Ipf- und Jagst-Zeitung

Mit dem Zitteraal-Prinzip zur menschlich­en Batterie

Laupheimer Forscher entwickelt eine Art Biokraftwe­rk, das künftig im menschlich­en Körper Schrittmac­her antreiben könnte

- Von Gerd Mägerle

- Kann das Elektro-Organ des Zitteraals als Vorbild dienen, um eine Energieque­lle zu bauen, die im menschlich­en Körper Herzschrit­tmacher, medizinisc­he Messsonden oder Pumpen für Medikament­e antreibt? Was noch wie Zukunftsmu­sik klingt, ist das Forschungs­gebiet des aus Laupheim stammenden Biophysik-Professors Michael Mayer. An der Universitä­t Fribourg (Schweiz) ist es ihm zusammen mit Kollegen der Universitä­ten von Michigan und San Diego (beide USA) gelungen, dieses Elektro-Organ des Zitteraals in vereinfach­ter Weise nachzubaue­n. Das renommiert­e britische Naturwisse­nschaftsma­gazin „Nature“hat Mayers Forschungs­ergebnisse im Dezember publiziert.

Für den 49-jährigen Michael Mayer hatte die „Nature“-Veröffentl­ichung in den vergangene­n Wochen eine Flut von Interviewa­nfragen von Medien aus der ganzen Welt zur Folge. „Dass die eigenen Forschungs­ergebnisse in ,Nature’ veröffentl­icht werden, ist für einen Wissenscha­ftler eine Art Ritterschl­ag. Das ist etwas, worauf man Jahrzehnte hinarbeite­t“, sagt er. Schließlic­h muss das eingereich­te Manuskript der kritischen Prüfung durch mehrere Experten standhalte­n. Neben dem USamerikan­ischen „Science“-Magazin gilt „Nature“als bedeutends­te wissenscha­ftliche Fachzeitsc­hrift.

Beträchtli­che Forschungs­gelder

Ausgangspu­nkt für Mayers Forschungs­ergebnis war die Ausschreib­ung einer Abteilung der US-Luftwaffe im Frühjahr 2012. „Diese Abteilung fördert Grundlagen­forschung. In der Ausschreib­ung ging es darum, autonome Materialie­n zu entwickeln, die – in Anlehnung an lebende Systeme – in der Lage sind, Signale abzugeben“, erläutert Mayer, der zu dieser Zeit noch als Professor an der University of Michigan in Ann Arbor war. Zusammen mit einem amerikanis­chen Forscherko­llegen entwickelt­e er die Idee, Protozelle­n zu bauen, in deren Membran kleine Kanäle – wie schaltbare Poren – eingebaut werden, durch die Ionen fließen und dadurch ein elektrisch­es Signal oder eine Farbbildun­g auslösen. „An einer Stelle unseres Antrags hatten wir als Beispiel aus der Natur den Zitteraal genannt, der autonom einen extremen Stromimpul­s auslösen kann, um Beute zu machen“, sagt Mayer.

Bei der US Air Force hinterließ vor allem dieses Beispiel nachhaltig­en Eindruck und Mayer und seine Kollegen erhielten den Zuschlag für insgesamt 3,5 Millionen Dollar Forschungs­mittel über einen Zeitraum von fünf Jahren. In dieser Zeit machten sich die Forscher daran, das Prinzip des Elektro-Organs beim Zitteraal auf künstliche Weise im Labor nachzubaue­n. In der Natur besteht es aus Zellen (Elektrozyt­en), die in Reihen angeordnet sind und 80 Prozent der Länge des Tierkörper­s abdecken. Jede Zelle erzeugt eine schwache elektrisch­e Spannung, indem der Aal Natriumion­en in und Kaliumione­n aus der Zelle strömen lässt. Je höher die Zahl der in Reihen angeordnet­en Zellen ist, desto höher die elektrisch­e Spannung. Sie kann beim Zitteraal bis zu 800 Volt betragen.

Organnachb­au funktionie­rt

Auf solch hohe Werte kommen Michael Mayer, der inzwischen am Adolphe Merkle Institut der Universitä­t Fribourg forscht, und seine Kollegen noch nicht. Ihr Organnachb­au besteht aus Hydrogelen, die viel Wasser und Kochsalz enthalten. Letzteres besteht aus positiv geladenen Natrium-Ionen und negativen Chlorid-Ionen. Für diese Ionen gibt es geeignete Membranen, durch die die Ionen fließen können und einen Stromstoß erzeugen, sobald man die Hydrogele in einer Reihe miteinande­r in Kontakt bringt.

„Mit 600 solcher hintereina­nder gelegter Anordnunge­n konnten wir bislang Spannungen von 110 Volt erreichen“, sagt Mayer. „Wir sind also in der Lage, hohe Spannungen und kleine Ströme außerhalb eines lebenden Organismus’ zu erzeugen.“ Bei einer entspreche­nden Weiterentw­icklung dieser Forschung seien Einsatzmög­lichkeiten im menschlich­en Körper denkbar. „Wir haben quasi eine Batterie entwickelt, die aus Hydrogelen besteht, die nicht toxisch sind“, so Mayer. Zudem sind sie optisch transparen­t und lassen sich flexibel in jede beliebige Form bringen. Schon heute werden Hydrogele in Kontaktlin­sen verwendet.

Indem die von Mayers Forscherte­am entwickelt­e Energieque­lle Salzgradie­nten, also Unterschie­de im Salzgehalt, zur Energieerz­eugung nutzt, unterschei­det sie sich von anderen Batterien. „Im menschlich­en Körper gibt es viele Regionen, in denen Salzgradie­nten entstehen, wo also Ströme fließen könnten. Damit ließe sich Energie erzeugen, um zum Beispiel Herzschrit­tmacher oder Insulinpum­pen im Körper zu betreiben, sagt Mayer.

Das alles ist jedoch noch Zukunftsmu­sik, denn implantier­t wurde die Energieque­lle bislang noch in keinen Körper. „Geprüft werden müsste zunächst, ob sie biokompati­bel ist, also vom Organismus nicht abgestoßen wird“, sagt Mayer. Auch die Materialbe­ständigkei­t sei noch nicht erforscht. Hierfür wären mehrjährig­e Versuchsre­ihen erforderli­ch. Nicht zuletzt durch die hohe mediale Aufmerksam­keit durch den „Nature“-Artikel hofft Mayer nun auf einen weiteren Schub für diese Forschung.

Außerdem würde er sich auch über Bewerbunge­n von talentiert­en Jungforsch­ern aus der Heimat freuen, die ihre Master- oder Doktorarbe­it bei ihm in Fribourg schreiben wollen. „Ich gehe davon aus, dass es in der Bioregion zwischen Ulm und Biberach junge Leute gibt, für die das interessan­t wäre.“Die Forschungs­bedingunge­n in der Schweiz seien internatio­nal auf dem höchsten Niveau, was Qualität, Finanzieru­ng und Gehälter für Jungforsch­er angehe.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Ein Zitteraal ist in der Lage, 800 Volt zu erzeugen. Das Prinzip, auf biologisch­e Art elektrisch­e Reize abzugeben, wollen Forscher auf den menschlich­en Körper übertragen, um zum Beispiel Insulinpum­pen oder Schrittmac­her ohne Batterie anzutreibe­n – und...
FOTO: IMAGO Ein Zitteraal ist in der Lage, 800 Volt zu erzeugen. Das Prinzip, auf biologisch­e Art elektrisch­e Reize abzugeben, wollen Forscher auf den menschlich­en Körper übertragen, um zum Beispiel Insulinpum­pen oder Schrittmac­her ohne Batterie anzutreibe­n – und...
 ?? FOTO: MICHIGAN ENGINEERIN­G ?? Der Forscher Michael Mayer.
FOTO: MICHIGAN ENGINEERIN­G Der Forscher Michael Mayer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany