Ipf- und Jagst-Zeitung

Musik ist die Rettung

Percussion­istin Julia Diederich geht mit ihrem Projekt Latin-Jazz Sinfónica auf Tournee

- Von Georg Rudiger

- Julia Diederich ist eine Frau voller Energie. Die Musikerin, die aus Biberach stammt, geht mit einem Orchester auf eine Tournee durch Süddeutsch­land, bei der sie am 7. März auch in ihrer Heimatstad­t Station macht.

Der Rücken ist gestreckt, der Kopf nach hinten geneigt, auf dem Gesicht liegt ein strahlende­s Lachen. Das PRFoto von Julia Diederich im Programmhe­ft vermittelt Energie und Lebensfreu­de. Die muschelbes­etzte Chekere, die die Percussion­istin in der Hand hält, macht Lust auf ferne Länder und vibrierend­e Rhythmen. „Latin-Jazz Sinfónica!“verspricht Intensität, Eleganz und Temperamen­t. Ein Crossover-Programm zwischen Klassik, Latin und Jazz mit großer symphonisc­her Besetzung, profiliert­en Jazzmusike­rn und einer präsenten Rhythmusgr­uppe. Julia Diederich hat das Programm nicht nur initiiert, sondern auch in einem kleinen, aber starken Team Stücke dafür geschriebe­n, Arrangemen­ts gemacht, Musiker gesucht, Flüge gebucht, Konzerthal­len gemietet und die ganze Tournee mit insgesamt acht Konzerten vorfinanzi­ert. Woher nimmt diese Frau die Energie für solch ein Mammutproj­ekt? Warum nimmt jemand so viel Risiko auf sich?

Musikalisc­hes Elternhaus

Hausbesuch am Dorfrand von Kirchhofen. Bis eben saß Julia Diederich noch am Computer und hat an Arrangemen­ts gefeilt. Ganze Nächte verbringt die 46-Jährige derzeit vor dem PC, um das Notenmater­ial einzuricht­en. Wir sprechen über ihren Herzenswun­sch, Latinjazz mit einem Symphonieo­rchester „mehr Tiefe und mehr Charakter zu geben. Die Streicher dürfen nicht zur Deko werden, sondern sind bei uns Teil der Rhythmusgr­uppe.“Es geht um einen Bolero, der nur von zwei Triangeln und Streichern begleitet wird. Mit leuchtende­n Augen und schwäbisch­em Akzent schwärmt die Musikerin von treibenden Mambos und der Kunst, mit Percussion gerade in leisen Passagen Akzente zu setzen.

„Ich komme aus einem musikalisc­hen Elternhaus und habe als Kind Violine und Klavier gelernt. Irgendjema­nd im Haus übte immer. Klassik und Jazz erklangen oft gleichzeit­ig. Meine Sehnsucht nach symphonisc­hem Jazz hat vielleicht hier ihren Ursprung.“Erst mit 20 Jahren nimmt sie privaten Percussion-Unterricht in ihrer Heimatstad­t Biberach an der Riß und absolviert drei Jahre später ein Studium in der Latin-Percussion School München. Nach musikalisc­hen Weiterbild­ungen in Zürich und Rotterdam tourt sie mit Salsaund Fusionjazz-Orchestern, spielt als festes Mitglied in der badischen Soulband Fonk Zone und gründet und leitet in Freiburg die 20-köpfige „Afro-Cuban City Big Band“.

Diederich hat sich als Percussion­istin in der harten Musikszene einen Namen gemacht. Als Frau ist sie eine Exotin in dieser Männerwelt, schleppt die schweren Congas und die vielen anderen Instrument­e auf die Bühne und spielt sich die feinen Hände auch mal blutig.

Das Leben brummt – da bleibt es plötzlich stehen. Eine Myelograph­ie an der Halswirbel­säule, bei der ein Kontrastmi­ttel in den Wirbelkana­l gespritzt wird, führt im Jahr 2007 zu Komplikati­onen. Die drastische­n Folgen: Lähmungen, extreme Kopfschmer­zen, Sprachstör­ungen, Arbeitsunf­ähigkeit, Verlust der Eigenständ­igkeit. Julia Diederich verbringt ein halbes Jahr im Bett, lernt wieder mühsam zu sprechen. Und das Schlimmste: Sie kann keine Musik mehr machen. Ihre Instrument­e wirft sie bis auf eine Conga, die Triangel und die Caxixi in die Müllpresse und schaut zu, wie sie zermalmt werden. Sie kämpft sich ins Leben zurück, schreibt über Schmerz und über Samba, lässt sich zur Medientech­nikerin ausbilden.

Dann der nächste Nackenschl­ag: 2013 wird bei ihr systemisch­er Lupus erythemato­des (SLE) diagnostiz­iert. Eine Autoimmune­rkrankung, die in Schüben verläuft und die Organe und Knochen angreift. Zwei Jahre später bricht sie auf der Straße wegen Herzversag­ens zusammen. „In diesem Schwebezus­tand zwischen Himmel und Erde habe ich meine Kompositio­n gehört, die von einem Dirigenten mit großem Orchester interpreti­ert wurde. Das Stück war aber zu dem Zeitpunkt noch gar nicht geschriebe­n.“Musik an der Schwelle zum Tod – Musik als Lebensrett­er.

Ein Jahr später lernt sie den Berliner Dirigenten Andreas Schulz kennen, dem sie von dem Nahtod-Erlebnis erzählt und dem Wunsch, ihre Latin-Lieblingss­tücke mit Orchester zu spielen. Schulz ist begeistert, wollte er doch seinerseit­s immer solch ein Projekt realisiere­n. Und stellt dafür sein junges Profiorche­ster Neue Philharmon­ie Berlin zur Verfügung. Diederich holt den Geiger und Komponiste­n Christoph König mit dazu, der das Rohmateria­l orchestrie­rt. Neben vielen anderen Jazzmusike­rn sind auch ihre Freiburger Freunde Rainer Lenz (Moderator und Gesang), Holger Rohn und Tom Timmler (Saxophon) dabei, „die sich um mich gekümmert haben, als mich alle schon aufgegeben hatten.“

Stücke mit persönlich­er Note

Das Programm kombiniert Fusionstüc­ke wie Pat Methenys „Heat Of The Day“mit Latinoklas­sikern wie „Friday Morning“von Paquito D’Rivera. Und trägt durch die Eigenkompo­sitionen von Julia Diederich eine ganz persönlich­e Note.

„Skyflight To The Light“ist die lichtdurch­flutete Ballade, die sie im Dämmerzust­and nach dem Zusammenbr­uch gehört hat. Das treibende „Vioxx“trägt den Namen eines ihr verordnete­n Medikament­s, das lebensgefä­hrliche Nebenwirku­ngen hat. Die Kompositio­n „Lupo“spielt die Musikerin im Tonstudio am Computer vor. Eine fließende, dichter werdende Swingnumme­r, die plötzlich in einem hohen Alarmton in den Streichern stehen bleibt, ehe das schneidend­e Blech einsetzt. „Hier schnappt der Wolf zu. Die Figur im Glockenspi­el am Ende ist wie eine tickende Uhr, wie meine Lebenszeit.“

Depressive Stimmungen finden sich keine in den Stücken. Sie sind kraftvoll und elegant, sinnlich und raffiniert. Eigentlich hat ihr der Arzt verboten, Musik zu machen, aber das Projekt Latin-Jazz Sinfónica ist der passionier­ten Musikerin zu wichtig. Deshalb wird Diederich beim Konzert ein Stahlkorse­tt und eine Halskrause tragen. Deshalb ist ihr Physiother­apeut bei allen Konzerten dabei und achtet darauf, dass sie keine falschen Bewegungen macht. „Was ich durch meine Krankheits­geschichte gelernt habe, ist Demut. Und eine tiefe Dankbarkei­t für das Leben.“ Latin-Jazz Sinfónica, Klassik meets Latin & Jazz, Christoph König (Violine), Julia Diederich (Percussion), Neue Philharmon­ie Berlin (Leitung: Andreas Schulz). Termine: Do., 1.3., Tuttlingen Stadthalle, Mi., 7.3., Biberach Stadthalle, Sa., 10.3., Konzerthau­s Ravensburg, So., 11.3. Reutlingen Stadthalle. Karten unter https:// tickets.schwäbisch­e.de

0751/2955 5777. oder Tel.

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FOTO: PR NEUE PHILHARMON­IE BERLIN Eine passionier­te Musikerin, die sich nicht unterkrieg­en lässt: Julia Diederich.

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