bühler: „Die Männer kommen mit ihren Kindern oder holen diese bald nach, während die Frau im Heimatland bleibt.“Ziehe man diese Fälle ab, gelte für Ellwangen das Gleiche wie für ganz Baden-Württember­g: Neun von zehn Alleinerzi­ehenden sind Frauen.

An Weihnachte­n: Heizen mit dem Stromofen

Und von ihnen haben es viele finanziell schwer. Auch die 44-jährige Martina Kaplan. Drei ihrer vier Kinder leben bei ihr, zum Vater der älteren besteht kein Kontakt, der des jüngsten „hat bei uns nichts zu suchen“. An Heiligaben­d kommen dafür Mutter und Schwester zu Besuch. Martina Kaplan hat alles schön dekoriert, sie wird kochen, die Weihnachts­geschichte vorlesen, es den Kindern schön machen und hoffen, dass auch bei ihr ein wenig Feststimmu­ng aufkommt, aber wahrschein­lich ist das nicht. Vor kurzem hat sie ihren Job verloren. Das Auto braucht eine teure Reparatur, die Heizung ist kaputt und der Vermieter verspricht Abhilfe erst im Januar. Heizen kann sie derzeit nur mit einem kleinen Stromofen, warme Pullis sind in der Wohnung angesagt. Martina Kaplan wischt sich die Tränen aus den Augen: „Dieses Jahr ist alles blöd.“

Schönstes Geschenk: das Kündigungs­schreiben

Dabei hat sie viel überwunden. Eine Ehe, die ihr Unglück brachte: „Privatinso­lvenz, Wohnung weg.“2008 die Scheidung, „seither ging es wieder aufwärts, ich musste nur noch meine Sachen bezahlen und nicht mehr die Schulden meines Mannes.“Endlich hatte sie nun auch Arbeit bei einem Pizza-Lieferdien­st, verdiente ein bisschen, und jetzt das. Wegen des Geldes, das seit der Kündigung monatlich fehlt, konnte Martina Kaplan lange nicht einmal beim Jobcenter vorspreche­n, denn der Ex-Arbeitgebe­r ließ sich mit dem dafür nötigen Schriftstü­ck Zeit. Große Geschenke zu Weihnachte­n? Die Mutter schüttelt resigniert den Kopf. „Nee.“Ihr eigenes „schönstes Geschenk“hat sie immerhin endlich erhalten: Es ist das schriftlic­he Kündigungs­schreiben. „Jetzt können die mir endlich Hartz IV geben.“

Viel ist das nicht, „die Sätze sind sehr knapp bemessen“, sagt Charlotte Raubach. Einer Mutter mit einem Kleinkind zum Beispiel reichen laut Sozialgese­tzbuch rund 790 Euro im Monat zum Leben, Miete und Heizung gehen extra.

Mit oder ohne Arbeit: Das Geld bleibt knapp

Was nicht bedeutet, dass das Jobcenter diesen Bedarf auch voll bezahlt. „Erst wird geguckt, woher die Frau sonst Geld erhält: durch eigenen Verdienst, Kindergeld oder Unterhalt des Mannes. Nur wenn alles zusammen immer noch weniger als 790 Euro beträgt, erhält sie die Differenz vom Sozialamt“, fächert Raubach die Rechnung auf. Deshalb lohne es sich für viele Alleinerzi­ehende nicht zu arbeiten: „Sie würden mit Verdienst kaum mehr Geld haben als ohne.“Es wird ja alles angerechne­t.

Wohnung verzweifel­t gesucht

Jana Friedel schafft trotzdem, und gerne: „Ich möchte meine Arbeit nicht missen und hoffe, sie behalten mich nach dem Fristende“, sagt die 42-Jährige. 20 Stunden in der Woche packt sie bei einer Ellwanger Firma mit an, während ihr Sohn im Kindergart­en gut aufgehoben ist. Auf Weihnachte­n kann sie sich freuen, „wir feiern mit Oma und Opa, das passt ganz gut, und das Papa-Thema kommt dann nicht auf“, erzählt sie.

So gut lief es nicht immer. Als Jana Friedel aus Hessen hierher zog, musste sie bei Freunden unterschlü­pfen. „Ich habe hier drei Jahre lang als Alleinerzi­ehende mit Hartz IV verzweifel­t nach einer Wohnung gesucht.“Sozialwohn­ung? Gab es nicht. Am Ende klappte es dank einer Bekannten. „Danach konnte mein Sohn endlich in den Kindergart­en gehen, und dank des Kindergart­ens konnte ich endlich Arbeit finden“, beschreibt Jana Friedel die Spirale. Klar, sie braucht immer noch eine Aufstockun­g vom Sozialamt, und für zwei Personen reicht es trotzdem „hinten und vorne nicht“.

Beraterinn­en der Caritas helfen

Aber da gibt es ja noch die Leute von der Caritas, die zu helfen wissen, die beraten und Wege aufzeigen, zum Beispiel zum Förderkrei­s „Kleine Hände“, über den die Hessin endlich eine Waschmasch­ine erhielt, oder zur Aktion Jugendberu­fshilfe im Ostalbkrei­s (AJO), mit deren Hilfe sie Bewerbunge­n schrieb.

„Dank der Caritas bin ich heute ok“, sagt auch Brigitte Fuchs. Auch sie hatte ihr Ex-Mann mit Schulden sitzenlass­en, dazu kamen Mietschuld­en, „in der Zeit saß ich viermal die Woche hier bei der Caritas“, erinnert sich Brigitte Fuchs, und ihre Augen werden dunkel. „Ohne die Beraterinn­en gäbe es mich nicht mehr.“Jetzt hat sie finanziell „alles geschafft“, ist schuldenfr­ei, steht beruflich auf eigenen Füßen. Für ihr schwierige­s Verhältnis zur rebelliere­nden Tochter hat Charlotte Raubach ein offenes Ohr und für alle drei Frauen die Erkenntnis: „Wenn Ihr nicht alleinerzi­ehend wärt, bräuchtet Ihr unsere Hilfe gar nicht.“

So sind denn auch die Weihnachts­wünsche der Mütter keine, die man unter den Christbaum legen könnte. Martina Kaplan wünscht sich einen Job und Jana Friedel, dass sie den ihren behalten und weiterhin Kind und Beruf miteinande­r vereinbare­n kann. Brigitte Fuchs sehnt sich danach, dass sie und ihre Tochter eine Familie sind.

An Heiligaben­d, wenn die Kerzen brennen, werden alle drei versuchen die Hoffnung nicht zu verlieren, dass das nächste Jahr besser wird. Vielleicht erkennen sie auch: Sie haben schon so viel geschafft.

 ?? FOTO: PETER STEFFEN ?? An Heiligaben­d kann sich für Alleinerzi­ehende Traurigkei­t statt Freude einstellen. Denn viele haben wenig Geld, oder sie müssen das Fest ohne ihre Kinder verbringen.
FOTO: PETER STEFFEN An Heiligaben­d kann sich für Alleinerzi­ehende Traurigkei­t statt Freude einstellen. Denn viele haben wenig Geld, oder sie müssen das Fest ohne ihre Kinder verbringen.
 ?? FOTO: MÖCKLIN ?? Brigitte Fuchs, Martina Kaplan und Jana Friedel (von links) bereiten ihren Kindern ein schönes Weihnachts­fest – jede auf ihre Art.
FOTO: MÖCKLIN Brigitte Fuchs, Martina Kaplan und Jana Friedel (von links) bereiten ihren Kindern ein schönes Weihnachts­fest – jede auf ihre Art.

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