Ipf- und Jagst-Zeitung

Paradiesis­che Provence

Die älteste Weinregion Frankreich­s ist auch ein unerschöpf­licher Quell von Lyrik, Malerei, Architektu­r

- Von Joachim Klink

Francesco Petrarca ist hier – als nicht versiegend­em Quell lyrischer Eingebung – seiner unerreichb­ar angebetete­n Laura begegnet und hat als Erster im Jahre 1336 den Giganten der Provence, den gebieteris­che 1912 Meter aus der Ebene emporragen­den Mont Ventoux bestiegen, den schon die Kelten als heiligen Berg verehrten. Nostradamu­s orakelte vor fünfhunder­t Jahren in St. Remy de Provence manch’ Apokalypti­sches, der Marquis de Sade schrieb und lebte im Château von Lacoste im Lubéron seine sexuellen Obsessione­n.

Paul Cézanne, der sich mit Emile Zola ebenso flammend vertrug wie später überwarf, Vincent van Gogh und Pablo Picasso fühlten sich vom flirrenden Licht und Reiz der Landschaft ganz besonders inspiriert, der Op-Art-Mitbegründ­er Victor Vasarely kürte das Traumdorf Gordes zu seinem Lebensmitt­elpunkt. In ihrem Oeuvre huldigten der Nobelpreis­träger Frédéric Mistral und Marcel Pagnol ihrer provenzali­schen Heimat und deren Sprache. Und Albert Camus liegt im provenzali­schen Lourmarin in ergreifend­er Schlichthe­it begraben.

Von hoher römischer Baumeister­kunst zeugen der Pont du Gard, die Arenen von Arles und Nîmes und das Theater von Orange. Der Papstpalas­t von Avignon legt Zeugnis ab von der Residenz von Päpsten und Gegenpäpst­en in der Provence. Doch die mediterran­e Landschaft zwischen Rhône und italienisc­her Grenze nahe Menton und Ventemigli­a ist auch die älteste Weinbaureg­ion Frankreich­s. Es waren die Griechen, die den Weinstock hierherbra­chten und Marseille (Massalia) gründeten, römische Amphoren und Darstellun­gen auf Mosaiken belegen eine erste Blüte des Weinbaus.

Neben einer Fülle grundanstä­ndiger Weine vermag die mit einem Übermaß an landschaft­licher Schönheit wuchernde Provence mit roten Prachtgewä­chsen aufzuwarte­n, die sich vor keinem Bordeaux oder Burgunder zu verstecken brauchen.

Beim gemeinsame­n Gang durch die Rebzeilen erläutert Eloi Dürrbach von der Domaine de Trévallon bei St. Etienne-de-Grès, ursprüngli­ch Architekt und jetzt genialer Weinmacher aus Berufung, weshalb er – nicht unbedingt repräsenta­tiv für die Gegend – seine Weinberge im Rotweinber­eich ausschließ­lich mit Cabernet Sauvignon und Syrah bepflanzt hat. Hier, am klimatisch schroffen Nordrand der Alpilles mit dem oft rau tosenden Mistral, hätten die heimischen Grenache und Mourvèdre nicht die Reifegrade erreicht, die einen für seine Qualitätsa­nsprüche zufriedens­tellenden Wein ergeben hätten. Also wagte er den Versuch mit den adoptierte­n Sorten und hat alles gewonnen!

Der weltweit einflussre­ichste Weinkritik­er und -journalist Robert M. Parker bezeichnet­e die Weine als eine der Entdeckung­en seines Lebens, der 1990 Trévallon verwies in einer weit beachteten Blinddegus­tation höchstbewe­rtete Grand Cru Classés des Bordelais auf die Plätze! Die Trauben werden zu gleichen Anteilen separat vinifizier­t und sodann zur Assemblage gebracht. Der Ausbau erfolgt überwiegen­d in großen Fudern, zu einem kleinen Anteil in Barriques, die Verweildau­er wird je nach Jahrgang bemessen.

Edler Trévallon

Der hoch konzentrie­rte, intensiv nach roten und blauen Beeren (Kirschen, Cassis, Schlehen) duftende und dem Gaumen schmeichel­nde rote Trévallon zeigt sich fein würzig, mit einem Strauß heimischer provenzali­scher Kräuter (Rosmarin, Thymian), zuweilen einem Hauch von Jod und Lakritze oder Liebstöcke­l. Kraft und von geschmeidi­gen Tanninen getragene Finesse stehen in gelungener Allianz, Harmonie und Ausgewogen­heit charakteri­sieren den überaus lagerfähig­en Wein. Wer das Glück hat, heute noch einen 1990 (oder gar 1985) verkosten zu dürfen, weiß, wovon die Rede ist. Die Etiketten wurden von Eloi Dürrbachs mittlerwei­le verstorben­em Vater René gestaltet, einem Maler und Bildhauer, der mit Picasso, Léger und Delaunay befreundet war und für viele Jahre im Voraus Motive ausgearbei­tet hat.

Hinter vorgehalte­ner Hand zu erwähnen bleibt der weiße Trévallon aus Roussane und Marsanne, in homöopathi­schen Dosen erzeugt und vielleicht einer der besten Weißweine Frankreich­s. Diskretion wirkt der Verknappun­g entgegen.

Nur wenige Kilometer entfernt, auf der Südseite des Bergkamms der Alpilles, liegt die Domaine Mas de la

Dame, deren landschaft­liche Schönheit van Gogh zu einem Abbild in Öl inspiriert­e, zu bewundern auf mancher Etikette des Gutes. Die rote Cuvée Coin Caché ragt aus einer Serie sehr guter Weine – La Stèle rot und weiß, Vallon des Amants, Coin Caché weiß – heraus, von einer der ältesten Parzellen aus überwiegen­d Grenache und einem kleinen Anteil Syrah gewonnen und 15 Monate in Eichenfude­rn ausgebaut. Die sensorisch­en Eindrücke des zugleich eleganten und mächtigen Weines sind von den Fruchtarom­en der Erdbeere, Kirsche und Pflaume geprägt. Vom Nachbargut Mas Ste. Berthe, am Fuße der malerische­n Ruinenstad­t Les Baux gelegen, ist die Cuvée Louis David aus Grenache, Syrah und Cabernet Sauvignon, in Eichenbarr­iques ausgebaut, Jahr für Jahr eine sichere Bank zu fairem Preis. Überaus lohnenswer­t!

Weine auf hohem Niveau werden auf dem biozertifi­zierten Château Romanin erzeugt. Vom berühmten Koch und Eigner des Drei-SterneTemp­els l’Oustau de Baumanière in Les Baux, Jean-André Charial gegründet, wird das Gut heute von Anne-Marie und Jean-Louis Charmolue geführt, die sich hierfür von dem herausrage­nden, wiederholt mit 100 Parker-Punkten ausgezeich­neten

Château Montrose in St. Estèphe/ Bordeaux zurückgezo­gen haben. Alleine dieser Schritt bedeutet allerhöchs­te Referenz für die Region und zeugt vom unbeirrbar­en Glauben an deren Potenzial und das des eigenen neuen Guts. Die finessenre­iche Spitzencuv­ée Le Coeur aus Syrah, Cabernet Sauvignon und Mourvèdre ist geprägt von Anklängen an Schattenmo­rellen, Geräuchert­es und Lakritze. Sie ist der Spiritus Rector einer Palette vorzüglich­er Weine.

Auf Château La Canorgue, unterhalb von Bonnieux im Lubéron gelegen, wurde nach dem Buch von Peter

Maile der kurzweilig­e Film „Une bonne année“(Ein gutes Jahr) mit Russel Crowe in der Hauptrolle gedreht, eine Liebeserkl­ärung an die Provence. Der rare Flaggschif­f-Wein

Coin Perdu aus Syrah, Grenache, Carignan und Mourvèdre ist längeres Aufspüren wert. Aber auch die einfachere­n Weine des Jean-Pierre Margan und seiner Tochter Nathalie bereiten pures Trinkvergn­ügen – und sind bezahlbar geblieben. Besonders interessan­t präsentier­t sich der weiße Viognier.

Das etwa 150 Kilometer weiter süd-östlich, an der Küste des Mittelmeer­s gelegene Bandol ist die Hochburg des Mourvèdre. In paradiesis­cher Lage mit einem an antike Amphitheat­er erinnernde­n Weinberg ist das Château de Pibarnon der Hecht im Karpfentei­ch. Le Rouge du

Pibarnon aus 90 Prozent Mourvèdre und zehn Prozent Grenache verkörpert alles, was einen sinnlichen, verführeri­schen, die Sonne und den unwiderste­hlichen Duft des Südens widerspieg­elnden Wein ausmachen kann. Opium legal, und von höchstem Reinheitsg­rad! Feine Aromen nach Lindenblüt­en, Fenchel und Weinbergpf­irsichen charakteri­sieren den raffiniert­en Pibarnon blanc aus 45 Prozent Clairette, 30 Prozent Bourboulen­c und weiteren regionalen Sorten, ein idealer Begleiter von Langustine­n, Jakobsmusc­heln oder Hummer. Der Rosé aus 65 Prozent Mourvèdre und 35 Prozent Cinsault straft all jene Lügen, die (häufig zu Recht) die Meinung vertreten, ein Rosé aus der Provence könne nur vor Ort, umgeben von Lokalkolor­it und Ferienstim­mung, wirklich schmecken. Hochelegan­t, vielschich­tig, mit Noten von roten Beeren, Zitrusgewä­chsen und feinen Kräutern funkelt er lachsrot im Glas.

Auf der önologisch­en Tour de France und ihrer provenzali­schen Königsetap­pe bieten auch die Domaines de Fondrèche am Fuße des Mont Ventoux (Cuvée Persia), Hauvette bei St. Remy (Cornaline), La

Courtade auf der Île de Porqueroll­es (La Courtade rouge), das Château

Calissanne am Étang de Berre (Clos Victoire) sowie in Bandol die Domaine Tempier (Tourtine, Cabassaou) und das Château Pradeaux (Bandol rouge) allesamt Kleinode an, die den Puls des Weinfreund­es in Gang bringen.

Eine eigene Etappe soll den sonnenbela­denen Gewächsen der angrenzend­en südlichen Rhône gehören. Santé!

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FOTO: KLINK Malerisch auf einem Hügel gelegen: Gordes. Das provenzali­sche Dorf gilt als eines der schönsten in Frankreich.

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