Blauer Mond, du gehst so stille
Fragt ein Junge beim Waldspaziergang: „Papa, warum sind die Blaubeeren rot?“– „Weil sie noch grün sind.“Dieser Uraltwitz kam einem in den Sinn, als es um das seltene Vollmondspektakel in der Nacht auf Donnerstag ging. Denn der vielzitierte Blue Moon schimmerte keineswegs blau, sondern rot. Woher also dieser seltsame Ausdruck? Hier scheint sich einiges überlappt zu haben. In englischen Texten des Spätmittelalters galt der Blue Moon noch als etwas Unwirkliches – der Mond war ja schlichtweg nicht blau. Astronomen des 19. Jahrhunderts fiel dann auf, dass sich der Mond nach Vulkanausbrüchen durch die emporgeschleuderten Staubpartikel rötlich färbt, nach ganz heftigen Eruptionen aber bläulich – etwa nach der Krakatau-Katastrophe von 1883. Weil solche extremen Ausbrüche sehr selten sind, könnte Blue
Moon also zum Synonym für eine Rarität geworden sein. In einem Farmer-Almanach von 1819 wiederum tauchte er erstmals als Bezeichnung für den dritten Vollmond in einer Jahreszeit mit vier Vollmonden auf. 1946 hat ein Hobbyastronom diese Erklärung allerdings missverstanden, den Fehler in einem Buch verbreitet, und seither bedeutet Blue Moon auf Englisch den zweiten Vollmond in einem Kalendermonat – ein Ereignis, das rund alle zweieinhalb Jahre passiert, so auch gestern. Denkt man an den Ohrwurm Blue
Moon aus den 1930ern, so kommt noch etwas anderes ins Spiel: Blue steht im Englischen nicht nur für die Farbe Blau. Bei blue denkt man an Heimweh, Sehnsucht, Schwermut.
I am blue heißt Ich bin traurig. Blues ist die Musik der Schwarzen in Erinnerung an ihre elende Sklavenvergangenheit. Und auch wir verbinden im Deutschen mit blauer Stunde eine eher melancholische Stimmung zwischen Tag und Nacht. Letztlich ist dieses schillernde Durcheinander typisch für die Symbolik der Farben, die stark abhängt vom jeweiligen Kulturkreis. So kann die Farbe Blau für Ferne, Grenzenlosigkeit und Treue stehen, aber auch für Kühle, Zurückhaltung und Unnahbarkeit. Die blaue Blume der Romantik ist positiv besetzt, der blaue
Brief für Schüler negativ. Der Frauenmörder Blaubart trieb im Märchen sein Unwesen, und Blaustrumpf nannte man despektierlich eine Vorkämpferin der Frauenbewegung. Dagegen galt das Blau von Uniformen als sehr schick, und das Ultramarin, hergestellt aus dem Halbedelstein Lapislazuli, wurde zur vornehmsten Farbe schlechthin. Blau war der Mantel der Himmelskönigin Maria auf den Bildern des Mittelalters, aber Blau konnte auch die Farbe der Täuschung sein. Auf dem Sprichwörter-Bild von Pieter Bruegel d. Ä. hängt eine junge Dame ihrem Mann einen blauen Mantel um. Will heißen: Sie hat ihn mit einem anderen betrogen – und dabei wahrscheinlich das Blaue vom Himmel heruntergelogen, wie wir sprichwörtlich sagen. „Männer sind schon als Baby blau“, sang Herbert Grönemeyer. Aber warum ist man eigentlich blau, wenn man einen über den Durst getrunken hat? Mehr dazu am Fastnachtsfreitag, aus gegebenem Anlass. Wenn Sie Anregungen zu Sprachthemen haben, schreiben Sie! Schwäbische Zeitung, Kulturredaktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg
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