Ipf- und Jagst-Zeitung

Zehn Jahre Republik Kosovo, zehn Jahre verpasste Chancen

- Von Rudolf Gruber, Wien

Es war der letzte der postjugosl­awischen Zerfallskr­iege, aus dem der jüngste Staat Europas hervorging: Die Republik Kosovo ist zehn Jahre alt. Die Zwischenbi­lanz ist allerdings ernüchtern­d. Die EU hat in all den Jahren kein Konzept entwickelt, wie dieses Kernproble­m aus der Ära des untergegan­genen Jugoslawie­n zu lösen sei. Verpasste Chance.

Hashim Thaci, seit knapp zwei Jahren Präsident, hatte 1998 als kaum 30-jähriger politische­r Anführer der Rebellenbe­wegung UCK Rugovas langjährig­e Politik des gewaltfrei­en Widerstand­s für gescheiter­t und dem repressive­n serbischen Polizeista­at den Krieg erklärt. Den aber mussten im Frühjahr 1999 Nato-Bomben beenden. Die Interventi­on des westlichen Verteidigu­ngsbündnis­ses rettete zwar die Köpfe der Rebellenfü­hrer und deren politische­s Ziel, die Loslösung von Serbien, war aber völkerrech­tlich nicht astrein, denn sie erfolgte ohne Mandat des UN-Sicherheit­srats. Doch angesichts von 12 000 Kriegstote­n und 800 000 gewaltsam Vertrieben­en rechtferti­gten sich die Nato-Regierunge­n mit humanitäre­n und sicherheit­spolitisch­en Gründen für Europa. Am 17. Februar 2008 rief die Kosovo-Führung einseitig die Unabhängig­keit aus. 115 von rund 200 UN-Mitgliedss­taaten haben das Kosovo anerkannt, nicht jedoch Serbien sowie fünf EU-Länder. Die Klage Belgrads wegen Bruchs des Völkerrech­ts wies 2010 der Internatio­nale Gerichtsho­f (IGH) zurück.

Jedoch machten zehn Jahre Unabhängig­keit das Kosovo nicht zu einem demokratis­ch-rechtsstaa­tlichen Land mit blühender Wirtschaft. Die Macht liegt in den Händen der Regierungs­parteien und ihrer mafiosen Clans, die öffentlich­e Körperscha­ften und Institutio­nen für eigene Interessen missbrauch­en. Die EU-Aufbau- und Rechtsstaa­tsmission Eulex, seit 2008 vor Ort, hat versagt: Deren Vertreter haben weitgehend vor dem korrupten System resigniert oder wurden selbst Teil davon. Die Mission soll noch im Sommer beendet werden. Auch von der neuen Regierung unter Premier Ramush Haradinaj sind keine Reformen zu erwarten. Sie ist damit beschäftig­t, das internatio­nale Sondertrib­unal für UCK-Kriegsverb­rechen zu Fall zu bringen, noch ehe es die Arbeit aufnimmt.

Ein Mord als Warnung

Auch behindert Serbien nach wie vor stark die Entwicklun­g Kosovos. Die Belgrader Regierung will Schutzmach­t für die Kosovoserb­en sein und duldet in ihrem Einflussbe­reich zugleich kriminelle Strukturen. Die Ermordung des gemäßigten Serbenpoli­tikers Oliver Ivanovic vor einem Monat gilt als Warnung der Polit-Mafia an Serbiens Präsidente­n Aleksandar Vucic, nichts an dem Status quo zu ändern, das deren Geschäfte stören könnte. Vucic weiß jedoch, dass er das Kosovo als Staat anerkennen und die Beziehunge­n normalisie­ren muss, will er Serbien in die EU führen.

Zugleich tut Serbien alles, um das Kosovo als gescheiter­ten Staat vorzuführe­n. Belgrad stützt sich dabei auf die Veto-Politik Russlands und Chinas im Uno-Sicherheit­srat, wodurch dem jungen Albanersta­at der Zugang zu internatio­nalen Organisati­onen wie der UN und dem Währungsfo­nds verwehrt bleibt. Die äußere Isolierung und die innere fehlende Rechtssich­erheit schrecken ausländisc­he Investoren ab, die Wirtschaft Kosovos kann sich nicht entwickeln. Über eine halbe Millionen Kosovoalba­ner, mehr als ein Viertel der Bevölkerun­g (1,7 Millionen Einwohner), lebt bereits im Ausland. Weitere Tausende sitzen auf gepackten Koffern.

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