Feuer und Flamme fürs neue Jahr
Eine kleine Weltreise zu den schrägsten Silvesterbräuchen – fast einmal um den Globus, von Australien bis nach Argentinien
Es ist 14 Uhr – wir tragen gerade die letzten Bierkisten für die Silvesterparty rein, da zappeln schon die ersten Jahreswechselbilder übers Smartphone-Display. Aus Sydney, wo vor 1,5 Millionen Zuschauern traditionell das weltweit spektakulärste Großfeuerwerk steigt – überm „Kleiderbügel“, wie die Sydneysider ihre Harbour Bridge liebevoll nennen. Das längste ist es wohl auch – mit zwölf Minuten. Sie stehen für die zwölf Monate des abgelaufenen Jahres. Die sollen rückstandslos weggeböllert werden, um ballastfrei ins neue Jahr starten zu können.
16.00 Uhr
– die Deko für die heimische Party nimmt so langsam Form an, da hat der Japaner sein Haus endlich besenrein – nach Tagen. „Bonenkai“heißt das Kehraus-Fest des Vergessens, das im Reich der aufgehenden Sonne in der Woche vor Silvester gefeiert wird, mit gründlicher Reinigung des Hauses (Osoji) und anschließendem Kiefern- und Blütenschmuck (Kadomatsu) gegen böse Geister. Gleich 108 Sünden haben die Menschen dort nach buddhistischem Glauben, weshalb 108 Glockenschläge an Silvester zu mitternächtlicher Stunde aus den Tempeln ertönen, um diese zu vertreiben. Kann dauern, weshalb die Japaner jetzt genug Zeit haben, auf klebrigen Reisklößen namens „Mochi“herumzukauen. Doch Obacht, manch einer ist schon dran erstickt, weshalb Behörden schon mal empfehlen, die „Mochi“in Suppe oder mit viel Wasser zu verzehren. Erste Hilfe-Maßnahmen für „Mochi“-Opfer kennt jeder Japaner: Fünf kräftige Schläge zwischen die Schulterblätter…
18.00 Uhr
– während bei uns der Partyservice allmählich mal klingeln könnte, ist in Vietnam der Karpfen längst da. Aber nicht zum Verzehr. Sondern in heiliger Mission. Denn viele Vietnamesen glauben, dass ein Gott in ihrem Hause wohnt – als Teilzeit-Gast sozusagen. Dieser soll zu Silvester in den Himmel reisen, um dort nur Gutes über das Haus und seine Bewohner zu erzählen. Davon hängt angeblich ab, wie es im neuen Jahr mit Glück und Pech bestellt sein wird. Ach ja – in den Himmel reitet Gott auf dem Rücken des Karpfen. Weshalb die Vietnamesen zu Silvester einen kaufen und in einem hausnahen Gewässer schwimmen lassen...
23.00 Uhr
– die Partystimmung zu Hause ist schon prima, nur noch eine Stunde bleibt vom alten Jahr, da begrüßen die Russen in Moskau bereits das neue. Soweit sie denn unsere Silvester-Zeitrechnung mitmachen. Denn wer sich dort nach dem Julianischen Kalender richtet, hat – nun ja – etwas Feiertags-Kuddelmuddel: Silvester und Weihnachten liegen demnach auf einem Tag, nämlich dem 13. Januar. Die Kinder aber bekommen ihre Geschenke schon am 6. Januar… Aber weil die Russen bekanntlich feierfreudig sind, fangen sie mit einem zehntägigen Marathon schon mal in der Silvesternacht an: Väterchen Frost, quasi der russische Zwillingsbruder des Weihnachtsmanns und seine Begleiterin Snegurotschka sind unterwegs, und die Familien versammeln sich bereits um den Jolka (Tannenbaum) herum.
Mitternacht
– während bei uns vor der Tür die Raketen aus den Sektflaschen zischen, sinnieren viele Tschechen über dem ApfelOrakel: Liegen die Kerne in der aufgeschnittenen Apfelhälfte kreuzförmig, wird das neue Jahr wohl unglücklich. Sind sie sternförmig angeordnet, gibt’s angeblich Glück. Mit derlei schwermütiger Wahrsagerei halten sich die Spanier bei ihrem Weintrauben-Kult nicht auf: Zwölf Stück müssen es sein, die um Punkt Mitternacht verspeist werden. Supermärkte bieten spezielle ZwölferKonservendosen an und fliegende Händler ziehen mit Zwölferpacks zu Wucherpreisen kurz vor Mitternacht durch die Kneipenviertel. Dann muss pro Glockenschlag eine Traube verschlungen werden. Wer es nicht rechtzeitig schafft, dem dräut angeblich Ungemach … Ach ja, und spanische Frauen müssen in der Silvesternacht rote Unterwäsche tragen. Soll Glück bringen. Die Portugiesen nebenan halten gern zum Jahreswechsel eine Münze in der Hand, springen vom Stuhl und zerdeppern Geschirr. Und dann die Italiener: Das ganze Jahr Pizza und Pasta, aber ausgerechnet Silvester muss es ein eher urdeutsches Gericht sein - Linsen mit Schweinshaxe. Soll angeblich Geldsegen symbolisieren. Und dann ist da noch eine alte Bekannte – die rote Unterwäsche. Sollen auch italienische Frauen in der Silvesternacht tragen. Müssen aber geschenkte Dessous sein, sonst bringen sie kein Glück.
1.00 Uhr
– „Hurra, hurra, die Schule brennt“- die Neue-Deutsche-WellePhase der heimischen Party klingt gerade aus, da sind nun auch die Briten soweit und begrüßen das neue Jahr – mit einem riesigen Feuerwerk rund um das Riesenrad London Eye und der größten Kostümparty des Landes sowie einem gewöhnungsbedürftigen Getränk in Schottland: „Hot Pint“, einem Mix aus Bier, Whisky und Eiern. Skol! Und für uns lieber noch’n Sekt…
3.00 Uhr
– während unser Party-Finale langsam steigt, lassen es auch die Südamerikaner zum Jahreswechsel krachen: Die Brasilianer in Rio strömen an den Strand der Copacabana, um dort – ganz in Weiß gekleidet – über sieben Wellen zu springen. Pro Welle äußern sie einen Wunsch fürs neue Jahr. Unter ihrer weißen Kleidung tragen sie – nein, nicht nur rote Unterwäsche, sondern bunte. Rosafarbene für die Liebe, gelbe für Wohlstand, weiße für den Frieden und – da ist sie nun doch wieder: rote für die Leidenschaft. Die Leidenschaft kennt man von den Argentiniern ja vom Tango und vom Fußball. Zu Silvester zeigen sie, dass sie sich mindestens ebenso leidenschaftlich in Aktenordner, Dokumente und Schnellhefter hineinsteigern können: Diese zerreißen und schreddern sie nämlich und schmeißen sie als Akten-Konfetti aus den Fenstern hinaus auf die Straße. Das soll Platz schaffen im Haus für schöne Dinge im neuen Jahr. Entrümpelung mal anders!
6.00 Uhr –
Während bei uns sich nur noch die hartnäckigsten Feierbiester auf den Beinen halten, steuern die Silvesterfeiern in New York gerade auf den Höhepunkt zu. Die größte Party steigt traditionell am Times Square. Mit mehr als einer Million Menschen vor Ort und einer Show mit vielen Stars, die per Fernsehen in die komplette USA übertragen wird, ist es die größte Silvesterfete des Landes. Pünktlich um Mitternacht schauen alle auf den „Ball Drop“– eine beleuchtete Kugel, die von einem Hochhaus an einer Stange herabrutscht – es regnet Konfetti, und die Lieder „Auld Lang Syne“und „New York, New York“dröhnen aus Lautsprechern. Gut möglich, dass das Einzige, was bei uns dann noch dröhnt, der Schädel ist.