Ipf- und Jagst-Zeitung

„Wir sind eine Art Punkrocksc­hicksalsge­meinschaft“

Radio Havanna haben ihr neues Album „Utopia“vorgelegt

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Mit ihrem jüngst veröffentl­ichten Album „Utopia“stehen Radio Havanna in den Startlöche­rn für ihre nächste Tour. Im Interview mit Vivien Köbach spricht Gitarrist Arni über die Kampagne „Faust hoch“, wie der Zufall die Band nach Brasilien gebracht hat und wo im Bodenseera­um sie gerne auftreten.

Arni, eure Fans mögen eure Mischung aus Pop und Punkrock und eure politische­n Texte. Was inspiriert euch für neue Songs?

Die Texte unserer Songs sind sehr alltagsget­rieben. Was ich im Alltag sehe oder was ich in der Zeitung lese, spielt dabei eine große Rolle, gerade wenn es um politische Themen geht. Das Musikalisc­he passiert irgendwo in meinem Kopf. Ich höre viel Musik aus verschiede­nen Genres, von Punk und Rock bis hin zu Country. Das fügt sich dann einfach.

Habt ihr ein Lieblingsl­ied aus eurem neuen Album „Utopia“?

„Anti Alles“ist unser Favorit, seit wir ihn geschriebe­n haben und obwohl wir ihn schon gefühlte 200 000-Mal gehört haben.

Mit „Dynamit Records“habt ihr erst kürzlich euer eigenes Plattenlab­el gegründet. Wie kam es dazu?

Die Treffen mit anderen Plattenfir­men verliefen leider alle ernüchtern­d. Das eine Label wollte einige Songs aus unserem neuen Album nicht veröffentl­ichen, ein anderes wollte uns bei einem völlig anderen Publikum platzieren. Wir fühlten uns künstleris­ch einfach nicht verstanden. Nach zahlreiche­n erfolglose­n Gesprächen kam dann die Idee, ein eigenes Label zu gründen – und das fühlte sich sofort bei allen gut an.

Eure Texte sind ja vor allem politisch inspiriert. Wie hat sich die veränderte politische Situation auf euren Sound ausgewirkt?

Ich glaube, die Sprache in unseren Texten ist direkter geworden. Es gibt viele Bands, die sehr metaphoris­ch arbeiten. Uns ist es dagegen wichtig, Dinge ganz konkret zu benennen und Probleme gar nicht zu verschleie­rn. Sachverhal­te möglichst simpel und eindeutig darzustell­en: Das ist auf jeden Fall neu.

„Faust hoch“heißt ein Lied auf eurem Album und eure Kampagne, die sich gegen den Rechtspopu­lismus in Deutschlan­d engagiert. Was wollt ihr damit erreichen?

Junge Leute und Erstwähler wissen oft gar nicht, was sie gut oder schlecht finden sollen. Wir glauben, dass Musik eine Chance bietet, diese jungen Leute zu erreichen. Wir wollen aus vielen kleinen Sprachrohr­en ein großes machen und mit unserer Kampagne „Faust hoch“über Rechtsextr­emismus und die AfD aufklären.

Wie fallen die Reaktionen zu eurem politische­n Engagement aus?

Extreme Zustimmung und Unterstütz­ung gibt es vonseiten unserer Fans. Die wissen, wo wir politisch stehen und sehen das in der Regel ähnlich. Unter unserem Youtube-Video zum Lied „Faust hoch“gibt es dagegen schon ein paar gruslige Kommentare.

Was sind in puncto politische­s Engagement eure Pläne für 2018?

Wir wollen die „Faust hoch“-Kampagne 2018 auf jeden Fall weiter ausdehnen. Das hat vor allem damit zu tun, dass die AfD in den vergangene­n Wahlen erschrecke­nd erfolgreic­h abgeschnit­ten hat. Außerdem werden wir auf noch mehr Festivals präsent sein und dort informiere­n und aufklären, mit weiteren Bands kooperiere­n und neue Ideen zu Einzelakti­onen umsetzen.

Apropos Festivalau­ftritte: Kommt ihr dann auch mal in den Süden ?

Letztes Jahr sollten wir eigentlich auf dem Chiemsee Summer spielen. In dem Moment als wir ankamen, ging jedoch das ganze Festival den Bach runter. Ein Sturm verwüstete das gesamte Gelände, zerriss Zelte und zerstörte die Technik. Eigentlich sollte der Auftritt dann in diesem Jahr nachgeholt werden, dann haben wir jedoch erfahren, dass das Festival 2018 pausiert – leider.

Wart ihr schon mal bei uns in Oberschwab­en oder am Bodensee?

Ja, schon öfter. Wir waren mehrfach in Lindau, im Club Vaudeville. Der Club und die Leute, die ihn betreiben, sind einfach super. Wir hatten schon tolle Momente am Bodensee.

Ihr habt Mitte Januar euer 500. Konzert gegeben. Wie habt ihr das gefeiert?

Wir hatten ein tolles ausverkauf­tes Konzert im Lido in Berlin. Die Stimmung war der Wahnsinn. Danach sind wir zusammen mit den Fans weiter in eine Kneipe und haben dort bis in die frühen Morgenstun­den mit ihnen gefeiert.

Ein Fernsehauf­tritt bei Circus HalliGalli, die USA-Tour 2013 oder ein besonderes Konzert: Was war euer bislang tollstes Erlebnis?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworte­n – wir hatten so viele. Was in den letzten zwei Jahren aber herausgest­ochen ist, war die Tour in Brasilien. Wir wurden von einer brasiliani­schen Band dorthin eingeladen, die wir eigentlich gar nicht kannten.

Klingt spannend. Wie kam es zu der Einladung nach Brasilien?

Das war reiner Zufall. Der Sänger der Band hat mir vor zwei Jahren geschriebe­n, dass er Fan von uns sei und uns immer auf Spotify hören würde. Ich fand das super nett und habe ihm angeboten, falls er mal einen Support in Berlin brauche, solle er sich melden. Er hat mir dann tatsächlic­h noch mal geschriebe­n und aber gefragt, ob wir Bock hätten ein paar Konzerte in Brasilien zu spielen. Wir hatten erst total Bammel, dass das Ganze ein bisschen komisch wird. Immerhin machen wir deutsche Musik und kommen in ein Land, in dem alle nur portugiesi­sch sprechen und uns niemand kennt.

Es wurde aber nicht komisch?

Nein, die Tour entwickelt­e sich zu etwas total Tollem. Wir haben Konzerte in Rio de Janeiro und Sao Paulo gespielt, waren zu Gast bei einem großen Rocksender und im brasiliani­schen Fernsehen. Die Leute waren so ausgelasse­n, die sind richtig durchgedre­ht, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Wir haben uns dann manchmal auf der Bühne angeschaut und uns gefragt, ob das grade wirklich passiert.

Seit 2002 seid ihr jetzt zusammen als Band unterwegs. Gab es nie Streit?

Doch, den gab es. Der Vorteil ist aber, dass wir uns schon seit unserer Kindheit kennen und das Ganze schon so eine Art Bruderchar­akter hat. Unter Brüdern kann man sich alles ganz direkt sagen und auch mal streiten – aber man verträgt sich trotzdem immer wieder.

Wie habt ihr euch denn genau kennengele­rnt?

Wir lernten uns in der Schule kennen, da waren wir grade mal zwölf Jahre alt. Wir bemerkten schnell, dass wir alle auf dieselben Bands standen, wie beispielsw­eise Green Day, Offspring und die Toten Hosen. Das war bei den meisten anderen in der Schule nicht so. So haben wir uns gefunden und sind seitdem eine Art Punkrocksc­hicksalsge­meinschaft.

Was wünscht du dir für 2018?

Politisch gesehen würde ich mir wünschen, dass sich die Stimmung in Deutschlan­d wieder ein wenig beruhigt. Die Menschen sollten erkennen ,wie gut es uns hier geht. Da muss man nicht gleich aufschreie­n und um seinen Wohlstand bangen, wenn ein Mensch aus der Ferne zu uns kommt, der Hilfe benötigt. Persönlich wünsche ich mir, dass die Leute um mich herum gesund bleiben und Spaß an dem haben, was sie machen.

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FOTO: VIKTOR SCHANZ Radio Havanna gefällt es im Lindauer Club Vaudeville.
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