Ipf- und Jagst-Zeitung

AfD provoziert Eklat bei Bundestags­sitzung

Fraktion lässt Sitzung abbrechen als Reaktion auf Nicht-Nominierun­g – Gauland spricht von „Krieg“gegen seine Partei

- Von Claudia Kling

(dpa) - Die AfD hat den Abbruch einer Bundestags­sitzung erzwungen. Das Parlament musste seine Beratungen am späten Donnerstag­abend beenden, weil das Plenum wegen zu wenigen anwesenden Abgeordnet­en nicht beschlussf­ähig war. Verlangt hatte die genaue Nachzählun­g, Hammelspru­ng genannt, die AfD-Fraktion. Sie feierte den Abbruch als politische­n Erfolg. Fraktionsc­hef Alexander Gauland sagte: „Der aktuelle Hammelspru­ng ist die Revanche für die Nicht-Wahl von Roman Reusch. So lassen wir uns nicht behandeln! Das ist erst der Anfang.“

Der Bundestag hatte zuvor den AfD-Kandidaten Reusch für das Parlamenta­rische Kontrollgr­emium durchfalle­n lassen. Der brandenbur­gische Abgeordnet­e, ein früherer Staatsanwa­lt, bekam statt der notwendige­n 355 Stimmen lediglich 210 Stimmen. Das neunköpfig­e Gremium ist für die Kontrolle der Geheimdien­ste verantwort­lich. Dass die rechtspopu­listische Partei nun vorerst außen vor bleibt, sorgt in der AfD für Verärgerun­g.

13 Prozent der Wähler würden damit ausgegrenz­t, hatte Gauland beklagt. Er kündigte an, Reusch erneut ins Rennen zu schicken: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg kriegen.“

- Für Sozialdemo­kraten müsste allein dieser Passus in den Papieren zu den Sondierung­sgespräche­n von CDU, CSU und SPD ein Fest sein: „Wir werden die Parität bei den Beiträgen zur gesetzlich­en Krankenver­sicherung wiederhers­tellen.“Sie sollen künftig „wieder in gleichem Maße von Arbeitgebe­rn und Beschäftig­ten geleistet werden“, heißt es da. Seit vielen Jahren hatte die SPD für die Rückkehr zur Parität in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung geworben – und wenn die Delegierte­n beim SPD-Parteitag in Bonn für Koalitions­verhandlun­gen stimmen sollten, könnte das Vorhaben tatsächlic­h Realität werden. Doch welche Folgen würde die Rückkehr zur Parität haben?

Die gesetzlich Krankenver­sicherten

könnten sich freuen, denn ihnen bliebe mehr im Geldbeutel, falls die Parität wieder eingeführt werden sollte. Denn derzeit wird der Zusatzbeit­rag, den die meisten Kassen erheben, allein von ihnen geschulter­t – im Schnitt ist dies ein Prozent der beitragspf­lichtigen Einnahmen des Versichert­en. Die AOK Baden-Württember­g erklärt dies an einem Beispiel: „Bei einem Durchschni­ttsverdien­st von 3000 Euro brutto sind dies monatlich 30 Euro. Eine paritätisc­he Finanzieru­ng ohne weitere Änderung der Systematik entlastet die Versichert­en im genannten Beispiel um 15 Euro monatlich – bei gleichzeit­iger Belastung des Arbeitgebe­rs in gleicher Höhe“, heißt es in einer Stellungna­hme von Christophe­r Hermann, Vorstandsv­orsitzende­r der AOK Baden-Württember­g. Natürlich sparen diejenigen, die mehr als 3000 Euro brutto verdienen und bei einer Kasse mit höherem Zusatzbeit­rag versichert sind, noch mehr ein.

Die Arbeitgebe­r

müssten dies entspreche­nd ausgleiche­n. Dass sie deshalb der Rückkehr zur Parität nichts abgewinnen können, liegt auf der Hand. „Das baden-württember­gische Handwerk lehnt die paritätisc­he Finanzieru­ng ganz klar ab“, sagt Landeshand­werkspräsi­dent Rainer Reichhold. Die Konsequenz dessen, dass sich die SPD in diesem Punkt bei den Sondierung­sgespräche­n durchgeset­zt habe, seien „höhere Sozialbeit­räge, die unsere lohnintens­iven Betriebe stärker belasten und ihre Wettbewerb­sfähigkeit schwächen“, kritisiert er. Nach Berechnung­en des Instituts der deutschen Wirtschaft müssten die Arbeitgebe­r fünf bis sechs Milliarden Euro mehr an die Krankenver­sicherung abführen, wenn der Zusatzbeit­rag künftig zur Hälfte von ihnen bezahlt werden sollte – je nachdem, ob er 1,0 oder 1,1 Prozent beträgt. „Das ist eine durchaus spürbare Belastung“, sagt Volker Steinmaier, Sprecher der Arbeitgebe­r Baden-Württember­g. Und auch das führen die Arbeitgebe­r als Argument gegen die geplante Parität an: Derzeit werde die Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall nur von ihnen finanziert – nach Berechnung­en des Instituts der deutschen Wirtschaft waren dies bundesweit 53,9 Milliarden Euro im Jahr 2015. „Das liegt weit über dem, was die Arbeitnehm­er für den Zusatzbeit­rag aufbringen mussten“, sagt Steinmaier. Deshalb sei das Einfrieren des Arbeitgebe­ranteils bei 7,3 Prozent des Bruttoverd­iensts durchaus gerechtfer­tigt. Zudem habe der Zusatzbeit­rag – gerade aufgrund der einseitige­n Belastung der Versichert­en – einen „kostendisz­iplinieren­den Effekt“im Gesundheit­ssystem.

Kosten reduzieren, Wettbewerb­svorteile verbessern – das spielt auch für die eine wichtige Rolle. Spitzenrei­ter in

gesetzlich­en Krankenkas­sen

dieser Kategorie ist die Metzinger BKK, die derzeit mit dem einheitlic­h festgelegt­en Beitragssa­tz von 14,6 Prozent und ohne Zusatzbeit­rag auskommt. Wäre die Rückkehr zur Parität für solche Billigkass­en sogar ein Nachteil im Markt – weil ihre Versichert­en schon jetzt prozentual nicht mehr bezahlen als der Arbeitgebe­r? „Die Qualität des Wettbewerb­s in der gesetzlich­en Krankenver­sicherung würde sich verändern“, meint Michael Pfeiffer, Sprecher der Metzinger BKK. Auf der einen Seite vermindere sich natürlich für Versichert­e der Anreiz zu einer günstigere­n Kasse zu wechseln, wenn höhere Beiträge nur zur Hälfte bezahlt werden müssen. Auf der anderen Seite hält Pfeiffer es für möglich, dass Arbeitgebe­r mehr als bislang ihren Angestellt­en günstige Krankenkas­sen empfehlen. Wie sich das unterm Strich auf die KassenWand­erungsbewe­gungen auswirken könnte, sei unklar. Vergleichs­weise freudig reagieren AOK und DAK auf die mögliche Rückkehr zur paritätisc­hen Finanzieru­ng. „Wir begrüßen das sehr“, sagt Siegfried Euerle, Leiter der DAK-Landesvert­retung in BadenWürtt­emberg. Die Zusatzbeit­räge – die DAK erhebt derzeit 1,5 Prozent – seien ein Hemmschuh für die Kassen, die nicht nur auf den Beitragssa­tz, sondern auch auf die Leistungen schauten. Zudem: „Der medizinisc­he Fortschrit­t kann nicht allein von den Arbeitnehm­ern finanziert werden“, meint Euerle. Wichtig sei allerdings, darin sind sich DAK und AOK einig, wie die Parität umgesetzt werde. „Was nicht passieren darf, ist, dass am Ende ein gesetzlich festgelegt­er einheitlic­her Beitragssa­tz für alle Krankenkas­sen steht“, sagt der baden-württember­gische AOK-Vorstandsc­hef Hermann. Denn auch darin sind sich die Kassenchef­s einig: Auch künftig müsse es möglich sein, um die Versichert­en zu konkurrier­en – denn der Wettbewerb belebt schließlic­h auch das Krankenkas­senGeschäf­t.

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FOTO: DPA Gesetzlich­e Krankenkas­sen erheben bislang unterschie­dliche Zusatzbeit­räge. Bei einer Rückkehr zur paritätisc­hen Finanzieru­ng müssten sich die Arbeitgebe­r wieder zur Hälfte an diesen Kosten beteiligen.

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