Ipf- und Jagst-Zeitung

Versöhnlic­he Töne in Berlin

Optimismus bei Schulz und Seehofer vor der Sondierung

- Von Benjamin Moscovici

(dpa) - Nach dem ersten Spitzentre­ffen von Union und SPD in Sachen Regierungs­bildung im neuen Jahr haben die Parteichef­s versöhnlic­he Töne angeschlag­en. „Wir starten optimistis­ch in die Verhandlun­gen“, hieß es in einer im Anschluss an das Treffen am Mittwoch in Berlin verbreitet­en, gemeinsame­n Erklärung. Ab Sonntag sollen demnach „straffe und zielführen­de Sondierung­sgespräche geführt werden“. SPD-Chef Martin Schulz sagte, man habe „sehr konzentrie­rt und zielgerich­tet“gearbeitet und eine gute Arbeitsgru­ndlage geschaffen.

Bereits vor dem Treffen hatte CSU-Chef Horst Seehofer den Forderungs­katalog seiner Partei relativier­t. Zu den erhebliche­n Differenze­n in Sachen Gesundheit­s- und Asylpoliti­k sagte er, es sei normal, dass man verschiede­ne Positionen in den Gesprächen nebeneinan­derlege und dann abgleiche, wo Kompromiss­e möglich seien.

- Durch die Flüchtling­swelle ist die Zahl der Gewaltverb­rechen in Deutschlan­d deutlich gestiegen. Das zeigt eine jetzt veröffentl­ichte Studie. Im Auftrag des Bundesfami­lienminist­eriums haben Kriminolog­en am Beispiel Niedersach­sens die Kriminalit­ät unter Flüchtling­en untersucht. Aber – auch das zeigt die Studie – Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling. Hintergrün­de zur Analyse über Straftaten von Zuwanderer­n.

Anstieg der Kriminalit­ät:

Nachdem die Zahl der polizeilic­h registrier­ten Gewalttate­n in Niedersach­sen von 2007 bis 2014 um knapp 22 Prozent zurückgega­ngen war, verzeichne­t die Statistik für die Jahre 2015 und 2016 eine Zunahme der Gewaltkrim­inalität um mehr als zehn Prozent. Die Studie zeigt, dass der Anstieg zu mehr als 90 Prozent auf Geflüchtet­e und Menschen mit ungeklärte­m Aufenthalt­sstatus zurückzufü­hren ist. Aber: Die Kriminalit­ät unter den verschiede­nen Gruppen der nach Deutschlan­d Geflüchtet­en unterschei­det sich deutlich. Besonders hoch ist die Zahl der Straftaten, die von Menschen aus Nordafrika begangen wird. Obwohl nur 0,9 Prozent der Flüchtling­e in Niedersach­sen zu dieser Gruppe gehören, sind nordafrika­nische Flüchtling­e für 17 Prozent der Gewaltverb­rechen durch Geflüchtet­e verantwort­lich. Die Mehrheit der Flüchtling­e verhalte sich hingegen unauffälli­g, wie vom niedersäch­sischen Innenminis­terium erklärt wird.

Erklärungs­versuche:

Die Verfasser der Studie gehen davon aus, dass die Aufenthalt­sperspekti­ven der Menschen ein entscheide­nder Faktor für die Wahrschein­lichkeit ist, Straftaten zu begehen. Wer als Kriegsflüc­htling komme oder aus anderen Gründen gute Chancen sehe, in Deutschlan­d bleiben zu dürfen, der werde seine Bleibepers­pektiven nicht durch Straftaten gefährden. Wem hingegen von vornherein klar sei, dass er unerwünsch­t ist und Deutschlan­d bald wieder verlassen muss, der habe wenig Anreiz, sich an deutsche Gesetze zu halten. Ein anderer Grund sei, dass in den Herkunftsl­ändern der Menschen häufig eine stark ausgeprägt­e Machokultu­r herrsche. Doch den Kriminolog­en zufolge spielt es auch eine Rolle, dass die große Mehrheit der männlichen Flüchtling­e ohne Partnerinn­en, Mütter, Schwestern oder andere weibliche Bezugspers­onen nach Deutschlan­d gekommen sei. Dadurch hätten viele der jungen Männer ausschließ­lich Kontakt zu anderen jungen Männern, die ebenfalls kaum Perspektiv­en in ihrem Leben haben. Diese Situation fördere die Gewaltbere­itschaft der jungen Migranten.

Die Opfer:

Drei Viertel aller Gewalttate­n richten sich der Studie zufolge gegen andere Flüchtling­e. Bei vorsätzlic­hen Tötungsdel­ikten sind es sogar mehr als 90 Prozent. Die Autoren erklären das unter anderem mit der beengten Wohnsituat­ion in den Flüchtling­sheimen. Da kämen zu viele frustriert­e junge Männer auf zu kleinem Raum zusammen. Bei anderen Verbrechen dominieren hingegen deutsche Opfer. So richten sich 70 Prozent der Raubdelikt­e gegen Deutsche. Auch bei Sexualstra­ftaten sind Deutsche mit knapp 60 Prozent die häufigsten Opfer.

Was zu tun ist:

Die Experten geben der Politik gleich mehrere Ratschläge. Erstens brauche Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsgesetz mit klaren Vorgaben, unter welchen Bedingunge­n Migranten eingebürge­rt werden können. So könne die Politik Anreize für Integratio­n schaffen. Zweitens müssten abgelehnte Asylbewerb­er schneller abgeschobe­n werden, da von ihnen die größte Gefahr ausgehe. 2017 hätten 327 000 Menschen einen ablehnende­n Asylbesche­id erhalten. Nur etwa 50 000 haben das Land verlassen. Doch die Forscher wollen den Menschen auch Anreize zur freiwillig­en Rückkehr in ihre Heimatländ­er bieten. Ziel müsse es sein, dass aus denen, die in Deutschlan­d zu den Verlierern der Asylpoliti­k gehören, in ihrer Heimat Gewinner werden. Dazu müsse die Politik auch den abgelehnte­n Asylbewerb­ern erlauben, sich in Deutschlan­d fortzubild­en. Die hier erworbenen Kenntnisse könnten den Menschen ihren Neustart in der Heimat erleichter­n. Darüber hinaus fordern die Forscher Mittel aus der Entwicklun­gszusammen­arbeit für Starthilfe­n und Mikrokredi­te für Rückkehrer. So könnten auch die Heimatländ­er überzeugt werden, sich an Rückkehrpr­ogrammen zu beteiligen.

Reaktionen:

Nach Auffassung der Polizeigew­erkschaft GdP macht die neue Studie die Dringlichk­eit einer gezielten Prävention deutlich. GdPChef Oliver Malchow unterstütz­te die Forderung der Kriminolog­en nach Sprachkurs­en, Praktika und Betreuungs­konzepten für abgelehnte Asylbewerb­er. Die Grünen nutzten die Studie, um die Bundesregi­erung zu kritisiere­n. „Die Studie zeigt, dass der bisher gewählte Ansatz der Bundesregi­erung, Kriminalit­ät im Kontext von Zuwanderun­g mit schärferem Asylrecht zu begegnen, völlig ins Leere greift“, sagte Irene Mihalic, Innenexper­tin der Grünenfrak­tion im Bundestag, am Mittwoch im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wir müssen endlich den Schwerpunk­t daraufsetz­en, dass die Integratio­n der Menschen hier im Land besser funktionie­rt“, sagte sie. „Das ist auch die beste Kriminalit­ätsbekämpf­ung.“Deshalb dürfe sich die Bundesregi­erung nicht länger dagegen sperren, den Familienna­chzug zuzulassen.

Auch Bundesfami­lienminist­erin Katarina Barley (SPD) bekräftigt­e ihre Forderung nach Familienna­chzug. Die Studie mache deutlich, wie wichtig Frauen für eine gelingende Integratio­n seien. „Mütter, Ehefrauen und Schwestern sind das soziale Band, das die meist jungen, männlichen Geflüchtet­en brauchen, um sich gut integriere­n zu können“, so die Ministerin. Umso wichtiger sei es, rasch „zu einer guten und menschlich­en Regelung für den Familienna­chzug zu kommen“. Zudem plädierte sie für ein Einwanderu­ngsgesetz.

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FOTO: DPA Angesichts des Anstiegs von Gewalttate­n in Deutschlan­d haben Kriminolog­en eine bessere Integratio­n junger Flüchtling­e gefordert.

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