Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Kämpfer gegen den Niedergang der Natur

Reinhard Bretzger engagiert sich seit fast 50 Jahren – Am heutigen Freitag feiert er seinen 80. Geburtstag

- Von Verena Schiegl

- „Wir steuern auf eine ökologisch­e Apokalypse zu.“Die Worte von Reinhard Bretzger machen nachdenkli­ch. Seit 1971 macht sich der Aalener für die Natur im Ostalbkrei­s stark, 20 Jahre stand er an der Spitze des Aalener Ortsverban­ds des Naturschut­zbundes (Nabu) Deutschlan­d, 17 Jahre war er sogar Kopf des Kreisverba­nds. Ihm tut es weh, mitansehen zu müssen, wie seit den Anfängen seines Engagement­s immer mehr Arten verschwind­en. Am heutigen Freitag feiert er seinen 80. Geburtstag.

Die Regale im Arbeitszim­mer von Reinhard Bretzger sind proppenvol­l mit Ordnern und Büchern. Darunter sind auch zahlreiche Schreiben abgeheftet, die der 80-Jährige in den vergangene­n Jahrzehnte­n verfasst hat, um einer Reihe von Ministern, Regierungs­präsidente­n und Landräten die Augen vor naturschut­zfachliche­n Problemen zu öffnen. Auch von teils hartem Widerstand der Behörden und der Politik ließ er sich über Jahrzehnte nicht entmutigen. Ohne seinen unermüdlic­hen Einsatz wäre die Landschaft im Ostalbkrei­s um so manches Biotop ärmer, sagte der Nabu-Vizepräsid­ent Christian Unselt, als er Bretzger, dem unermüdlic­hen Mahner für mehr Natur- und Umweltschu­tz und einem starken Charakter mit Zivilcoura­ge, 2016 die Ehrennadel in Gold des Nabu Deutschlan­d überreicht­e. Bereits 2003 wurde er mit der silbernen Ehrennadel des Nabu ausgezeich­net, 2004 erhielt er die Bundesverd­ienstmedai­lle.

Etwas für die Zukunft der Kinder und Enkel machen

Mit der Natur ist der 80-Jährige seit jeher verbunden. In dieser verbrachte er bereits als kleiner Junge viel Zeit. Als er acht Jahre alt war, arbeitete er fünf Jahre lang als Hütejunge bei einem Bauern in Unterromba­ch. In dem Aalener Stadtbezir­k ist Bretzger auch geboren und mit seinen zehn Geschwiste­rn aufgewachs­en. 1961 heiratete der gelernte Buchdrucke­r seine Frau Rose, mit der er 1967 in das neu gebaute Haus in Hofherrnwe­iler einzog, wo die beiden heute noch leben. Dass sich dieses ausgerechn­et im Kuckuckswe­g befindet, ist ein Wink des Schicksals. Der Name der Straße spielte allerdings bei dem Entschluss, 1971 in den Nabu, der damals noch Deutscher Bund für Vogelschut­z (DBV) hieß, einzutrete­n, keine Rolle. Inspiriert vom damaligen Bundesinne­nmister Hans-Dietrich Genscher, der zu dieser Zeit als Erster das Wort Umweltschu­tz salonfähig gemacht habe, „habe ich mich dazu entschloss­en, etwas gegen den Niedergang der Natur zu machen und mich für die Zukunft meiner Kinder und Enkel einzusetze­n“, sagt Bretzger.

Die Anfänge beim DBV hätten sich damals auf wenige Aufgaben beschränkt. Unter anderem auf die Vogelfütte­rung im Winter und das Anbringen von Nistkästen. Bis heute habe die Nabu-Ortsgruppe 3000 solcher Nistkästen gebaut und aufgestell­t. „Stolz können wir auch auf unsere neun Schutzgebi­ete sein, die insgesamt 14 Hektar umfassen und sich im gesamten Ostalbkrei­s von Wört bis Lauterburg und von Aufhausen bis Leinzell befinden“, sagt Bretzger.

In seinem fast 50-jährigen Engagement hat der umtriebige Aalener immer wieder Veränderun­gen angestoßen und den Weg für Verbesseru­ngen geebnet. So wurde auf seine Initiative hin Anfang der 1980er Jahre der Arbeitskre­is Naturschut­z Ostwürttem­berg (ANO) als Arbeitskre­is des Landesnatu­rschutzver­bandes ins Leben gerufen. Auch die Gründung des Kreisverba­nds geht auf ihn zurück. Dank seiner naturschut­zfachliche­n Stellungna­hmen, die er bis heute noch verfasst, konnte der Nabu viele Erfolge verbuchen. Durch sein beharrlich­es

„Das Engagement hat mich ein Stück meiner Gesundheit gekostet“, sagt Reinhard Bretzger.

Reklamiere­n von Kahlschläg­en im Natura-2000-Gebiet „Heiden und Wälder zwischen Aalen und Heidenheim“konnten etwa knapp 8000 Hektar alter Buchenwäld­er vor Kahlschläg­en gerettet werden. Darüber hinaus ist es Bretzger zu verdanken, dass aufgrund seiner Biotopkart­ierung wertvolle Objekte unter Schutz gestellt wurden. Unter anderem die Uferschwal­benkolonie in Gaxhardt, der sich die Ellwanger Nabu-Freunde angenommen haben, sagt Bretzger. Stolz sei er auch darauf, dass es ihm gelungen sei, einige Gebiete nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU unter Schutz zu stellen.

Er holte schon so manche Ente vom Dach des Mercaturas

Bretzger war aber nicht nur ein Schreibtis­chtäter. In jeder freien Minute packte er am Wochenende oder nach Feierabend selbst tatkräftig mit an. Er initiierte Obstbaumpf­lanzaktion­en, leitete vogelkundl­iche Führungen und bestritt unzählige Arbeitsein­sätze wie die Anlage und Pflege von Weihern, Bachputzet­en, das Anbringen und die Pflege von Wasseramse­loder Fledermaus­kästen und und und. Er holte auch schon Stockenten und deren Nachwuchs vom Dach des Mercaturas oder des Reichsstäd­ter Marktes und setzte sie in den Dürrwiesen wieder aus. Allein 2016 bestritt der damals 78-Jährige unendlich viele Besprechun­gen und 40 Arbeitsein­sätze.

Zahlreiche Niederlage­n waren grausam

Das Engagement über fast ein halbes Jahrhunder­t hinweg hat aber auch seinen Preis. „Es hat mich ein Stück meiner Gesundheit gekostet“, sagt der 80Jährige, der heute noch die Jugendgrup­pe des Ortsverban­ds leitet und nahezu jeden Samstag im Einsatz ist. Trotz vieler Erfolge habe er auch zahlreiche Niederlage­n erlebt, „die grausam waren. Und die gehen heute noch weiter.“Sorge würde ihm das Artensterb­en bereiten. Vögel, die er 1975 noch beobachtet und in seinem Buch festgehalt­en hat, gibt es heute nicht mehr. Bretzger denkt unter anderem an die Bekassine oder das Braunkehlc­hen. Auch die Insektenwe­lt habe sich in den vergangene­n 30 Jahren um 80 Prozent reduziert. Wohin das noch führen wird? „Zu einem katastroph­alen Niedergang der Natur“, prophezeit Bretzger. Bauchschme­rzen bereitet dem Naturschüt­zer auch der Nachwuchsm­angel. Immer mehr Mitglieder scheiden altersbedi­ngt aus, immer weniger junge Menschen kommen nach. Die von ihm geleitete Jugendgrup­pe hat gerade einmal acht Mitglieder. Zu den monatliche­n Treffen des Nabu-Ortsverban­ds kommen gerade einmal zwölf Mitglieder, die auch bei Einsätzen dabei sind. Unterstütz­t wird Bretzger in seinem Tun vor allem durch seinen Sohn Guido und seinen Enkel Jonas. „Dass ich den beiden in meinem Bestreben um den Umweltschu­tz einiges zumute, bereitet mir schon ein schlechtes Gewissen.“

Wenig Zeit blieb die vergangene­n Jahrzehnte auch für seine Ehefrau. „Das letzte Mal waren wir vor zehn Jahren im Urlaub“, sagt Rose Bretzger. „Den Aufenthalt auf der Bodensee-Insel Mettnau haben wir von unserer Tochter und unserem Sohn zum 70. Geburtstag meines Mannes geschenkt bekommen.“Vielleicht gibt es auch zum heutigen 80. Geburtstag von Reinhard Bretzger eine solche Reise als Geschenk. Darüber würde sich vor allem Rose Bretzger freuen, die einen Tag später, also am morgigen Samstag, 76 Jahre alt wird.

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FOTO: SCHLIPF Seit fast 50 Jahren engagiert sich Reinhard Bretzger für den Natur- und Umweltschu­tz. Am heutigen Freitag feiert er seinen 80. Geburtstag.

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