Kleinbühnen der Frömmigkeit
Eine feine Ausstellung in Schloss Glatt bei Sulz am Neckar spiegelt schwäbische Weihnachtskultur zwischen Krippe und Christbaum
Was ist eine Weihnachtskrippe? „Ein zweckwidriger Missbrauch, welcher der Würde der heiligen Religion Hohn spricht und nur den Feinden der Wahrheit dazu dient, das Christentum zu verspotten …“Wer nun ungläubig staunt, muss nur mal einen Blick in das kurfürstlich-pfalzbayerische Regierungsblatt von 1804 werfen. Dort wurde mit genau diesen Worten das Aufstellen von Krippen in den Kirchen untersagt – und das war auch andernorts so, etwa in Württemberg. Die Aufklärung hatte ganze Arbeit geleistet.
Also ein hochkomplexes Thema, das noch bis 9. Februar im Kulturund Museumszentrum Schloss Glatt bei Sulz am Neckar zu erleben ist. Um Kunst und Brauchtum zur Weihnachtszeit im schwäbischen Raum geht es bei der feinen Ausstellung, die federführend vom Landkreis Rottweil organisiert wurde, aber auch eingebunden ist in eine Reihe der Gesellschaft Oberschwaben zum Reformationsjubiläum. Rund 100 Exponate von 35 Leihgebern hat man zusammengeholt, die nun Festkultur zwischen Krippe und Christbaum über mehr als 500 Jahre hinweg spiegeln – mit viel Glanz, aber auch mit den Verwerfungen, vor denen selbst altehrwürdige Traditionen nicht gefeit sind.
Am Anfang war das Andachtsbild auf den Altären des Mittelalters, hier dokumentiert durch eine bedeutende Schnitzarbeit von Hans Rueland aus Wangen im Allgäu. 1474 geschaffen, zeigt der heute im Dominikanermuseum Rottweil aufbewahrte Altarflügel eine „Anbetung der Könige“: Prachtvoll gewandete Herrscher machen dem Jesuskind ihre Aufwartung. Gleiches Thema, andere Zeit: 150 Jahre jünger ist eine zauberhafte „Anbetung“von Hans Zürn dem Jüngeren aus der OEW-Kunstsammlung, die heute im Leutkircher Museum im Bock steht. Wahrscheinlich war auch sie einst Teil eines Altars – dafür sprechen Befestigungsreste auf dem Rücken der Könige. Aber dann hat man sie herausgelöst und zum solitären Anschauungsobjekt gemacht. Sinnfälliger kann man die Entstehung der Krippe als eigenständige Kunstform kaum dokumentieren.
Wie sehr alle Weihnachtskunst im Kern auf die Verehrung des Christkinds zurückgeht, macht eine eigene Abteilung klar. Dabei ist das Neugeborene noch solo. Als von Nonnen liebevoll herausgeputztes barockes „Fatschenkindle“im Steckkissen – übrigens abgeleitet vom lateinischen „fascia“(Binde). Oder als ebenso geschmücktes Christkind im „Känsterle“, einem kleinen Glasschrein, von lateinisch „canistrum“(Behältnis). Raffiniertere Varianten sind dann das „Prager Jesulein“oder das „Salzburger Loreto-Kindl“, hier vertreten mit kostbaren Exemplaren.
Volkstümlich und farbenfroh
Vom Frühbarock an kommt es zu einer Erweiterung des Radius über das Christkind hinaus. Kurz nach 1600 taucht erstmals das Wort „Weihnächts Kripplen“auf, und das Interesse an dieser Art von Darstellung des Heilsgeschehens in Bethlehem erfasst alle Bereiche – von Kirchen und Klöstern über die Fürstenhöfe bis zu bürgerlichen und bäuerlichen Kreisen. Dabei geht es zum einen um gegenreformatorisch motivierte Frömmigkeit, zum anderen brechen sich volkstümliche Fabulierlust und Detailfreude Bahn. Nicht mehr nur das Geschehen der Heiligen Nacht rund um die Krippe im Stall ist Thema, auch andere biblische Szenen werden in Vor- oder Rückblenden integriert – von der Verkündigung des Engels an Maria über die Anbetung der Könige und die Darstellung des kleinen Jesus im Tempel bis zur Hochzeit von Kana. Buntes Simultantheater.
Vor allem der schwäbisch-bayerische Raum war der ideale Nährboden für diese Sonderform der Religiosität, was nun im ohnehin sehr attraktiven Wasserschloss Glatt durch eine Fülle von hochrangigen Exponaten demonstriert wird. Da gibt es Krippenlandschaften und Krippenberge, Krippen im Kasten und im aufgeklappten Buch, mit rustikaler Note oder mit einem Hang zum vornehmen Pomp. Aber unübersehbar ist auf all diesen barocken Kleinbühnen die Tendenz zum Wimmelbild – möglichst vielfigurig und farbenfroh.
Im Zuge der Aufklärung gegen 1800 war dann Schluss mit der Krippenseligkeit. Durch die Säkularisation der Klöster wurden bedeutende Ensembles auseinandergerissen, verkauft, verschleudert. Gleichzeitig wuchs aber auch in der katholischen Amtskirche der Widerstand gegen diese – so der Vorwurf – allzu naive Art der Darstellung von Glaubenswahrheiten, und so kam es zu einem Exodus der Krippen aus den Kirchen und hinein in die Privathäuser.
Heilsgeschehen aus Holz und Ton
Die Ausstellung lässt auch die weitere Entwicklung von 1800 bis heute nachvollziehen. Dabei zeigt sich das stete Wechselspiel von anspruchsvoller Kunstproduktion und laienhaftem Kunstgewerbe, oft nicht weit weg von der Puppenstube. Krippenfiguren wurden teils geschnitzt, wobei Oberammergau Vorbildfunktion hatte. Teils wurden sie aus Papier gefertigt – zu sehen ist hier ein prachtvolles Exemplar im Rottenburger Stil. Teils hat man sie auch aus Ton gebrannt, wobei sich hier vor allem die bekannte Künstlerfamilie Sohn aus Kümmerazhofen bei Bad Waldsee hervortat.
Mit wachsendem Abstand zur Aufklärung wurde das Krippenbrauchtum immer beliebter, und auch die Kirchen öffneten sich wieder. Dabei blieben Krippen einerseits dem herkömmlichen Stil verhaftet, was auch von Krippenpflegevereinen tatkräftig unterstützt wurde. Andererseits zeigten sich – vor allem nach dem Ersten Weltkrieg – Tendenzen zur Kunstkrippe, die zu bemerkenswerten Resultaten führte. In Glatt ist ein imposantes Ensemble zu sehen, das eine Bühnenkastenkrippe von Karl Otto Schimpf und Theodor Gämmerler von 1937 nachstellt: Herbergssuche im Halbdunkel mit einer erschöpft dahinsinkenden Maria – wie auf einem Historiengemälde. In dieser Tradition und nicht minder ausdrucksstark: eine Kastenkrippe aus der Sammlung Scheller von 1999, die die Geburt in ein während des Balkankriegs zerbombtes Haus verlegt. Und ein besonderes Stück von 1960 stammt aus einem Fabrikarbeiterhaushalt in Schramberg: Da war wohl nicht viel Platz im Wohnzimmer, und so hat man über Weihnachten einfach eine kleine Kastenkrippe ins Büfett eingehängt.
Evangelische Krippenkultur
Für einen interessanten Nebenstrang stehen einige Krippen aus evangelischem Umfeld. Je bürgerlicher die Krippenkultur geworden war, desto akzeptabler erschien sie auch den Protestanten zur Illustration des Weihnachtsgeschehens. Für die Glatter Schau hat man sich die zwischen 1934 und 1960 entstandene, bekannte „Musberger Krippe“mit geschnitzten und bekleideten Figuren von Anna Fehrle besorgt. Und durch ihre Reduktion in Farbe und Kontur besticht Frida Christallers Holzkrippe von 1953 für die Haigstkirche in Stuttgart.
Bernhard Rüth, Rottweiler Kreisarchivar und Spiritus rector der Ausstellung, sieht bei der Krippenkunst derzeit ein „Verharren im Modernisierungsstau“. Gleichwohl werden im Schloss auch einige aktuelle Ansätze vorgestellt: Krippen für Menschen mit Handicap oder Krippen mit lebensgroßen Stofffiguren, bei denen sich Kinder einreihen können.
Vom 2015 gestorbenen Malerpfarrer Sieger Köder sind zwei seiner ungemein schlichten Krippenfiguren zu sehen, eine Chromstahlkrippe von Peter Riolini zeigt die Umsetzung einer alten Bildidee in ein völlig anderes Medium, und das „Altstädter Kindle“von Reinhold Ulmschneider ist eine im wahren Wortsinn fesselnde Installation: ein Hummel-Christkind, von Mini-Menschlein wie weiland Gulliver festgezurrt – um das Weihnachtswunder nicht zu verlieren.
Üppiger Schmuck am Christbaum
Krippen stehen hier im Fokus. Aber die Ausstellung geht auch auf das spannungsvolle Verhältnis zwischen Krippe und Christbaum ein. Nach 1500 erstmals bezeugt, wurde der Christbaum vor allem als Träger für Geschenke gesehen, mit Oblaten und Äpfeln behängt, wie frühe Chroniken berichten. Erst im Lauf der Jahrhunderte kam der überbordende, oft auch sinnentleerte Schmuck hinzu: Selbstgebasteltes aus buntem Papier, Glitzerzeug, Kugeln aller Art, Glaszapfen, Strohsterne, Heiligenfiguren, Märchengestalten, Tiere, Gebäckmodel – bis hin zum Nikolaus als Skifahrer oder Flugzeugpilot.
Schon im 19. Jahrhundert entwickelte sich der Christbaum endgültig zum Symbol des bürgerlichen Weihnachtsfestes, galt aber zunächst vor allem als evangelisches Requisit. Allerdings entspannte sich das anfängliche Konkurrenzverhältnis zur Krippe mit der Zeit, der Christbaum hielt auch Einzug in katholisch geprägten Regionen, und es kam zur friedlichen Symbiose in deutschen Wohnzimmern. Da der Baum, dort die Krippe. Oder die Krippe gar unter dem Baum.
Noch einmal zurück zu den zwei großartigen Dreikönigsdarstellungen am Anfang dieses anregenden Parcours. Dort ist noch Andacht pur, ohne jedes Beiwerk, nur auf das Weihnachtsgeheimnis konzentriert. Und dort schließt sich der Kreis.
Kurz: Für Freunde des Weihnachtsbrauchtums lohnt sich durchaus eine weitere Anfahrt. Die Weisen aus dem Morgenland waren schließlich auch eine Zeit lang unterwegs …