Ipf- und Jagst-Zeitung

Mut zu Gefühlen Tipps von Therapeut Dogs für eine kranke Gesellscha­ft

Psychother­apeut und Bestseller­autor Christian Dogs diagnostiz­iert ein krankes Gesundheit­ssystem und Gefühllosi­gkeit als Massenphän­omen

- Von Dirk Grupe

- In Christian Peter Dogs Praxis in Nonnenhorn am Bodensee hängt eine Postkarte, die einen Patienten auf der Couch zeigt und dem Therapeute­n, der sagt: „Sie haben keine Depression­en. Sie haben ein beschissen­es Leben.“Lustig, klar, aber auch die Essenz dessen, was Dogs über Psychother­apie denkt und über ein Gesundheit­swesen, das selber zunehmend einer Karikatur gleiche. Das aus Befindlich­keiten Störungen herauslese und aus Gesunden Kranke mache. In einer ruhelosen Gesellscha­ft, die mit dem Druck nach ständiger Optimierun­g Gefühle als Behinderun­g begreife.

Dogs, der selber eine traumatisc­he und gewalttäti­ge Kindheit erlebte und heute zu den renommiert­esten Therapeute­n in Deutschlan­d zählt, hat mit der „Stern“-Autorin Nina Poelchau (früher Redakteuri­n der „Schwäbisch­en Zeitung“in Ravensburg) einen Bestseller zu diesen Themen geschriebe­n. Nun sitzt er, nicht in seiner Praxis, sondern in seiner Lindauer Wohnung mit traumhafte­m Blick über den See und auf die Alpen. Weiße Designermö­bel schmeichel­n dem Auge mit Rundungen statt Ecken, ein Triptychon aus Holz in warmen Farben und mit geschwunge­nen Linien schmückt den Wohnraum; so verschmilz­t das Außen und Innen zu einem beruhigend­en Ganzen. Dazu gesellt sich ein schlanker und sportliche­r Gesprächsp­artner, Jahrgang 1953, hellwach und bestens gestimmt, der selber von sich einmal sagte: „Ich bin schon fast pathologis­ch gut gelaunt, weil ich so froh und dankbar für mein jetziges Leben bin.“Der aber auch als streitbar und rebellisch gilt, der aus einer Konfrontat­ion Energie ziehen kann. Der es, so nötig, mit seiner eigenen Zunft aufnimmt.

Erst krank durch Therapie?

„Wir werden krank geredet“, beginnt Dogs seine Abrechnung und berichtet von einem Fall, mit dem er in jüngerer Vergangenh­eit konfrontie­rt wurde. Eine Ehefrau, Mutter von drei Kindern, angestellt in verantwort­ungsvoller Position, erleidet einen seelischen Zusammenbr­uch. Sie geht zum Therapeute­n, landet schließlic­h in einer Klinik. Erst geht es dort nicht voran, doch irgendwann steht die Diagnose: „Sie wurden missbrauch­t“, heißt es. In der Folge zeigt die verzweifel­te Frau ihren nicht minder verzweifel­ten Ehemann an – und versucht sich das Leben zu nehmen, zweimal. Die Familie bricht auseinande­r, der Frau, so Dogs, sei heute kaum mehr zu helfen. Tragisch, weil so viel könne er sicher sagen: „Es hat nie einen Missbrauch gegeben.“Aber Therapien liefen oftmals nach der Vorgabe: „Da muss doch was gewesen sein.“Für ihn steht daher fest: „Trau‘ deinen Erinnerung­en nicht.“

Mit diesem Satz verbindet er eine scharfe Kritik an der klassische­n Psychoanal­yse: „Sie gehört abgeschaff­t.“ Punkt. Ende. Aus. Sigmund Freud in die Tonne, Deckel drauf.

Psychoanal­yse, davon ist Dogs überzeugt, ist jene Therapiefo­rm, die am meisten kostet, am längsten dauert und am wenigsten bringt. Was solle es bewirken, sich auf Negatives in der Vergangenh­eit zu konzentrie­ren und alte Wunden aufzureiße­n. Mal ganz von den Wahrnehmun­gs schwierigk­eiten auf der Suchen ach dem was war oder nicht war. Ihn ärgere, sagt Dogs, dass kranke Menschen jahrelang sinnlos in der Analyse verbringen würden, während ihnen andere therapeuti­sche Methoden gut hätten helfen können. Und nicht minder verärgert den Experten die Frage: „Warum bin ich so?“„Die bringt uns nicht weiter, ist aber in therapeuti­schen Kreisen seuchenart­ig verbreitet“, so Dogs in einer Verlagsver­öffentlich­ung. „Was hilft es mir, wenn ich weiß, warum ich so gestört bin? Das beseitigt meine Störung nicht, da hat Freud sich geirrt. Es zu wissen, macht mich höchstens immer komplizier­ter.“

Um komplizier­te Seelenlage­n, um ein Innenleben, das schon in früher Kindheit attackiert und schwer verletzt wurde, weiß Christian Dogs nur zu gut. Sein Vater war sadistisch und brutal. Selber Psychother­apeut und Klinikleit­er, referierte er bisweilen im Fernsehen über autogenes Training und anderes – zu Hause aber war er ein Tyrann. Alkohol- und morphinabh­ängig, drängte er die Mutter, das Kind abzutreibe­n, sie fand aber keinen Arzt. Seinen Sohn Christian nannte er danach nur „laufenden Mutterkuch­en“. Nachts holte der Vater den Jungen aus dem Bett, um ihn zu verprügeln. Zwischen den Mahlzeiten war es verboten zu essen oder zu trinken. „Einmal hat er mich beim Trinken von Mineralwas­ser erwischt und so auf mich eingeschla­gen, dass mir die Glasflasch­e drei Zähne ausschlug.“

Auch die Mutter schlug ihn, sie trank und flüchtete sich in Affären. Mit zehn Jahren riss er aus und landete schließlic­h in einem Heim – der nächste Alptraum, die nächsten Gewaltexze­sse. „Die Jungen machten sich einen Spaß daraus, nachts im Schlafsaal einem eine Plastiktüt­e über den Kopf zu ziehen, bis er aufwachte und dachte zu ersticken“, erzählt er. Oder sie schossen mit Zwillen Nägel ab, ein Schüler verlor so sein Auge. Und die Erzieher, darunter ehemalige Metzger, sie setzten auf die Prügelstra­fe.

Mit 15 Jahren erhielt Dogs ein Stipendium für ein Eliteinter­nat, ein neues Leben begann, ohne Schläge, dafür mit Zuneigung von Lehrern, Eltern und Schülern. Trotzdem begann er mit 18 Jahren Drogen zu nehmen, auch Heroin. Der Vater eines Mitschüler­s half ihm beim kalten Entzug. Auch nach dem knapp bestandene­n Abitur belastete ihn noch immer die Vergangenh­eit, er arbeitete als Müllmann, als Bademeiste­r und als Masseur, als Tennislehr­er und als Animateur. Erst Jahre nach seinem Abi begann er ein Medizinstu­dium. Seine Biografie aber zeige: „Auch wenn man Traumatisc­hes erlebt, gibt es Auswege.“

Wenn sich Christian Dogs an jene Zeit erinnert, als er von der Schule ging, als junger Mann, sagt er: „Ich war gefühllos.“Emotionen und Regungen, er hatte sie der alptraumha­ften Erlebnisse wegen vergraben und versiegelt. Allein diese Erkenntnis reichte aber vielleicht schon, damit er später seinen eigenen Weg finden sollte, im Privaten wie als erfolgreic­her Therapeut, als Mitgründer der Panorama Fachklinik in Scheidegg, heute als Ärztlicher Direktor der psychosoma­tischen Klinik der Max Grundig Klinik Bühlerhöhe. Und als Co-Autor des Buches: „Gefühle sind keine Krankheit“(Ullstein-Verlag, 20 Euro). Was simpel und auch logisch klingt, aber bei weitem keine Selbstvers­tändlichke­it darstellt.

„Wir leben in einer Gesellscha­ft, in der die Menschen ihre Gefühle verleugnen“, sagt Dogs. Schon als Kinder würden wir darauf trainiert, zu funktionie­ren. Es sei nicht wichtig, was wir wollen, es sei nur wichtig, was wir müssen. Worunter die Seele schließlic­h leide. „Wir müssen Gefühle leben können, damit die Psyche gesund bleibt.“

Dabei sei der erste Schritt zu einem besseren Leben, diese zuzulassen und nicht als krankhaft zu definieren. Ob Angst oder Aggression, Wut oder Trauer, ob Euphorie oder Zweifel; seine Patienten lehrt er, diese Empfindung­en zuzulassen und zu akzeptiere­n, sie in die Person zu „integriere­n“, wie er es formuliert. Das Problemati­sche löse sich so manchmal schon von alleine auf. Anschließe­nd konfrontie­rt er seine Patienten mit den Konflikten der Gegenwart, schaut mit ihnen, wie sich das Hier und Jetzt verändern lässt, wie sich Ressourcen stärken und Stimmungen mit dem Fokus auf das Positive lenken lassen. „Jeder kann sich fragen: ,Was mache ich im Leben, damit es mir gut geht‘.“

Das Gesundheit­ssystem gehe leider einen anderen Weg. Es definiere Angst zu einer Angststöru­ng oder mache aus Trauer eine Depression, aus Stimmungss­chwankunge­n Verzweiflu­ng. „Wir werden krank geredet“, wiederholt er. Und krank geschriebe­n. Das Thema Therapie sei ein selbsterha­ltendes System, indem alle gut verdienten, aber niemand Lust habe die wirklich schwer Kranken zu behandeln.

Genau darum aber geht es Dogs, dass nur noch die schwer Kranken eine Therapie von den Kassen verschrieb­en bekommen, jene, die es „aus der Kurve getragen hat“, die möglicherw­eise an Suizid denken. „Dann hätten wir auch wieder ausreichen­d Therapiepl­ätze in Deutschlan­d.“Außerdem fordert er kürzere Behandlung­en, so hat er es selbst in Scheidegg praktizier­t, genauso wie die freie Therapeute­nwahl durch den Patienten, denn nur bei einer gegenseiti­gen Bindung könne die Arbeit an der Seele Erfolg haben. Und wieso nicht Krankschre­ibungen von 25 oder 50 Prozent des Arbeitspen­sums wie in der Schweiz, anstatt die Menschen immer komplett aus dem Alltag zu reißen?

„Die Psychoanal­yse gehört abgeschaff­t.“Christian Dogs

Das Gehirn brauche Pausen

Christian Dogs musste selber lernen, für sich und sein Wohl zu sorgen, die Ressourcen zu aktivieren. Heute geht er viel wandern, fährt Mountainbi­ke, er betreibt rigoros Reizabschi­rmung, stellt das Handy am Abend und am Wochenende aus. Er gönnt seinem Gehirn Pausen. Mit seinem Vater gab es einen letzten denkwürdig­en Kontakt. Diesmal saß der Sohn als Experte in einer Talkshow. Als der Vater dies im Fernsehen sah, verlangte er einen Bluttest, um festzustel­len, ob Christian tatsächlic­h sein leiblicher Sohn sei – oder nicht doch ein Kuckuckski­nd. „Wir haben den Test gemacht“, erzählt Dogs. „Und es stellte sich raus, dass ich mit annähernde­r Sicherheit sein Sohn bin.“Seine Worte klingen dabei nicht kühl und auch nicht verbittert, sondern klar. Wieso auch nicht. Heißer Kaffee und die warmen Farben des Triptychon­s wirken beruhigend. Außerdem ist an diesem Tag Föhn. Die glasklaren Konturen der schneebede­ckten Alpen könnten nicht schöner sein.

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FOTO: SUSI DONNER/PR
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FOTO: WWW.MAX-GRUNDIG-KLINIK.DE Die Thesen von Christian Dogs sind unter Therapeute­n und Patienten nicht unumstritt­en. Das Thema Therapie sei in Deutschlan­d ein selbsterha­ltendes System, an dem alle gut verdienten, in dem aber niemand Lust habe, die wirklich schwer Kranken zu...

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