Türe zu – und alle Fragen offen
Vor geraumer Zeit bemängelte eine Leserin, dem Schreiber dieser Glosse sei wohl nicht bekannt, dass es die Tür heißt und nicht – wie immer wieder irrigerweise von ihm verbreitet – die Türe. Der Suchlauf im PC ergab in der Tat, dass dieses Wort bislang in fünf Sprachplaudereien vorkam, und jedes Mal stand da die Türe. Mit aller Zerknirschung sei es eingestanden: Es lag wohl an den südbadischen Wurzeln. Höchste Zeit also, sich mit diesem Thema zu befassen. Es geht um Doppelformen des Substantivs, die sich teils nur in der Schreibweise unterscheiden, teils aber auch in der Bedeutung. Hierher gehören Wortpaare wie Name – Namen, Friede – Frieden, Glaube – Glauben, Fleck – Flecken und Reif – Reifen. Aus Platzgründen wollen wir uns hier auf jene Fälle beschränken, bei denen das Wort am Ende mal mit e geschrieben wird, mal ohne e. Ein Beispiel: Bub und Bube waren früher einmal zwei Formen des Nominativs mit der identischen Bedeutung
männliches Kind. Aber das änderte sich: Bub wurde irgendwann nur noch in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz gebraucht, und zwar weiterhin als Synonym für Junge, Knabe. Der Bube mit e dagegen hielt sich zwar in der Standardsprache, aber mit einem altertümlichen Beiklang im Sinn von Schurke, Schuft. Daher auch das Bubenstück, der Lotterbube und der Spitzbube. Nur der Bube im Kartenspiel blieb bis heute über jeden Zweifel erhaben – insbesondere beim Skat. Da ist der KreuzBube der höchste Trumpf und somit heiß begehrt. Auch bei Bursch und Bursche gehen die Bedeutungen heute munter durcheinander. Beide Begriffe können für Knabe, Junge oder Heranwachsender, Halbwüchsiger stehen. Bursche kennen wir zudem als Bezeichnung für den Gesellen in einem Handwerksberuf, allerdings wird auch eine zwielichtige Gestalt abschätzig als Bursche bezeichnet. Der Bursch wiederum taucht vor allem im Dialekt auf – kein Bierfest ohne Gaudibursch. Und Bursch heißt auch ein Student, nachdem er in eine Verbindung, eine Burschenschaft, aufgenommen ist. Nun noch zu Tür/Türe. Da zeigt der Sprachatlas ein eigenartiges Bild. So blieb mancherorts die Form mit einem e erhalten, in anderen wurde sie abgeschwächt, und das e verschwand. Nur in Sachsen sowie ausgerechnet bei den Gegenfüßlern, im äußersten Südbaden und in Teilen der Schweiz, sagt man Türe, ansonsten im gesamten deutschen Sprachraum Tür. Und so steht es heute auch im Duden. Warum das alles? Ein weites Feld! Aber genug des trockenen grammatikalischen Tons. Seien wir froh, dass es solche Varianten gibt. Da können sich wenigstens die Dichter austoben, wie ein paar schräge Verse beweisen, die im Internet kursieren: Vor der Türe, vor dem Tore Warte ich auf Hannelore. Vor dem Türchen, vor dem Törchen Wart ich auf das Hannelörchen. Vor dem Tore, vor der Tür Steh ich nun seit Stunden hier. Keine Spur von Hannelor Wie viel Zeit ich schon verlor! Geh ich halt nach nebenan In die Kneipe, rein zur Tür Wo bei einem frischen Bier Ich genauso warten kann Und mich besser amüsiere Als vor Hannelörchens Türe. Wenn Sie Anregungen zu Sprachthemen haben, schreiben Sie! Schwäbische Zeitung, Kulturredaktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg
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