Neue Zeiten bei den Grünen
Nach Cem Özdemir erklärt auch Simone Peter den Verzicht auf Posten an der Parteispitze
BERLIN - Nach fünf Jahren ist Schluss, Simone Peter wirft das Handtuch, bewirbt sich nicht wieder für die Grünen-Spitze, die in knapp drei Wochen neu gewählt wird. Die Kandidatur der Partei-Linken Anja Piel habe sie bewogen, „den Platz freizumachen“, erklärte Peter, ebenfalls vom linken Flügel, am Montag.
Es ist in den Augen vieler der Rückzug einer Gescheiterten, Peter agierte ohne Fortune, der Dauerstreit mit Co-Chef Cem Özdemir hatte den Bundestagswahlkampf belastet. Dass Peter auf die neue Kandidatur verzichtet, liegt wohl auch an ihrer Chancenlosigkeit. Doch ist der Schritt mehr: Er läutet das Ende der jahrzehntelangen Flügelarithmetik bei der Ökopartei ein. Da sich auch Realo Özdemir aus der Spitze zurückzieht, kommt es nun zu einem neuen Führungsduo, und das steht über den Grabenkämpfen von einst.
Hoffnungsträger Habeck
Neuer Hoffnungsträger ist vor allem Robert Habeck, Schleswig-Holsteins stellvertretender Ministerpräsident und Umweltminister. Ihm könnte es sogar gelingen, für eine Übergangszeit Parteichef und Minister zu sein – der Parteitag am 26. und 27. Januar müsste dafür die Satzung ändern, von einem „Lex Habeck“ist die Rede. An seine Seite wird wohl die Bundestagsabgeordnete und WahlBrandenburgerin Annalena Baerbock treten, die den Realos zugeordnet wird. Anja Piel, mit deren Kandidatur Peter ihren Rückzug begründete, gilt als Zählkandidatin ohne große Chancen (siehe nebenstehenden Text „Zur Person“). Erstmals dürfte es also nicht ein RealoFundi-Tandem geben, das die Grünen führt und die Richtung vorgibt.
Der scheidende Grünen-Chef Özdemir brach am Montag die Lanze für die Überwindung des Lagerdenkens. Die Frauenquote habe sicherlich weiter ihre Berechtigung, „da zeichnen sich die Grünen auch aus“, sagte der Schwabe. Die Doppelquote nach Frauen und Flügeln sei indes „manchmal ein bisschen zu viel des Guten“. Seine bisherige Amtspartnerin Peter hielt allerdings noch dagegen: Es bleibe wichtig, „dass die Themenvielfalt im Vorstand vertreten ist“, also Realo- und Fundi-Positionen.
Geht sie weiter, die Gruppentherapie, beschäftigen sich die Grünen nun wieder vor allem mit sich selbst, nachdem der Traum vom Regieren durch das Scheitern von Jamaika so jäh geplatzt war? Davor graut es auch Simone Peter. Die „Selbstreflexion“ werde „hoffentlich von kurzer Dauer sein“, so ihr Wunsch am Montag zum Abschluss der Vorstandsklausur. Die Grünen in der Selbstfindung, doch diesmal könnte mit der personellen Neuaufstellung eine Zeitenwende gelingen, ein Schlussstrich unter die ideologischen Kämpfe gezogen und die Modernisierung der Partei in Angriff genommen werden. Habeck und Baerbock betonen immer wieder, sie träten nicht für Parteiflügel an. Mit ihnen könnten zwei frische Gesichter mit Charisma übernehmen. Auch Piel, Grünen-Fraktionschefin im niedersächsischen Landtag, will von weiterer Gruppentherapie nichts wissen. „Eine Nabelschau hilft uns nun wirklich nicht weiter.“Sie rief dazu auf, „gemeinsame Positionen für die Veränderung der Partei zu finden“.
Kleinste Oppositionspartei
Es ist ein schwieriger Neustart bei den Grünen, die statt am Kabinettstisch doch wieder in der Opposition landen. Als kleinste Oppositionspartei müssen sie sich im Bundestag gegen AfD, FDP und Linkspartei Gehör verschaffen, sollte es zur Neuauflage von Schwarz-Rot kommen. In der Fraktion bleibt es vermutlich bei der Doppelspitze Katrin Göring-Eckardt (Realos) und Anton Hofreiter (linker Flügel). Allerdings harmonieren die beiden besser, als es Özdemir und Peter je getan haben. Özdemir hatte sich kürzlich mit Kritik an der Fraktionsspitze zu Wort gemeldet: Sie dringe kaum noch an die Öffentlichkeit, richte ihren Blick „eher nach innen als nach außen“, sagte Özdemir. Womöglich schwang darin auch Enttäuschung mit, weil er selbst keine Chancen auf die Nachfolge Hofreiters hat.
Für Özdemir, der sich während der Jamaika-Sondierungen schon auf einen Ministerposten vorbereitet hatte, geht die Berliner Zeit womöglich mittelfristig zu Ende. Er wird für die Nachfolge von Parteifreund Winfried Kretschmann, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, gehandelt – auch wenn er selbst das schon mehrfach wortreich dementiert hat.