AfD provoziert Eklat bei Bundestagssitzung
Fraktion lässt Sitzung abbrechen als Reaktion auf Nicht-Nominierung – Gauland spricht von „Krieg“gegen seine Partei
(dpa) - Die AfD hat den Abbruch einer Bundestagssitzung erzwungen. Das Parlament musste seine Beratungen am späten Donnerstagabend beenden, weil das Plenum wegen zu wenigen anwesenden Abgeordneten nicht beschlussfähig war. Verlangt hatte die genaue Nachzählung, Hammelsprung genannt, die AfD-Fraktion. Sie feierte den Abbruch als politischen Erfolg. Fraktionschef Alexander Gauland sagte: „Der aktuelle Hammelsprung ist die Revanche für die Nicht-Wahl von Roman Reusch. So lassen wir uns nicht behandeln! Das ist erst der Anfang.“
Der Bundestag hatte zuvor den AfD-Kandidaten Reusch für das Parlamentarische Kontrollgremium durchfallen lassen. Der brandenburgische Abgeordnete, ein früherer Staatsanwalt, bekam statt der notwendigen 355 Stimmen lediglich 210 Stimmen. Das neunköpfige Gremium ist für die Kontrolle der Geheimdienste verantwortlich. Dass die rechtspopulistische Partei nun vorerst außen vor bleibt, sorgt in der AfD für Verärgerung.
13 Prozent der Wähler würden damit ausgegrenzt, hatte Gauland beklagt. Er kündigte an, Reusch erneut ins Rennen zu schicken: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg kriegen.“
- Für Sozialdemokraten müsste allein dieser Passus in den Papieren zu den Sondierungsgesprächen von CDU, CSU und SPD ein Fest sein: „Wir werden die Parität bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung wiederherstellen.“Sie sollen künftig „wieder in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet werden“, heißt es da. Seit vielen Jahren hatte die SPD für die Rückkehr zur Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung geworben – und wenn die Delegierten beim SPD-Parteitag in Bonn für Koalitionsverhandlungen stimmen sollten, könnte das Vorhaben tatsächlich Realität werden. Doch welche Folgen würde die Rückkehr zur Parität haben?
Die gesetzlich Krankenversicherten
könnten sich freuen, denn ihnen bliebe mehr im Geldbeutel, falls die Parität wieder eingeführt werden sollte. Denn derzeit wird der Zusatzbeitrag, den die meisten Kassen erheben, allein von ihnen geschultert – im Schnitt ist dies ein Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten. Die AOK Baden-Württemberg erklärt dies an einem Beispiel: „Bei einem Durchschnittsverdienst von 3000 Euro brutto sind dies monatlich 30 Euro. Eine paritätische Finanzierung ohne weitere Änderung der Systematik entlastet die Versicherten im genannten Beispiel um 15 Euro monatlich – bei gleichzeitiger Belastung des Arbeitgebers in gleicher Höhe“, heißt es in einer Stellungnahme von Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Natürlich sparen diejenigen, die mehr als 3000 Euro brutto verdienen und bei einer Kasse mit höherem Zusatzbeitrag versichert sind, noch mehr ein.
Die Arbeitgeber
müssten dies entsprechend ausgleichen. Dass sie deshalb der Rückkehr zur Parität nichts abgewinnen können, liegt auf der Hand. „Das baden-württembergische Handwerk lehnt die paritätische Finanzierung ganz klar ab“, sagt Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold. Die Konsequenz dessen, dass sich die SPD in diesem Punkt bei den Sondierungsgesprächen durchgesetzt habe, seien „höhere Sozialbeiträge, die unsere lohnintensiven Betriebe stärker belasten und ihre Wettbewerbsfähigkeit schwächen“, kritisiert er. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft müssten die Arbeitgeber fünf bis sechs Milliarden Euro mehr an die Krankenversicherung abführen, wenn der Zusatzbeitrag künftig zur Hälfte von ihnen bezahlt werden sollte – je nachdem, ob er 1,0 oder 1,1 Prozent beträgt. „Das ist eine durchaus spürbare Belastung“, sagt Volker Steinmaier, Sprecher der Arbeitgeber Baden-Württemberg. Und auch das führen die Arbeitgeber als Argument gegen die geplante Parität an: Derzeit werde die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nur von ihnen finanziert – nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft waren dies bundesweit 53,9 Milliarden Euro im Jahr 2015. „Das liegt weit über dem, was die Arbeitnehmer für den Zusatzbeitrag aufbringen mussten“, sagt Steinmaier. Deshalb sei das Einfrieren des Arbeitgeberanteils bei 7,3 Prozent des Bruttoverdiensts durchaus gerechtfertigt. Zudem habe der Zusatzbeitrag – gerade aufgrund der einseitigen Belastung der Versicherten – einen „kostendisziplinierenden Effekt“im Gesundheitssystem.
Kosten reduzieren, Wettbewerbsvorteile verbessern – das spielt auch für die eine wichtige Rolle. Spitzenreiter in
gesetzlichen Krankenkassen
dieser Kategorie ist die Metzinger BKK, die derzeit mit dem einheitlich festgelegten Beitragssatz von 14,6 Prozent und ohne Zusatzbeitrag auskommt. Wäre die Rückkehr zur Parität für solche Billigkassen sogar ein Nachteil im Markt – weil ihre Versicherten schon jetzt prozentual nicht mehr bezahlen als der Arbeitgeber? „Die Qualität des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung würde sich verändern“, meint Michael Pfeiffer, Sprecher der Metzinger BKK. Auf der einen Seite vermindere sich natürlich für Versicherte der Anreiz zu einer günstigeren Kasse zu wechseln, wenn höhere Beiträge nur zur Hälfte bezahlt werden müssen. Auf der anderen Seite hält Pfeiffer es für möglich, dass Arbeitgeber mehr als bislang ihren Angestellten günstige Krankenkassen empfehlen. Wie sich das unterm Strich auf die KassenWanderungsbewegungen auswirken könnte, sei unklar. Vergleichsweise freudig reagieren AOK und DAK auf die mögliche Rückkehr zur paritätischen Finanzierung. „Wir begrüßen das sehr“, sagt Siegfried Euerle, Leiter der DAK-Landesvertretung in BadenWürttemberg. Die Zusatzbeiträge – die DAK erhebt derzeit 1,5 Prozent – seien ein Hemmschuh für die Kassen, die nicht nur auf den Beitragssatz, sondern auch auf die Leistungen schauten. Zudem: „Der medizinische Fortschritt kann nicht allein von den Arbeitnehmern finanziert werden“, meint Euerle. Wichtig sei allerdings, darin sind sich DAK und AOK einig, wie die Parität umgesetzt werde. „Was nicht passieren darf, ist, dass am Ende ein gesetzlich festgelegter einheitlicher Beitragssatz für alle Krankenkassen steht“, sagt der baden-württembergische AOK-Vorstandschef Hermann. Denn auch darin sind sich die Kassenchefs einig: Auch künftig müsse es möglich sein, um die Versicherten zu konkurrieren – denn der Wettbewerb belebt schließlich auch das KrankenkassenGeschäft.