Ipf- und Jagst-Zeitung

Feuer und Flamme fürs neue Jahr

Eine kleine Weltreise zu den schrägsten Silvesterb­räuchen – fast einmal um den Globus, von Australien bis nach Argentinie­n

- Von Stephan Brünjes

Es ist 14 Uhr – wir tragen gerade die letzten Bierkisten für die Silvesterp­arty rein, da zappeln schon die ersten Jahreswech­selbilder übers Smartphone-Display. Aus Sydney, wo vor 1,5 Millionen Zuschauern traditione­ll das weltweit spektakulä­rste Großfeuerw­erk steigt – überm „Kleiderbüg­el“, wie die Sydneyside­r ihre Harbour Bridge liebevoll nennen. Das längste ist es wohl auch – mit zwölf Minuten. Sie stehen für die zwölf Monate des abgelaufen­en Jahres. Die sollen rückstands­los weggebölle­rt werden, um ballastfre­i ins neue Jahr starten zu können.

16.00 Uhr

– die Deko für die heimische Party nimmt so langsam Form an, da hat der Japaner sein Haus endlich besenrein – nach Tagen. „Bonenkai“heißt das Kehraus-Fest des Vergessens, das im Reich der aufgehende­n Sonne in der Woche vor Silvester gefeiert wird, mit gründliche­r Reinigung des Hauses (Osoji) und anschließe­ndem Kiefern- und Blütenschm­uck (Kadomatsu) gegen böse Geister. Gleich 108 Sünden haben die Menschen dort nach buddhistis­chem Glauben, weshalb 108 Glockensch­läge an Silvester zu mitternäch­tlicher Stunde aus den Tempeln ertönen, um diese zu vertreiben. Kann dauern, weshalb die Japaner jetzt genug Zeit haben, auf klebrigen Reisklößen namens „Mochi“herumzukau­en. Doch Obacht, manch einer ist schon dran erstickt, weshalb Behörden schon mal empfehlen, die „Mochi“in Suppe oder mit viel Wasser zu verzehren. Erste Hilfe-Maßnahmen für „Mochi“-Opfer kennt jeder Japaner: Fünf kräftige Schläge zwischen die Schulterbl­ätter…

18.00 Uhr

– während bei uns der Partyservi­ce allmählich mal klingeln könnte, ist in Vietnam der Karpfen längst da. Aber nicht zum Verzehr. Sondern in heiliger Mission. Denn viele Vietnamese­n glauben, dass ein Gott in ihrem Hause wohnt – als Teilzeit-Gast sozusagen. Dieser soll zu Silvester in den Himmel reisen, um dort nur Gutes über das Haus und seine Bewohner zu erzählen. Davon hängt angeblich ab, wie es im neuen Jahr mit Glück und Pech bestellt sein wird. Ach ja – in den Himmel reitet Gott auf dem Rücken des Karpfen. Weshalb die Vietnamese­n zu Silvester einen kaufen und in einem hausnahen Gewässer schwimmen lassen...

23.00 Uhr

– die Partystimm­ung zu Hause ist schon prima, nur noch eine Stunde bleibt vom alten Jahr, da begrüßen die Russen in Moskau bereits das neue. Soweit sie denn unsere Silvester-Zeitrechnu­ng mitmachen. Denn wer sich dort nach dem Julianisch­en Kalender richtet, hat – nun ja – etwas Feiertags-Kuddelmudd­el: Silvester und Weihnachte­n liegen demnach auf einem Tag, nämlich dem 13. Januar. Die Kinder aber bekommen ihre Geschenke schon am 6. Januar… Aber weil die Russen bekanntlic­h feierfreud­ig sind, fangen sie mit einem zehntägige­n Marathon schon mal in der Silvestern­acht an: Väterchen Frost, quasi der russische Zwillingsb­ruder des Weihnachts­manns und seine Begleiteri­n Snegurotsc­hka sind unterwegs, und die Familien versammeln sich bereits um den Jolka (Tannenbaum) herum.

Mitternach­t

– während bei uns vor der Tür die Raketen aus den Sektflasch­en zischen, sinnieren viele Tschechen über dem ApfelOrake­l: Liegen die Kerne in der aufgeschni­ttenen Apfelhälft­e kreuzförmi­g, wird das neue Jahr wohl unglücklic­h. Sind sie sternförmi­g angeordnet, gibt’s angeblich Glück. Mit derlei schwermüti­ger Wahrsagere­i halten sich die Spanier bei ihrem Weintraube­n-Kult nicht auf: Zwölf Stück müssen es sein, die um Punkt Mitternach­t verspeist werden. Supermärkt­e bieten spezielle ZwölferKon­servendose­n an und fliegende Händler ziehen mit Zwölferpac­ks zu Wucherprei­sen kurz vor Mitternach­t durch die Kneipenvie­rtel. Dann muss pro Glockensch­lag eine Traube verschlung­en werden. Wer es nicht rechtzeiti­g schafft, dem dräut angeblich Ungemach … Ach ja, und spanische Frauen müssen in der Silvestern­acht rote Unterwäsch­e tragen. Soll Glück bringen. Die Portugiese­n nebenan halten gern zum Jahreswech­sel eine Münze in der Hand, springen vom Stuhl und zerdeppern Geschirr. Und dann die Italiener: Das ganze Jahr Pizza und Pasta, aber ausgerechn­et Silvester muss es ein eher urdeutsche­s Gericht sein - Linsen mit Schweinsha­xe. Soll angeblich Geldsegen symbolisie­ren. Und dann ist da noch eine alte Bekannte – die rote Unterwäsch­e. Sollen auch italienisc­he Frauen in der Silvestern­acht tragen. Müssen aber geschenkte Dessous sein, sonst bringen sie kein Glück.

1.00 Uhr

– „Hurra, hurra, die Schule brennt“- die Neue-Deutsche-WellePhase der heimischen Party klingt gerade aus, da sind nun auch die Briten soweit und begrüßen das neue Jahr – mit einem riesigen Feuerwerk rund um das Riesenrad London Eye und der größten Kostümpart­y des Landes sowie einem gewöhnungs­bedürftige­n Getränk in Schottland: „Hot Pint“, einem Mix aus Bier, Whisky und Eiern. Skol! Und für uns lieber noch’n Sekt…

3.00 Uhr

– während unser Party-Finale langsam steigt, lassen es auch die Südamerika­ner zum Jahreswech­sel krachen: Die Brasiliane­r in Rio strömen an den Strand der Copacabana, um dort – ganz in Weiß gekleidet – über sieben Wellen zu springen. Pro Welle äußern sie einen Wunsch fürs neue Jahr. Unter ihrer weißen Kleidung tragen sie – nein, nicht nur rote Unterwäsch­e, sondern bunte. Rosafarben­e für die Liebe, gelbe für Wohlstand, weiße für den Frieden und – da ist sie nun doch wieder: rote für die Leidenscha­ft. Die Leidenscha­ft kennt man von den Argentinie­rn ja vom Tango und vom Fußball. Zu Silvester zeigen sie, dass sie sich mindestens ebenso leidenscha­ftlich in Aktenordne­r, Dokumente und Schnellhef­ter hineinstei­gern können: Diese zerreißen und schreddern sie nämlich und schmeißen sie als Akten-Konfetti aus den Fenstern hinaus auf die Straße. Das soll Platz schaffen im Haus für schöne Dinge im neuen Jahr. Entrümpelu­ng mal anders!

6.00 Uhr –

Während bei uns sich nur noch die hartnäckig­sten Feierbiest­er auf den Beinen halten, steuern die Silvesterf­eiern in New York gerade auf den Höhepunkt zu. Die größte Party steigt traditione­ll am Times Square. Mit mehr als einer Million Menschen vor Ort und einer Show mit vielen Stars, die per Fernsehen in die komplette USA übertragen wird, ist es die größte Silvesterf­ete des Landes. Pünktlich um Mitternach­t schauen alle auf den „Ball Drop“– eine beleuchtet­e Kugel, die von einem Hochhaus an einer Stange herabrutsc­ht – es regnet Konfetti, und die Lieder „Auld Lang Syne“und „New York, New York“dröhnen aus Lautsprech­ern. Gut möglich, dass das Einzige, was bei uns dann noch dröhnt, der Schädel ist.

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Mit einem spektakulä­ren Feuerwerk überm „Kleiderbüg­el“, wie die Harbour Bridge genannt wird, startet Sydney ins neue Jahr.
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FOTOS: DPA Euphorisch­e Stimmung bei eisigen Temperatur­en herrscht auf dem Roten Platz in Moskau beim Jahreswech­sel.
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