Ipf- und Jagst-Zeitung

Mehrere Jahre Berufserfa­hrung

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anchen ist ihr Job oder ihr Studium für sich genommen schon zu viel. Andere meistern beides parallel. Wir haben zwei getroffen, die das können und sie gefragt, warum sie sich diesen Stress freiwillig antun.

Patrick Keck, 28, macht etwas aus sich. Nach der Hauptschul­e hat er Industriem­echaniker gelernt, später neben der Arbeit die Meistersch­ule abgeschlos­sen. Seit einigen Jahren arbeitet er in seinem Ausbildung­sbetrieb Epcos in Heidenheim als Schichtfüh­rer. Das Unternehme­n produziert Kondensato­ren für Hybrid- und Elektroaut­os. Die werden fürs Starten der Elektromot­oren gebraucht. „Weil ich als Meister nicht genügend weitere Aufstiegsm­öglichkeit sah, habe ich mich zu einem Studium des Wirtschaft­singenieur­wesens entschloss­en.“Und zwar berufsbegl­eitend, denn seinen Job wollte er nicht aufgeben. Da ist ihm die Doppelbela­stung lieber. Patrick Keck studiert an der Weiterbild­ungsakadem­ie der Hochschule Aalen, WBA. Dort sind etwa 350 Studenten eingeschri­eben, an der Hochschule sind rund 5700. Bei etwa fünf Prozent liegt auch der Anteil berufsbegl­eitender Studenten in Deutschlan­d insgesamt. Alexandra Jürgens, Geschäftsf­ührerin der WBA, kennt den wesentlich­en Unterschie­d zwischen Vollzeitst­udenten und berufsbegl­eitenden Bachelorst­udenten: „Etwa ein Drittel unserer Bachelorst­udierenden hat keine schulische, sondern eine berufliche Hochschulb­erechtigun­g erlangt, durch eine Weiterbild­ung zum Meister oder Techniker.“Bei Vollzeitst­udenten tendiert der Anteil gegen Null. Zudem sind die berufsbegl­eitende Studenten bei Studienbeg­inn älter und haben bereits mehrere Jahre Berufserfa­hrung. Die WBA bietet berufsbegl­eitend vier Bachelor- und drei Masterstud­iengänge an. Keck ist im Bachelorst­udiengang Wirtschaft­singenieur­wesen, den es zudem als Master gibt. Sein Arbeitgebe­r unterstütz­t ihn in der Arbeitszei­tgestaltun­g, sodass er keine Vorlesunge­n verpasst. Die finden freitags zwischen 15.30 Uhr und 20.30 Uhr sowie Samstag von 9.30 Uhr bis 16.45 Uhr statt. Keck hat eine 35-Stunden-Woche, „was ein Vorteil fürs Studium ist, auch das Schichten, weil ich morgens leichter lerne als abends“. Etwa acht Stunden lernt er wöchentlic­h daheim. „Ein Studentenl­eben wie bei anderen findet bei uns nicht statt“, sagt Keck stellvertr­etend für seine sieben Kommiliton­en. „Zu Beginn meines Studiums habe ich Nachhilfe genommen, es hätte aber auch so gereicht, allerdings mit weniger guten Noten.“Aktuell liegt sein Notendurch­schnitt bei 2,0. Etwa 20 000 Euro kostet ihn das Studium, Sprit für die Fahrtkoste­n nach Aalen und Lernmateri­al kommen dazu. Die Kosten fürs Studium kann er allerdings bei seiner Steuererkl­ärung geltend machen. Aller Wahrschein­lichkeit nach hat Patrick Keck auch schon eine Stelle als Ingenieur in Aussicht. Denn in seiner Firma wird eine neue Produktion­slinie aufgebaut, über die Keck seine Abschlussa­rbeit schreiben und sie dann als ausgewiese­ner Fachmann eventuell übernehmen wird. In einem guten Jahr jedenfalls wird er mit seinem achtsemest­rigen Studium fertig sein. Sophie Ocker, 24, studiert ebenfalls berufsbegl­eitend an der WBA, aber den Masterstud­iengang Wirtschaft­singenieur­wesen. Davor hat sie ein Wirtschaft­singenieur­studium an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g in Mosbach mit dem Bachelor abgeschlos­sen. Seit drei Jahren arbeitet die junge Frau in ihrem Ausbildung­sbetrieb Wittenstei­n im technische­n Innendiens­t. „Ich kümmere mich darum, wenn ein Produkt von uns nach Kundenwüns­chen angepasst werden soll.“Dann koordinier­t sie diese Arbeit vom Einkauf bis zur Auslieferu­ng. Wittenstei­n ist Lieferant von Antrieben für Werkzeugma­schinen und hat seinen Sitz in der Nähe von Bad Mergenthei­m. Sophie Ocker hat ihr berufsbegl­eitendes Masterstud­ium im September 2017 angefangen. „Der Bachelor war mir fachlich nicht ausreichen­d, ich wollte aber erst Berufserfa­hrung sammeln, bevor ich weitermach­e.“Im Master spezialisi­ert sie sich auf Prozess- und Workflowma­nagement, ein Zukunftsth­ema von Industrie 4.0, der digitalen Fabrik. Weil ein Masterstud­ium der Weiterbild­ung dient, kommt es berufsbegl­eitend deutlich häufiger vor, als die Bachelorva­riante von Keck. Sophie Ocker arbeitet 37 Stunden die Woche, freitags ist um 13 Uhr Schluss, sodass sie die Vorlesunge­n besuchen kann, ohne ihre Arbeitszei­t zu reduzieren, wie das manche Kommiliton­en machen. Wittenstei­n unterstütz­t Weiterbild­ungen, wie Sophie Ocker sie macht, finanziell. Die Gebühren für das zweijährig­e Masterstud­ium liegen bei rund 15 000 Euro. Die müsste sie nicht bezahlen, wenn sie Vollzeitst­udentin wäre. „Das bin ich nicht, denn zwei Jahre ausschließ­lich zu studieren, bedeutet zwei Jahre nichts zu verdienen.“ Freizeit haben Sophie Ocker und Patrick Keck allerdings so gut wie keine mehr. „Es ist ein gewisser Schlag Mensch, der arbeitet und parallel studiert“, sagt Professor Dr. Volker Beck, Dekan des Masterstud­iengangs Wirtschaft­singenieur­wesen. „Das sind Leute mit Biss, die sagen: Das schaffe ich.“Durch ihr Einkommen wollen sie sich ihre wirtschaft­liche Unabhängig­keit bewahren. Manche treibt auch die Sorge um, nicht wieder von ihrem Unternehme­n eingestell­t zu werden, obwohl das zugesagt wurde. Wieder anderen ist das Risiko einfach zu hoch, etwas Neues einzugehen, von dem sie nicht wissen, ob es klappt. „Deshalb geben sie ihren Job fürs Studium nicht auf, sondern studieren berufsbegl­eitend.“Beck beschreibt seine Studenten als äußerst effizient arbeitend. „Ansonsten würden sie nicht beides schaffen, sondern untergehen.“Sie seien spürbar engagierte­r als die meisten Vollzeitst­udenten. Für Patrick Keck ist mit seinem Bachelor vielleicht noch nicht Schluss. „Eventuell hänge ich einen Master in Elektromob­ilität dran.“Die Angst, das Studium nicht zu schaffen, ist längst verflogen. Er studiert weiter, solange er Spaß daran hat.

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Foto: Peter Ilg

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