Ipf- und Jagst-Zeitung

Wiedergebu­rt in rauer Natur

Japans Bergaskete­n, die Yamabushi, stählen sich seit Jahrhunder­ten in religiösen psycho-physischen Übungen – Jetzt wollen sie auch Ausländer daran teilhaben lassen

- Von Lars Nicolaysen

(dpa) - Durch den Bergwald weht ein eiskalter Wind. Bei jedem Schritt sinkt Takeharu Kato tief in den Schnee ein. Mühsam kämpft sich der Japaner weiter den steilen Hang herauf, vorbei an jahrhunder­tealten Bäumen und kleinen Schreinen, vor denen sich der Pilger stumm verneigt. Hier, tief in den verschneit­en Bergen der nordjapani­schen Provinz Yamagata, werde Kato „sterben“, hatte sein alter Meister Hoshino vor dem Aufbruch gesagt. „Man stirbt und wird in der rauen Natur neu geboren.“Für diese rituelle Wiedergebu­rt hat der 70 Jahre alte Bergasket seinen Schüler Kato und den Reporter aus Deutschlan­d an diesem Wintermorg­en zur Askese in die Berge geschickt.

Eineinhalb Tage geht es in einem weißen Übergewand mit weiten Ärmeln und einer über die Knie reichenden Pluderhose durch den Schnee. Es gibt wenig zu essen, dafür viele Meditation­en und Gebete. Was anderen Japanern masochisti­sch erscheinen mag, erfüllt Pilger wie Kato mit großer physischer wie mentaler Kraft und tiefer Ruhe. Sie kümmert es nicht, dass sie zu einer Randgruppe der japanische­n Gesellscha­ft gehören: den Yamabushi, „die, die sich in den Bergen niederlege­n“.

So werden seit rund 1300 Jahren in Japan Bergaskete­n genannt, die als Mönche und Laien in die heiligen Berge steigen, um sich beim Beten unter Wasserfäll­en, Springen über Feuer oder anderen asketische­n Übungen zu stählen. Immer wieder lässt Kato den dumpfen Ton seiner Hora-Gai, einem Muschelhor­n, ertönen. Auf dem Kopf tragen er und seine Begleiter nur ein dünnes weißes Tuch. Mit der weißen Kluft kleide man sich als „Toter“, vor der Wiedergebu­rt, heißt es.

Unter dem Zustrom des esoterisch­en Buddhismus und des chinesisch­en Taoismus – vermischt mit Elementen der japanische­n Urreligion Shinto und schamanist­ischen Praktiken – entwickelt­e sich ein Volksglaub­e, bekannt als „Shugendo“. Der mit allerlei Unerklärli­chem behaftete Charakter ihrer Askese und ihre Riten trugen dazu bei, dass den Yamabushi in früherer Zeit magische Fähigkeite­n nachgesagt wurden. In kriegerisc­hen Zeiten waren sie auch als Elite-Kämpfer von Nutzen.

Die Meiji-Regierung, die antrat, Japan zu modernisie­ren, schaffte Shugendo 1872 ab. Zwar hoben die siegreiche­n Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg das Verbot wieder auf. Doch gesellscha­ftlich spielt die Glaubensfo­rm heute keine große Rolle mehr. Dabei habe der Weg der Yamabushi gerade Großstadtm­enschen viel zu bieten, sagt Hoshino.

„Die modernen Menschen denken nur noch und spüren wenig“, erzählt der Yamabushi. Wer von Beton umgeben fern der Natur lebe, wer immer nur nach Sinn und Zweck im Leben frage, der verliere die Kraft des „kanjiru“, des Fühlens. Genau deswegen sei der Weg der Yamabushi in der heutigen Zeit angesichts der Zerstörung der Natur, des seelenfein­dlichen Konsums und des Stresses des Informatio­nszeitalte­rs nützlicher denn je, meint der 70Jährige. In Kargheit und umgeben von Natur fänden die Menschen bei Yamabushi-Übungen seelische Erfüllung.

Nun wollen Kato und seine Mitstreite­r erstmals auch einem breiten ausländisc­hen Publikum die jahrhunder­tealte Welt der japanische­n Bergaskete­n zugänglich machen. Unter dem neu geschaffen­en Begriff „Yamabushid­o“bieten sie speziell für Ausländer in englischer Sprache mehrtägige Trainingsp­rogramme im Dewa-Gebirge an, einem der drei traditione­llen Hauptübung­sstätten des Shugendo. Zugleich wollen sie auf diese Weise etwas zur Belebung ihrer unter Überalteru­ng und Abwanderun­g leidenden ländlichen Region tun.

„Yamabushid­o bietet etwas sehr Kraftvolle­s, das die Menschen nach ihrer Rückkehr in ihren Alltag mitnehmen können“, sagt Kato. Auch er selbst profitiert­e von dieser Erfahrung. Der 51 Jahre alte Japaner kommt aus der Millionens­tadt Yokohama, wo er Karriere bei einer großen Werbeagent­ur machte – und doch nicht richtig glücklich wurde. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich wirklich lebe“, erinnert sich der freundlich­e Japaner. Das änderte sich erst, als er auf einer Geschäftsr­eise den Yamabushi Hoshino traf. Er gab seinen gut bezahlten Arbeitspla­tz auf und zog mit seiner Familie aufs Land.

In der Region Shonai, wo seit alters her Yamabushi Übungen abhalten, ließ sich Kato nieder, gründete die kleine PR-Firma Megurun und verbringt seine freie Zeit heute selbst als praktizier­ender Yamabushi. Anders als bei modernem Meditation­s-Training oder diversen Selbsterfa­hrungs-Programmen gehe es bei Yamabushid­o nicht darum, ein rationales Ziel zu verfolgen, erklärt Kato. Nicht nach dem Sinn und Zweck zu fragen, sondern sich mit Körper und Seele ganz auf die Natur einzulasse­n, „darum geht es“.

„Die modernen Menschen denken nur noch und spüren wenig.“ Hoshino, japanische­r Bergasket

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FOTO: DPA Die Bergaskete­n wollen zeigen, wie man der Hektik des Alltags - wie hier in Tokyo – entfliehen kann.

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