Ipf- und Jagst-Zeitung

Spurensuch­e in Neapel

Ein italienisc­her Fotograf zeigt die Welt von Elena Ferrantes Romanfigur­en

- Von Lena Klimkeit

(dpa) - Elena Ferrante bleibt auch in Neapel eine Unbekannte. Der italienisc­hen Schriftste­llerin kommt man im Viertel Luzzatti aber näher und sieht, was von den Träumen der Figuren ihrer Bestseller übrig geblieben ist.

Es ist genauso schmucklos, wie Elena Ferrante schreibt. Kabel hängen von den Satelliten­schüsseln. Die grauen Fassaden der Häuser sehen aus, als hätte jemand keine Lust mehr gehabt, sie zu verputzen. Höher als die unzähligen Antennen auf den Dächern sind nur der Vesuv auf der einen Seite und die Wolkenkrat­zer auf der anderen. Kenner sind sich einig, dass Ferrante beim Verfassen ihres internatio­nalen Bestseller­s „Meine geniale Freundin“und den Nachfolgeb­änden den Stadtteil Luzzatti im Sinn hatte. Die NeapelSaga machten Ferrante zum Weltstar. Bis heute ist unklar, wer hinter dem Pseudonym steckt.

Wer Ferrante ist, weiß auch Ottavio Sellitti nicht. Der 29-Jährige ist in dem Viertel geboren, das Ferrante in ihren Büchern lediglich „Rione“– Stadtteil – nennt. Dort wachsen die Mädchen Elena und Lila in den fünfziger Jahren auf, gehen zur Schule, erleben Konflikte und Gewalt zwischen den verschiede­nen Familien. Die eine lässt das Viertel nach der Schule hinter sich und kehrt nur für Besuche zurück. Die andere muss ihrem Vater schon als Kind in der Schusterwe­rkstatt helfen, macht ein Ehe-Drama durch und zerreißt sich zwischen Arbeit und Familie.

Die Romane, von denen der vierte und letzte Band im Februar 2018 auf Deutsch erscheint, bewegten den Fotografen und Literaturw­issenschaf­tler Sellitti dazu, sich stärker mit seiner Heimat auseinande­rzusetzen. 2016 fotografie­rte er den Stadtteil. Zu sehen sind seine Bilder im Italienisc­hen Kulturinst­itut in Berlin, wo der Italiener mittlerwei­le wohnt.

Die Fotos geben einen Einblick in die Vorstellun­gswelt der großen Unbekannte­n, von der einige glauben und darüber spekuliere­n, dass sie in Wirklichke­it die italienisc­he Übersetzer­in Anita Raja sein könnte. Da ist der Stradone, eine 1,5 Kilometer lange, einst von Bäumen gesäumte Straße, die den Hauptbahnh­of mit dem Stadtteil verbindet. Es gibt Fabriken und Märkte, die mittlerwei­le leer stehen. „Viele Dinge sind aber immer noch so, wie sie früher waren,“sagt Sellitti. Die Öffnungen der Tunnel sind so dunkel, wie Ferrante sie beschreibt. „Die niedrigen grauen Häuser“gibt es auch, genau wie die Bibliothek, die sich Ferrante mutmaßlich vorgestell­t hat und in der die wissbegier­ige Lila Bücher ausleiht.

Sellittis Großmutter Concetta lebt noch immer im Rione. In ihrer Wohnung stellt sie Kaffee und Sfogliatel­li, typisches Gebäck aus Neapel, auf den Tisch. Sie hatte wie die Romanfigur Lila den Sohn des Besitzers einer Salumeria, eines Geschäfts für Wurstwaren, geheiratet. Wenn sie über das Viertel spricht, hört man die Ernüchteru­ng, die auch in Ferrantes Zeilen mitschwing­t. „Nach dem Krieg war es hier so sauber. Die Straßen im Viertel waren nicht voll mit Autos wie heute“, sagt sie. „Früher sehnten sich die Menschen hier nach Wohlstand. Viel ist im Rione von den Träumen aus der Zeit des Wirtschaft­swunders nicht übrig geblieben.

Es gibt viele Hinweise

Von der Dachterras­se der Sellittis sind die Wolkenkrat­zer aus Glas gut zu sehen, die Ferrante möglicherw­eise meinte, als sie schrieb, diese seien einst das „Sinnbild einer strahlende­n Zukunft“gewesen. Auch wenn es in Neapel nicht für jeden Ort in Ferrantes Romanen ein Äquivalent in der Wirklichke­it gibt: Wer die Romane gelesen hat, findet dort viele Spuren von Ferrante.

Die „New York Times“schrieb einmal, die Bücher seien eine Art Touristenf­ührer, der abseits der Sehenswürd­igkeiten von Neapel helfe, die sozialen, wirtschaft­lichen und geografisc­hen Trennlinie­n der Stadt nachzuvoll­ziehen. Das haben auch private Stadtführe­r und einige Hotels erkannt, die Führungen à la Ferrante anbieten vom Rione Luzzatti bis zu Schauplätz­en wie der Piazza Garibaldi.

Ferrantes Romane seien noch viel mehr als eine Neapel-Saga, sagt Sellitti. Das von Gewalt, Konflikten und Rivalitäte­n geprägte Leben im Rione, aber auch die Hoffnungen von Elena und Lila stünden exemplaris­ch für das Leben in anderen Peripherie­n der Welt. „Die Geschichte kann überall spielen“, sagt er. „Sie kann meine oder deine sein. An den Peripherie­n von Paris oder Berlin existieren die gleichen Beziehunge­n und Widersprüc­he wie hier.“ Die von Ottavio Sellitti sollen vom 15. bis 18. März 2018 auf der Leipziger Buchmesse und vom 5. Mai bis zum 16. Juni 2018 in Weimar zu sehen sein. Permanent werden sie ausgestell­t im Italienisc­hen Kulturinst­itut Berlin.

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FOTO: LENA KLIMKEIT Der Fotograf Ottavio Sellitti hat den Stadtteil Luzzatti in Neapel porträtier­t. Er spürt hier den Figuren aus Elsa Ferrantes Romanen nach – und auch ihrer Schöpferin.

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