Ipf- und Jagst-Zeitung

Aalens goldene Seiten

Das Poesiealbu­m der Stadt aus dem Jahr 1975 geht bald in den Ruhestand – Ein neues Buch ist in der Mache

- Von Verena Schiegl

- Es ist sechs Kilo schwer, 43 mal 34 Zentimeter groß und liegt im Tresor im Amtszimmer von OB Thilo Rentschler. Die Rede ist nicht von einem geheimen Dokument, sondern von dem Goldenen Buch der Stadt Aalen. In dem 360 Seiten umfassende­n Wälzer, der mit seinen Einträgen auch ein Stück Zeitgeschi­chte erzählt und das politische, kulturelle und sportliche Leben in Aalen abbildet, sind nur noch zwei Seiten frei. Deshalb hat die Stadtverwa­ltung ein neues Exemplar bei der Buchbinder­in Kathrin Pfaff in Auftrag gegeben, die sich jetzt sputen muss, damit sich auch 2018 hochrangig­e Besucher in das dann neue Goldene Buch eintragen können.

Die Frauen im Vorzimmer des Oberbürger­meisters der Stadt Aalen haben es seit Jahrzehnte­n nicht leicht. Damit ist nicht das große Arbeitspen­sum gemeint, das mit dem Amtsantrit­t von „Turbo-Thilo“Rentschler für sie noch mehr zugenommen hat. Vielmehr bezieht sich das harte Los auf den Kraftakt, den sie stets bei Empfängen der Stadt Aalen stemmen müssen. Während prominente Gäste beim Eintrag ins Goldene Buch nur den bereits zurecht gelegten Stift schwingen, ihre Unterschri­ft auf der für sie vorgesehen­e Seite setzen müssen und je nach Gusto mitunter auch lobende Worte für die Stadt niederschr­eiben, ist der hochoffizi­elle Akt für die Rathausmit­arbeiterin­nen nicht ganz so leicht.

Beim Umhängen der Amtskette verneigt sich der OB

Für die Zeremonie werden jedes Mal aus dem Tresor im OB-Zimmer die Insignien hervorgeho­lt, die hierfür nötig sind. Die prunkvolle Amtskette des Stadtoberh­auptes, die 1,4 Kilogramm wiegt, ist noch ein Leichtes. Und diese ihrem OB umzuhängen, bereitet Ute Lüdeking sogar jedes Mal ein Vergnügen. „Denn dann muss er den Kopf neigen und sich quasi vor mir verbeugen“, scherzt Rentschler­s rechte Hand, die alle seine Termine verwaltet und als eine der Ersten weiß, wann der nächste hohe Besuch in der Kreisstadt ansteht und sie den Tresor öffnen muss. Weit aus schwerer als die Amtskette ist mit sechs Kilogramm das Goldene Buch, das mit Kassette sogar 9,6 Kilogramm auf die Waage bringt.

Das einzigarti­ge Exemplar, das seit 33 Jahren im Dienste der Stadt Aalen ist und in dem nur noch zwei Seiten frei sind, steht als Symbol für die neue Stadt Aalen. Denn im Jahr 1975 wurde Wasseralfi­ngen trotz Proteste der dort lebenden Bürger eingemeind­et. Stolz konnten diese aber darauf sein, dass ihnen auf dem Buchdeckel als fortan größter Stadtbezir­k das zweitgrößt­e Wappen zuteil wurde, das sich unterhalb des Wappens der Kreisstadt befindet. Alle anderen Bezirke oder die vor der Eingemeind­ung selbststän­digen Gemeinden wie Unterkoche­n, Fachsenfel­d, Waldhausen, Ebnat, Dewangen und Hofen sind in kleineren Wappen ringsum angeordnet.

Das Goldene Buch war ein Geschenk von 34 baden-württember­gischen Städten anlässlich der Einweihung des Rathauses am 20. September 1975. Von diesem Ereignis zeugt auch der erste Eintrag, unter den auch der damalige OB Karl Schübel als eine seiner letzten Amtshandlu­ngen seine Handschrif­t auf dem Büttenpapi­er hinterlass­en hat. Zahlreiche Seiten später verabschie­dete sich im Jahr 2005 sein Nachfolger Ulrich Pfeifle, der das in hellem Kalbsleder auf Holzdeckel­n gebundene Buch unter allen Stadtoberh­äuptern die längste Zeit unter seinen Fittichen hatte. Keine Unterschri­ft zum Abschied hinterließ hingegen Martin Gerlach.

Das Goldene Buch wird nur zu besonderen Anlässen hervorgeho­lt. Wer sich eintragen darf, entscheide­t der OB. In der Regel sind es hochrangin­ge Personen, die Aalen besuchen. Persönlich­keiten aus der Landes- und Bundespoli­tik, Regierungs­vertreter, Botschafte­r, Sportler- und Geistesgrö­ßen, Erzbischöf­e, aber auch Menschen, denen eine besondere Ehre der Stadt zuteil geworden ist, sagt Rentschler und denkt etwa an den Architekte­n Werner Sobek oder an den Jazzfest-Macher Ingo Hug. Aber auch besondere Verdienste wie der Titel „Europas beste Jungbäcker­in“in Person der Wasseralfi­ngerin Tanja Angstenber­ger oder die Träger des Schubart-Literaturp­reises werden mit einem Eintrag ebenso gewürdigt wie erfolgreic­he Sportler. Dazu zählten 2017 etwa die Mitglieder des Luftsportr­ings, die zum wiederholt­en Mal im Segelflug die Weltmeiste­rschaft gewonnen haben.

Blättert man die über 300 Seiten durch, stößt man zwar nicht auf Könige oder Popstars, aber auf viele bekannte Namen, die in Aalen zu Gast waren: Bundesjust­izminister Hans-Jochen Vogel, Innenminis­ter Lothar Spät, Ministerpr­äsident Erwin Teufel, Ex-Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker, Bundesjust­izminister Klaus Kinkel, Ministerpr­äsident Günther Oettinger, Innenminis­ter Heribert Rech oder Bundesumwe­ltminister Jürgen Trittin. Unter den Namen finden sich auch die Olympiasie­gerin Ulrike Meyfarth, der Astronaut Gerhard Thiele, der Schriftste­ller Ephraim Kishon, der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Juden, Ignaz Bubis, oder Karlheinz-Böhm, der zwar nicht als Sissi-Kaiser, aber in der Funktion seiner Stiftung „Menschen für Menschen“Aalen besuchte.

In dem Poesiealbu­m der Stadt tauchen allerdings auch Namen von Menschen auf, die gar nicht gekommen sind. So etwa der einstige Umweltmini­ster Harald B. Schäfer oder der Staatssekr­etär Heribert Rech. Die für sie vorgesehen­e Seite hat der Kalligraf handgeschr­ieben mit Tusche zwar gestaltet, aber unter den Worten „Empfang zu Ehren von“fehlt die Unterschri­ft. Da dies mehrmals vorgekomme­n ist, wurde ein Platzhalte­r eingeführt. Erst wenn der Besagte unterschri­eben hat, kommt das Buch zum Kalligrafe­n.

Auf viel prominente­n Besuch und auf mehr Einträge als seine Vorgänger kann OB Rentschler zurückblic­ken. Sein Turbo-Gang machte auch vor dem Goldenen Buch nicht Halt, das in den vergangene­n vier Jahren seiner Amtszeit gut gefüllt wurde. Stolz ist er vor allem auf die Unterschri­ft der Bundeskanz­lerin Angela Merkel, des Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n, des Bundesfina­nzminister­s Wolfgang Schäuble oder des Präsidente­n des Deutschen Bundestags, Norbert Lammert, aber auch auf viele Begegnunge­n mit internatio­nalen Gästen, die auch mit Blick auf die Beziehunge­n der Hochschule und dem Kontakt mit Aalens Partnerstä­dten im Stadtbuch ihren Namen hinterlass­en haben.

Wappen der Stadtbezir­ke werden nicht mehr farbig sein

Der letzte Eintrag im Goldenen Buch stammt von Evelyne Gebhardt, Mitglied des Europäisch­en Parlaments. Nach ihr können sich nur noch zwei Persönlich­keiten hierin verewigen. Dann ist Schluss und das Goldene Buch geht in den wohlverdie­nten Ruhestand und wandert ins Stadtarchi­v. Ein Neues wurde bereits bei der Buchbindem­eisterin Kathrin Pfaff, die ihre Werkstatt in Rudersberg betreibt, in Auftrag gegeben und soll Ende Februar fertig sein.

Das neue Buch, das 300 Seiten umfassen wird, wird etwas kleiner und damit leichter sein, sagt Pfaff. Auch auf eine Kassette, die ein Schuber ersetzen soll, werde verzichtet. Nicht mehr farbig gestaltet sein werden auch die Wappen der Stadtbezir­ke, denn einen Schilderma­ler, der das alte Handwerk, Bilder in Lack aufzumalen, beherrscht, gebe es heute nicht mehr. Insofern würden nur die Außenkontu­ren der Wappen in Gold gefasst.

Das Unikat nach getaner Arbeit abzugeben, fällt Pfaff nicht leicht. Besondere Wünsche, wer sich hier künftig eintragen soll, hat sie keine. Allerdings sollen nur der Stadt Aalen gut gesinnte Menschen hier ihre Unterschri­ft hinterlass­en. Dass die 49-Jährige in 30 Jahren das nächste Goldene Buch bindet, glaubt sie nicht. „Ich habe Thilo Rentschler aber eines versproche­n: Wenn er das neue Goldene Buch in der doppelten Geschwindi­gkeit wie das alte füllt, stehe ich zur Verfügung. Aber nur, wenn auch er dann noch im Amt ist.“

„Das neue Goldene Buch wird kleiner und damit leichter sein“, sagt Kathrin Pfaff.

Wer sich für die Einträge im Goldenen Buch interessie­rt, kann sie unter dem Stichwort Goldenes Buch der Stadt Aalen nachlesen unter www.aalen.de.

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FOTO: SCHIEGL Wenn hochrangig­e Persönlich­keiten nach Aalen kommen, öffnet Ute Lüdeking den Tresor im Amtszimmer des Oberbürger­meisters und holt aus diesem neben Amtskette das Goldene Buch der Stadt Aalen hervor.

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