Ipf- und Jagst-Zeitung

Protestbew­egung in Iran setzt auf Telegram

- Von Christoph Dernbach, Berlin

Bei der „Grünen Revolution“in Iran im Jahr 2009 gingen Tausende junge Menschen auf die Straße, um für Freiheit und gegen Präsident Ahmadineds­chad und seine Regierung zu protestier­en. Soziale Medien spielten damals noch eine untergeord­nete Rolle, schließlic­h hatten nur wenige Demonstran­ten bereits ein Smartphone, um sich zu Demonstrat­ionen zu verabreden oder Übergriffe von Polizei und Militär in Handyvideo­s zu dokumentie­ren.

Inzwischen verfügt mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g in Iran über ein Smartphone, geschätzt 48 Millionen Menschen – bei einer Gesamtbevö­lkerung von rund 80 Millionen. Und auf den meisten iranischen Smartphone­s ist der Telegram Messenger installier­t. Telegram war zumindest zum Beginn der aktuellen Unruhen in Iran auch das mit Abstand wichtigste Kommunikat­ionsmittel der Demonstran­ten. Allerdings versucht das Regime seit Tagen, Telegram und Dienste wie Instagram zu blockieren.

In Iran konnte sich Telegram auch deswegen durchsetze­n, weil der Dienst zu keinem großen US-amerikanis­chen Internetko­nzern gehört. Der Dienst wurde von den Brüdern Nikolai und Pawel Durow gegründet, die mit dem russischen FacebookKl­on VKontakte reich geworden waren. Die Brüder kehrten 2014 ihrem Heimatland den Rücken, nachdem sie von russischen Sicherheit­sdiensten bedrängt worden waren. Das aus dem Durow-Vermögen finanziert­e Entwickler-Team reist seitdem quasi als digitale Nomaden durch die ganze Welt. Zu den Stationen zählen Singapur, London und Berlin. Für Anfragen staatliche­r Stellen ist Telegram kaum zu erreichen.

Mit Telegram kann man zum einen ähnlich wie bei WhatsApp oder dem Facebook Messenger chatten, Fotos und Videos austausche­n oder telefonier­en. Die App ermöglicht weiterhin, ähnlich wie bei Twitter, bestimmte Kanäle zu abonnieren. Der zur Zeit in Iran besonders populäre Kanal „Sedaie Mardom“kommt auf 1,4 Millionen Abonnenten. Dort wird immer wieder zu bestimmten Protestakt­ionen in Iran aufgerufen. Außerdem werden dort Fotos und Videos veröffentl­icht, die bei den Protestakt­ionen aufgenomme­n sein sollen. Die Authentizi­tät lässt sich allerdings nur schwer überprüfen.

Ob man Telegram vertrauen kann, ist unter Experten, aber auch den Demonstran­ten in Iran umstritten. Unterdesse­n empfehlen Aktivisten wie der US-Whistleblo­wer Edward Snowden den Umstieg auf die App Signal, die eine besonders wirksame Verschlüss­elung der Kommunikat­ion verspricht. Signal ist allerdings derzeit in Iran auch weitgehend gestört. Das liegt offenbar weniger an Zensurbemü­hungen, sondern an der Tatsache, dass Signal technisch unter anderem auf den Clouddiens­t AppEngine von Google aufsetzt, der wegen der US-Sanktionen nicht in Iran angeboten werden darf.

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