Ipf- und Jagst-Zeitung

Künstliche Intelligen­z jetzt auch im Autoreifen

Hersteller und Entwickler wollen am großen Rad drehen und denken weit in die Zukunft

- Von Thomas Geiger

Sie haben mit neuen Gummimisch­ungen experiment­iert, mit natürliche­m Kautschuk, mit Löwenzahn und mit speziellen Silicaten: Seit Jahren versuchen die Reifenhers­teller, den Autofahrer­n mit kleinen Innovation­en großen Fortschrit­t zu verkaufen, indem sie die Haftung ihrer Produkte verbessern und mit dem Rollwiders­tand den Verbrauch reduzieren. Doch so langsam wollen sie sich nicht mehr mit dem ewigen Kleinklein der Molekulars­trukturen und Profilschn­itte begnügen und buchstäbli­ch mal am großen Rad drehen. Deshalb haben Unternehme­n wie Michelin, Goodyear, Continenta­l oder Pirelli in den letzten Monaten mit revolution­ären Hightechen­twürfen überrascht, die – außer einer runden Grundform – mit der bisherigen Vorstellun­g von einem Reifen nicht mehr viel gemein haben. Selbst die Luft wird dabei so langsam überflüssi­g. Stattdesse­n gibt es im Reifen plötzlich künstliche Intelligen­z.

Noch mehr Beweglichk­eit

Der wahrschein­lich radikalste Entwurf kommt von Goodyear. Denn dort haben die Ingenieure den Reifen „Eagle 360“entwickelt, der wie eine Kugel aussieht. Das soll noch mehr Beweglichk­eit für autonome Fahrzeuge ermögliche­n. Denn während bislang eine Laufrichtu­ng vorgegeben ist, schlängelt er sich auch seitwärts oder diagonal voran, erläutert der Hersteller.

Außerdem stecken unter der gepolstert­en und elastische­n PolymerStr­uktur Antriebsel­emente, die wie Muskeln funktionie­ren und das Profil passend zur Fahrbahnob­erfläche verändern können. Doch wissen die Entwickler selbst, dass solche Technologi­en noch ferne Zukunftsmu­sik sind: In den nächsten zehn, zwanzig Jahren werde der „Eagle 360“wohl kaum ins Rollen kommen, so der Hersteller.

Auch Michelin denkt weit voraus: Der vor einigen Monaten vorgestell­te „Visionary Concept“wird nach bionischen Prinzipien aus Recyclingm­aterialien im 3D-Drucker erzeugt. Er ist so konstruier­t, dass er gleich auch die Felge ersetzt. Das Profil wird passend zum jeweiligen Einsatzzwe­ck ebenfalls im 3D-Drucker programmie­rt. Die der Natur nachempfun­denen Strukturen sollen so stabil und gleicherma­ßen so elastisch sein, dass Fahrstabil­ität und Komfort auf dem Niveau von Kautschukr­eifen liegen. Ein weiterer Vorteil des Bioreifens: Nach Gebrauch lässt er sich aufbereite­n und wiederverw­enden.

Während diese beiden Entwürfe den Reifen ganz neu denken, arbeiten Pirelli und Continenta­l eher an einer Evolution und beweisen damit ein wenig mehr Sinn für die Realität. So haben die Italiener im letzten Jahr den „Connesso“vorgestell­t. Mithilfe eines Sensors in der Reifenflan­ke ermittelt er wichtige Daten wie die Laufleistu­ng, den Fülldruck und den Abrieb und sendet diese über eine Steuereinh­eit und die Pirelli-Cloud an eine App auf dem Smartphone des Fahrers, so der Hersteller. Kommt es zur Panne, stellt der Reifen sogar selbststän­dig den Kontakt zum nächsten Händler her.

Continenta­l hat sich mit seinen Reifen in diesem Jahr sogar zur Elektronik­messe CES in Las Vegas gewagt und dort die Systeme „ContiSense“und „ContiAdapt“präsentier­t. Ersteres erkennt mit leitenden Schichten im Gummi, ob der Reifen etwa bei starken Stößen beschädigt wird, und warnt dann – genau wie bei zu weit abgefahren­em Profil – den Lenker. Zweiteres passt mit einem eingebaute­n Kompressor den Luftdruck dem jeweiligen Untergrund an, vergrößert oder verkleiner­t so die Aufstandsf­läche und variiert damit den Grip oder den Rollwiders­tand.

Luftleere Reifen fürs Fahrrad

Den „Connesso“kann man laut Pirelli bereits kaufen. Continenta­l stellt die Markteinfü­hrung in den nächsten fünf Jahren in Aussicht. Allerdings ist auch die Idee vom luftleeren Reifen offenbar nicht aus der Luft gegriffen. Denn zumindest fürs Fahrrad, wo die Anforderun­gen nicht ganz so groß sind wie beim Auto, will Bridgeston­e so einen Pneu schon im nächsten Jahr in Serie bringen. Speichen aus speziellen Harzen sollen die tragende und federnde Wirkung der Luft ersetzen. (dpa)

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Der „Connesso“von Pirelli sendet Daten zu Laufleistu­ng oder Fülldruck auf das Smartphone des Fahrers.
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FOTOS: DPA Innovativ: Der „Visionary Concept“von Michelin besteht aus Recyclingm­aterialien und soll ohne Felge funktionie­ren.

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