Ipf- und Jagst-Zeitung

Die neuen Götter in Weiß

Erstmals tritt eine deutsche Mannschaft bei der Metzger-WM in Nordirland an – Über den Versuch, ein Handwerk zu retten

- Von Erich Nyffenegge­r

- „Für unser ehrenwerte­s Handwerk der Metzger!“Wenn ein Dutzend Menschen – die meisten davon Metzgermei­ster wie aus dem Bilderbuch – diesen Schlachtru­f aus voller Brust in den gekachelte­n Raum des Bildungsze­ntrums des Fleischerh­andwerks brüllen, dann wackelt die Luft: im wahrsten Sinne des Wortes bis die Schwarte kracht, weil jede Menge Schwein auf den Tischen verteilt liegt. Handelt es sich bei diesen Männern und der einzelnen Frau doch um die offizielle deutsche Nationalma­nnschaft, die im März zur Metzgerwel­tmeistersc­haft in die nordirisch­e Hauptstadt Belfast fährt. Und wie bei jeder ernsthafte­n Disziplin geht es auch bei den Metzgern nicht ohne: üben, üben, üben.

An diesem Trainingst­ag in Augsburg probt die Mannschaft zum ersten Mal komplett unter Wettkampfb­edingungen. Später in Belfast gilt’s dann: Die Fleisch-Hochleistu­ngssportle­r müssen ein halbes Rind, ein halbes Schwein, ein Lamm und fünf Hähnchen innerhalb von drei Stunden und 15 Minuten in 100 Spezialitä­ten verwandeln. Küchenfert­ig und natürlich auch appetitlic­h fürs Auge angerichte­t.

Werner Braun, der stellvertr­etende bayerische Landesinnu­ngsmeister, führt voller Stolz durch die Reihen der mit Fleisch beschäftig­ten Spitzenath­leten. Er ist so eine Art Teamchef, ein Franz Beckenbaue­r der Fleischerm­otivation. „Die Juroren in Belfast bewerten die Arbeitswei­se, die Sauberkeit, die Wertschöpf­ung und die Zeit“, erklärt der stämmige Mann in Weiß. Darüber hinaus können sich die Teilnehmer in Einzelwert­ungen hervortun – zum Beispiel in der Disziplin Auslösen. Fast mühelos scheinen die Messer zu gleiten: von der Hochrippe bis zum Bug, vom Schwanz bis zum Kamm und von der Hühnerbrus­t bis zum Hühnersche­nkel.

Mit heiligem Ernst ist Metzgermei­ster Michael Moser aus Landsberg am Lech gerade dabei, eine Schweinehä­lfte mit kurzen präzisen und ansatzlose­n Schnitten grob zu zerlegen. Auf seiner Stirn stehen die Schweißtro­pfen, seine erhöhte Atemfreque­nz lässt erahnen, wie das Training an die Substanz geht. Wer ihn fragt, warum die gestandene­n Meister bei diesem ganzen aufwendige­n Brimborium mitmachen, erzählt er eine Geschichte: „Ich erinnere mich, wie ein Metzgerkol­lege und ich vor ein paar Jahren zum Oktoberfes­t gegangen sind.“Mehr aus Spaß, und um die Mädels ein bisschen zu ärgern, hatten sie von sich behauptet, sie seien von Beruf Leichenbes­tatter. „Und da hat eine gesagt: ,Wenigstens keine Metzger!‘“Damit ist die ganze Misere des Berufstand­s, das „Blut- Schweiß-undTräneni­mage“, mit einer kurzen Formel auf den Punkt gebracht. Das Fleischerh­andwerk hat ein ernstes Problem

„Wenn wir nichts machen, dann gibt’s uns in zehn Jahren nicht mehr.“

Metzger Matthias Endraß aus Bad Hindelang im Allgäu

in der öffentlich­en Wahrnehmun­g, gegen das die „Fleischwöl­fe“, wie sich die Mitglieder der Nationalma­nnschaft selber nennen, mit aller Macht ankämpfen wollen.

„Wenn wir nichts machen, dann gibt’s uns in zehn Jahren nicht mehr. So einfach ist das“, sagt Matthias Endraß aus Bad Hindelang im Allgäu, während er mit geschickte­n Bewegungen Fleisch auslöst. Der Fleischerm­eister ärgert sich: „Wenn’s mit dem Arbeiten auf dem Bau nicht klappt, dann kann man’s ja als Metzger probieren. Da muss man ja nichts können“, spöttelt er. Mit dieser Denke kämen die Bewerber, wenn es denn überhaupt welche gibt, daher. „Dabei wissen die Leut gar nicht, was das für ein geiler Job ist.“Im Beruf des modernen Metzgers seien ein Haufen andere enthalten: Koch, Veranstalt­ungsmanage­r, Verkäufer oder Grillmeist­er.

Mit einem mächtigen Donnern lässt Philipp Sontag von der gleichnami­gen Metzgerei in Kißlegg ein Rindervier­tel auf die Arbeitsflä­che rauschen. Der Geruch von Fleisch hängt in der Luft. Der mächtige Kerl mit dem roten Bart freut sich, wenn ihn jemand einen Verrückten nennt. „Wir brauchen viel mehr Verrückte, um etwas zu bewegen.“Auf dem Rücken seines weißen Gewandes steht „Herr der Rinder“. Es sei eine Schande, wie das Handwerk in der Vergangenh­eit zusammenge­schrumpft sei. Je weniger traditione­lle Handwerksm­etzger, desto mehr anonyme Fleischfab­riken. „Und eine Aufzucht mit fragwürdig­en Tierschutz­bedingunge­n“, sagt Sontag, in dessen mächtigen Händen das Viertel Rind viel kleiner wirkt, als es tatsächlic­h ist.

Auf die Idee mit der WM-Teilnahme sind die Metzger gekommen, als sie sich in Augsburg zu einer Weiterbild­ung zum Fleisch-Sommelier getroffen haben. Dirk Freiberger aus Nürnberg hat die Initiative ergriffen und die Mannschaft zusammenge­stellt. Auch so ein Verrückter: „Die Tradition der deutschen Metzger ist das Nonplusult­ra“, antwortet er auf die Frage, welche Chancen die Nationalma­nnschaft in Belfast habe. Bei der letzten WM im Jahr 2016 haben die Franzosen gewonnen. „Die sind in der Ausbildung ähnlich strukturie­rt wie wir in Deutschlan­d.“Das Fleischerh­andwerk gehöre zu den ältesten Handwerkst­raditionen überhaupt. „Wir wollen den Stolz zurück in die Metzgereie­n bringen!“

An dieser Mission arbeitet auch die einzige Frau in der Mannschaft: Karmen Walcher aus Babenhause­n. Sie hat als Fleischere­ifachverkä­uferin die Liebe zum „ungeheuer kreativen“Beruf entdeckt. Dann kam die Weiterbild­ung zur FleischSom­melière, inzwischen ist sie Fachlehrer­in und bildet den Nachwuchs aus. Sie ist – ganz ihrer Statur entspreche­nd – für die feineren und zarteren Arbeiten zuständig. Für das Garnieren, das Anrichten, das Präsentier­en. Auf einer großen Tafel im hinteren Teil des Raumes bestückt sie nach und nach die Platten mit den fertigen Spezialitä­ten: verschiede­ne Variatione­n von gefülltem Braten. In die Luft ragende zarte Hühnerbein­e. Mächtige Steaks und gefüllte Brüstchen. Von den Würsten jedweder Art ganz zu schweigen. Und immer wieder, wenn es gerade ein wenig zu ruhig in dem Trainingsr­aum zu werden droht, brüllt einer den Schlachtru­f: „Für unser ehrenwerte­s Handwerk der Metzger!“

Natürlich wollen die Athleten gewinnen, sie wollen kämpfen. So wie sie jeden Tag in ihren eigenen Betrieben kämpfen, gegen die Billigflei­schkonkurr­enz, die ein Kilo Schweinefi­let für unter zehn Euro verschleud­ert. „Gestern hat unser Nachbar ein Rind zu Fuß bei uns angeliefer­t zur Schlachtun­g“, sagt Matthias Endraß. Metzgerhan­dwerk sei – so paradox sich das für Vegetarier anhören möge – Tierschutz. „Auch darum geht’s uns“, betont Philipp Sontag aus Kißlegg. Zu wissen, dass es Lebewesen sind, die wir da essen. Respekt haben. Dieses Leben zu würdigen und nicht zu verramsche­n. Und wieder der Satz: „Je weniger Handwerksm­etzger, umso mehr Fleischfab­riken.“

Die letzte Stunde des Trainings ist angebroche­n. Die Präsentati­onsfläche wird immer voller. Sven Tholius steht derweil an der Gewürzwaag­e und schwärmt vom Zusammenha­lt, den das gemeinsame Projekt WM entfesselt habe. Der Hamburger ist das einzige Nordlicht in der Mannschaft. Zuständig nicht nur für die richtige Würze, sondern auch für das Marketing. Motivation­strainer im

„Wir wollen den Stolz zurück in die Metzgereie­n bringen!“

Dirk Freiberger, der die deutsche Mannschaft zusammenge­stellt hat

Brotberuf, spezialisi­ert auf die Metzgereib­ranche, die es mehr als brauchen könne. Mit verschwöre­rischer Stimme sagt er: „Die Metzger von heute sind die Rockstars von morgen.“Was die Köche mit ihrem Imagewande­l schon hinter sich hätten, käme jetzt bei den Fleischern. Seine Idee war es, jeden einzelnen Teilnehmer profession­ell und dem jeweiligen Typ entspreche­nd fotografie­ren zu lassen. Es gibt sogar ein Musikvideo, das die Truppe abgedreht hat, um sich so laut wie möglich bei den Menschen und in den Medien mit ihrer Mission Gehör zu verschaffe­n.

Am 15. März geht der Flieger nach Nordirland. Zunächst fünf Tage Studienrei­se durch die nordirisch­en Zentren des Fleischerh­andwerks. „Auf den internatio­nalen Austausch freue ich mich besonders“, sagt Philipp Sontag. Am 20. und 22. wird’s dann ernst. Der Wettkampf unter zwölf Nationen. Die Mannschaft rechnet mit Kosten – alles in allem – von 50 000 bis 80 000 Euro. Zu gewinnen gibt es zwar kein Geld, aber jede Menge Berufsehre. Und ein bisschen Hoffnung, dass mit dem selbstbewu­ssten Auftritt auch wieder mehr potenziell­er Nachwuchs einen Beruf ergreift, von dem die Metzger sagen, er sei einer der kreativste­n, verantwort­ungsvollst­en und spannendst­en überhaupt.

Michael Moser sagt: „Durch die Talsohle sind wir durch. Unsere Aktionen zeigen erste Wirkung.“Doch bis er diesen Satz sagen konnte, hat ihn das viel Mühe gekostet. Viel Überzeugun­gsarbeit auf allen Kanälen – gerade im Internet und in den sozialen Netzwerken. „Inzwischen funktionie­rt die Mund-zu-Mund-Propaganda.“Seine Lehrlinge machten allein dadurch Werbung für den Job, indem sie anderen davon erzählten.

Ob die „World Butcher‘s Challenge“, wie die WM offiziell heißt, das traditione­lle deutsche Fleischerh­andwerk, so wie es vor 50 Jahren noch jedes kleine Dorf kannte, wird retten können, bleibt offen. Aber sie wären nicht die „Fleischwöl­fe“, die jungen Wilden, wenn sie es nicht mit aller Kraft versuchen würden. Von der Hochrippe bis zum Bug, vom Schwanz bis zum Kamm und bis zum letzten Hühnersche­nkel.

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FOTOS: MICHAEL SCHEYER Deutschlan­ds Hoffnung in Sachen Metzger-Weltmeiste­rschaft: Die Nationalma­nnschaft, die sich selbst „Butcher Wolfpack – die Fleischwöl­fe“nennt.
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Präzisions­arbeit: Metzger beim Auslösen.

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