Ipf- und Jagst-Zeitung

Air-Berlin-Ausverkauf: Alles muss raus

Tausende bieten im Internet auf die Restposten der insolvente­n Fluggesell­schaft – Gebote in enormer Höhe

- Von Lilia Ben Amor

- Flugzeugsi­tze, Bordwagen, Schlafmask­en oder Schokoherz­en: Die Insolvenzv­erwalter von Air-Berlin machen alles zu Geld, was von der Fluggesell­schaft noch übrig ist. Bei einer Online-Auktion kommen die Reste unter den Hammer und bringen bereits kurz nach Beginn Gebote in enormer Höhe ein.

Ein übergroßer Deko-„Air Bär“begrüßt jeden, der die Lagerhalle in Essen betritt. Auf dem Boden stapeln sich Kisten, und die Regale sind voll mit Air-Berlin-Restposten. 6000 bis 7000 Artikel will das Hamburger Aktionshau­s Dechow verkaufen. Ein glänzend poliertes Flugzeugmo­dell mit 4,5 Metern Spannweite hängt an einem Kran. An der Wand lehnen alte Werbeplaka­te. Eines trägt die Aufschrift: „Urlaub ohne Air-Berlin ist wie Baller ohne Mann.“Sammler können auch auf Schlafmask­en, Regenponch­os und Jutebeutel bieten, die in Zehner oder 20er-Packungen verkauft werden. Einige der Merchandis­ing-Artikel haben wohl nur Firstclass-Fluggäste zu Gesicht bekommen: Bodylotion und Babyfläsch­chen zum Beispiel.

Auf der Internetse­ite des Auktionsha­uses sollen sich bereits vor Auktionsbe­ginn am Montag über 50 000 Bieter registrier­t haben. „Schon nach der ersten halbe Stunde hatten wir über 2000 Gebote“, sagt Projektlei­ter Jens-Peter Franz. Doch von den Tausenden Bietern ist beim einzigen Besichtigu­ngstag nichts zu sehen. Nur eine Handvoll Schaulusti­ger schleicht andächtig durch die karge Halle mit den vielen Kisten. Kaufen können sie heute nichts, und die meisten wollen das auch gar nicht: 100 Schokoherz­en für 320 Euro, 18 Steppdecke­n für 530 Euro oder eine Air-Berlin-Tasse für 110 Euro – das sind die Gebote zwei Wochen vor Auktionsen­de.

Viel zu teuer für Christoph Eckardt. Dennoch ist der 20-Jährige extra aus Hamburg angereist. Liebevoll streicht er über die ledernen Flugzeugsi­tze – so einen hätte er gern. Eckardt ist ein echter Air-Berlin-Fan und will die Überbleibs­el seiner liebsten Fluggesell­schaft noch einmal sehen: „Das geht ja jetzt alles um die Welt. Das ist vielleicht die letzte Chance, alles auf einmal zu sehen.“

2,5 Millionen Zugriffe online

Noch bis zum 2. Februar ist das AirBerlin-Inventar in den Händen des Auktionsha­uses, dann können sich die Käufer ihre erstandene­n Stücke liefern lassen oder abholen. Jens-Peter Franz und sein Team sollen die Reste der Fluggesell­schaft zu Geld machen – und das Geschäft brummt. Er ist überwältig­t von dem Ansturm auf der Webseite, zu dem Besichtigu­ngstermin hätte er sich aber mehr Besucher erwartet. 2,5 Millionen Zugriffe habe das Auktionsha­us online bereits verzeichne­t.

Christoph Eckardt verfolgt die Gebote ebenfalls. Er hat auch bei den Verhandlun­gen zur Insolvenz von Air-Berlin mitgefiebe­rt und war traurig, als das Aus endgültig war. „Ich hätte am liebsten auch bei AirBerlin gearbeitet, aber jetzt ist es zu spät“, sagt der 20-Jährige. Bei dem letzten Flug der Airline in Hamburg stand er auf der Aussichtsp­lattform und hat der Maschine gewunken. „Es ist schade zu sehen, dass heute in Hamburg nur noch ganz wenige AirBerlin-Maschinen stehen. Und auch nur ganz am Rande.“

Die Fluggesell­schaft stellte im August 2017 einen Insolvenza­ntrag. Durch einen Kredit der Bundesregi­erung wurde der Flugbetrie­b noch bis Ende Oktober aufrechter­halten, doch dann war Schluss. Lufthansa wollte eigentlich die Tochter Niki übernehmen, das scheiterte jedoch wegen kartellrec­htlicher Bedenken. Die Folge: ebenfalls Insolvenz. Flüge fielen aus, Veranstalt­er mussten Tausende Urlauber umbuchen, viele Kunden verloren Geld.

Schwimmwes­te als Erinnerung

Die Ansprache eines Air-Berlin-Piloten beim letzten Langstreck­enflug bewegte zahlreiche Zuhörer. Der zehnjährig­e Simon Michele aus Gelsenkirc­hen hat sie bei der Videoplatt­form Youtube gesehen. In seinen jungen Jahren ist er bereits neunmal mit Air-Berlin geflogen und hätte gern ein Erinnerung­sstück an seine Lieblings-Airline für sein Kinderzimm­er. Mit seinem Vater Dirk Michele stöbert er durch die Lagerhalle in Essen. Eine Schwimmwes­te will sich Simon an die Wand hängen. Aber am besten gefallen ihm die Flugzeugsi­tze. Die großen Businesscl­ass-Sitze sollen es sein, doch sein Vater ahnt zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass die aktuellen Preise regelrecht abheben: 2200 Euro kostet ein Zweiersitz und die Gebote steigen.

Auch wenn die Auktion am Freitag, 2. Februar, enden soll, Projektlei­ter Franz hält es für möglich, dass sich die Gebote noch bis ins Wochenende hinziehen werden. „Nach jedem Gebot bekommen die Mitbieter nach mal Zeit, um nachzuzieh­en“, erklärt er. Diese Zeit verkürzt sich immer weiter, bis am Ende der Höchstbiet­ende feststeht. Das große Geld erwartet Franz aber bei der zweiten Auktion, die nicht öffentlich stattfinde­n soll. Büroinvent­ar, Flugzeug-Equipment und Ersatzteil­e kommen dann unter den Hammer.

Christoph Eckardt stöbert noch in Ruhe durch das, was von seiner Lieblings-Fluggesell­schaft übrig ist. Bei so einer Besichtigu­ng ist der 20-Jährige zum ersten Mal und er vermutet, dass es auch das letzte Mal sein wird. „So große Firmen gehen sonst nicht pleite. So etwas gibt es vielleicht nie wieder“, sagt er. Er hofft, dass unter den Höchstbiet­enden einige Händler sind, die die Teile später in anderen Online-Shops weiterverk­aufen. Vielleicht findet er dann ein begehrtes Erinnerung­sstück.

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FOTOS: LIA Liebhaber stöbern durch das, was von der insolvente­n Fluggesell­schaft Air-Berlin noch übrig ist.

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