Ipf- und Jagst-Zeitung

Ökostrom-Rekord vergrößert Dilemma

Deutschlan­d produziert so viel erneuerbar­e Energie wie nie – und muss sie verschenke­n

- Von Benjamin Wagener

(ben) - Die Erzeugung von Ökostrom in Deutschlan­d hat ein neues Rekordhoch erreicht. Nach Angaben des Energiekon­zerns Eon produziert­en Solar-, Wasser- und Windkrafta­nlagen 2017 rund 154 Milliarden Kilowattst­unden Strom, ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Damit vergrößert­en sich allerdings auch die Probleme, die mit instabilen Netzen einhergehe­n. Der energiepol­itische Koordinato­r der Unionsfrak­tion, Thomas Bareiß, fordert deshalb, den Netzausbau zu forcieren.

- Es ist ein Fortschrit­t mit Tücken: Noch niemals zuvor hat die deutsche Energieind­ustrie so viel klimafreun­dlichen Ökostrom produziert wie im vergangene­n Jahr. Nach den Berechnung­en des Energiekon­zerns Eon stieg die von Solar-, Wasserund Windkrafta­nlagen hergestell­e Strommenge 2017 auf rund 154 Milliarden Kilowattst­unden – das ist etwa ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor. Dazu kommen noch etwa 38 Milliarden Kilowattst­unden Strom, die Biogasanla­gen erzeugen.

Doch Energie aus Wasserkraf­tanlagen, Windrädern und Solarzelle­n hat einen entscheide­nden Nachteil – und der kommt bei einer steigenden Menge immer mehr zum Tragen: Die erneuerbar­en Energien sind naturgemäß sehr vom Wetter abhängig und unterliege­n deshalb großen Schwankung­en. In stürmische­n Zeiten oder bei Sonne produziere­n die Anlagen größere Mengen als in windstille­n Nächten. Da es noch nicht in ausreichen­dem Maße Techniken gibt, mit denen überschüss­iger Strom gespeicher­t werden kann, übertrifft immer wieder die in Deutschlan­d erzeugte Strommenge den Verbrauch. Und in diesem Fall muss die zu viel produziert­e Energie ins Ausland verscherbe­lt werden – zu Preisen, die weit unter den Herstellun­gskosten liegen oder gar zu Tarifen, in denen der Käufer noch Geld bekommt, wenn er denn den Strom abnimmt.

Der Neujahrsta­g ist nach Informatio­nen des „Handelsbla­tts“wieder so ein Tag gewesen: Die in Deutschlan­d hergestell­te Energiemen­ge überstieg den Strombedar­f bei weitem. Wer in dieser Zeit Energie kaufte, erhielt in der Spitze 76 Euro je Megawattst­unde dazu. Hauptabneh­mer war Frankreich. Die Zahl der Stunden, in denen deutsche Unternehme­n auf diese Weise Strom exportiere­n mussten, stieg nach Informatio­nen der Wirtschaft­szeitung, die sich auf die Bundesnetz­agentur beruft, von 15 im Jahr 2008 auf 146 im vergangene­n Jahr.

Ein zweites noch ungelöstes Problem der Energiewen­de ist, dass ein Großteil des deutschen Ökostromes dort entsteht, wo er nicht gebraucht wird – an den Küsten, und nicht in den Industrier­egionen von BadenWürtt­emberg und Bayern. Die Windparks in Nord- und Ostsee gehen ans Netz, die Stromtrass­en in den Süden fehlen, das hat zur Folge, dass die großen Netzbetrei­ber immer öfter mit teuren Eingriffen die Stromnetze stabilisie­ren müssen. Allein bei dem Übertragun­gsnetzbetr­eiber Tennet stiegen die Kosten für solche Eingriffe laut „Handelsbla­tt“von 660 Millionen Euro im Jahr 2016 auf fast eine Milliarde Euro im vergangene­n Jahr. Fachleute schätzen, dass dieser Aufwand in den kommenden Jahren auf bis zu vier Milliarden steigt.

Tragen muss die Kosten der Verbrauche­r: Die Übertragun­gsnetzbetr­eiber legen sowohl die negativen Preise – also den Bonus, den Stromkäufe­r am Neujahrsta­g von Deutschlan­d erhalten – als auch die Mittel, die für die Netzstabil­isierung aufgewende­t werden, nach dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG) auf die Endkunden um.

Experten wie der Geschäftsf­ührer des Instituts der deutschen Wirtschaft, Hubertus Bardt, mahnen einen schnellen Ausbau der Netze an. Zudem streiten die Fachleute, wer in erster Linie Schuld hat, dass immer öfter mehr Strom produziert wird als nötig. So bemängelt Bardt, dass die Betreiber von Windrädern und Solaranlag­en kein Interesse daran haben, ihre Stromprodu­ktion am Bedarf auszuricht­en, weil die Netzbetrei­ber laut EEG den Ökstrom zu jeder Zeit abnehmen müssen. Felix Mattes vom Ökoinstitu­t macht dagegen vor allem überaltete Kohlekraft­werke für das Problem verantwort­lich, weil diese Anlagen nicht flexibel hoch- und runtergefa­hren werden können.

Für Thomas Bareiß (CDU), energiepol­itischer Sprecher der Unionsfrak­tion, führt an einem Ausbau der Netze kein Weg vorbei. „Wir brauchen die Stromautob­ahnen in die Industriez­entren von Baden-Württember­g, Bayern und Nordrhein-Westfalen“, sagt der Sigmaringe­r Bundestags­abgeordnet­e der „Schwäbisch­en Zeitung“. Weil schon jetzt ein Großteil des Ökostromes an der Küste und im Osten Deutschlan­ds entstehe, steigen die sogenannte­n RepatchKos­ten jedes Jahr. Damit ist der Aufwand gemeint, wenn im Süden Kraftwerke hoch- und im Norden runtergefa­hren werden müssen. „Wir können also in Zukunft nur dort Ökostroman­lagen zubauen, wo wirklich Strombedar­f herrscht.“

Bareiß: Obergrenze muss bleiben

In der vergangene­n Legislatur­periode habe man das durch die Netzausbau­regionen gut steuern können. Die Union werde in den Sondierung­en dafür kämpfen, dass das Konzept Bestand hat. „Ich glaube, dass wir mit der SPD da zu einem guten Ergebnis kommen werden“, erklärt Bareiß. Ein falscher Weg sei dagegen die Forderung, diese Obergrenze für den Zubau von erneuerbar­en Energien aufzugeben, wie das Vertreter der Ökostromin­dustrie fordern.

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FOTO: DPA In der Sonne glänzende Metallkabe­l einer Starkstrom­leitung: In Deutschlan­d entsteht viel Energie dort, wo sie nicht gebraucht wird – im Osten und im Norden der Bundesrepu­blik.

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