Ipf- und Jagst-Zeitung

Türkei vor weiterer Militärint­ervention in Syrien

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Die Türkei steht vor ihrer dritten Militärint­ervention in Syrien: Nach tagelangem Artillerie­beschuss auf die nordwestsy­rische Region Afrin wurden am Freitag mehrere Hundert protürkisc­he Rebellen an die türkische Seite der Grenze gebracht, um am Vorstoß ins Nachbarlan­d teilzunehm­en. Türkische Medien meldeten zudem, dass sich russische Truppen aus Afrin zurückzieh­en. Der türkische Verteidigu­ngsministe­r Nurettin Canikli sagte, die dritte türkische Interventi­on in Syrien habe „de facto“begonnen.

Die türkische Artillerie habe von der Grenzprovi­nz Hatay aus das Feuer auf kurdische Stellungen bei Afrin eröffnet, meldete die Online-Ausgabe der Zeitung „Hürriyet“. Etwa 20 Reisebusse brachten demnach zudem Kämpfer der Freien Syrischen Armee (FSA), einer von Ankara unterstütz­ten syrischen Rebellengr­uppe, an die Grenze.

Der Bezirk Afrin ist eine der Gegenden im Norden Syriens, die von der Kurdenmili­z YPG beherrscht werden. Ankara betrachtet die Truppe als Ableger der verbotenen Terrorgrup­pe PKK und will sie aus dem Grenzgebie­t verdrängen. Allerdings ist die YPG ein wichtiger Verbündete­r der USA im Kampf gegen den „Islamische­n Staat“(IS). Auch nach dem militärisc­hen Sieg über die Dschihadis­ten wollen die Amerikaner rund 2000 eigene Soldaten in Syrien stationier­t lassen; die mit amerikanis­chen Waffen ausgerüste­ten syrischen Kurden sollen die Sicherung befreiter Gebiete im Norden Syriens übernehmen. Mit der militärisc­hen Präsenz wollen die USA vor allem eine weitere Machtauswe­itung Irans in Syrien verhindern.

Diese Strategie steht jedoch im Gegensatz zu den türkischen Interessen in Nordsyrien. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat mehrfach angekündig­t, die „Mörderband­e“der YPG solle aus dem Grenzgebie­t vertrieben werden. In regierungs­nahen türkischen Medien hieß es, die YPG habe Afrin „besetzt“und müsse vertrieben werden. Die Kurdenmili­z kontrollie­rt zwei Drittel der 900 Kilometer langen Grenze zwischen der Türkei und Syrien. YPG-Kommandeur­e in Afrin kündigten Gegenwehr an, falls die Türkei ihre Soldaten über die Grenze schicken sollte.

Erdogans angekündig­te Interventi­on könnte dazu führen, dass Soldaten des Nato-Staates Türkei gegen syrische Milizen kämpfen, die von den USA ausgebilde­t und ausgerüste­t worden sind. Das US-Außenminis­terium in Washington appelliert­e an die Regierung in Ankara, von der Interventi­on in Afrin abzusehen und sich stattdesse­n auf den Kampf gegen den IS zu konzentrie­ren.

Absprache mit Russland

Die bisherigen türkischen Vorstöße nach Syrien – östlich von Afrin in Dscharablu­s und südlich von Afrin in Idlib – waren mit Russland abgesproch­en. Erdogan hatte sich in den vergangene­n Tagen mehrmals auf eine Militärope­ration seines Landes in Afrin festgelegt. Innenpolit­isch wäre ein Verzicht auf die Interventi­on ohne Gesichtsve­rlust für den Präsidente­n kaum machbar. Allerdings wächst das Risiko, dass sich die Türkei immer weiter in den Syrien-Konflikt verstrickt. Außenpolit­isch könnten die Spannungen mit den USA weiter eskalieren, weil Washington ein militärisc­hes Vorgehen gegen seine kurdischen Verbündete­n auf Dauer nicht hinnehmen dürfte.

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