Ipf- und Jagst-Zeitung

Vier Wände, die vor Gewalt schützen

Seit einem Jahr gibt es in Ellwangen eine Frauenschu­tzwohnung - Fälle häuslicher Gewalt steigen

- Von Anna Kratky

- Die Wände der Dreizimmer­wohnung irgendwo in Ellwangen sind kahl, das Mobiliar spärlich. In die Frauenschu­tzwohnung in Ellwangen, die es seit einem Jahr gibt, können Frauen vor häuslicher Gewalt fliehen. 2017 sind dort insgesamt sieben Frauen aus Ellwangen und dem gesamten Ostalbkrei­s untergekom­men. Damit war die Wohnung, die es seit einem Jahr gibt, durchgehen­d besetzt.

„Die Frauen, die hier wohnen, haben es häufig lieber, wenn ich nicht so viel selbst dekoriere“, sagt Nicole Bühler und deutet auf die weißen Wände. „Dann können sie sich selbst hier ein bisschen einrichten“, erzählt die Ellwanger Frauen- und Gleichstel­lungsbeauf­tragte.

Bis zu drei Monaten können Frauen, die im häuslichen Umfeld Gewalt erfahren haben, in der Frauenschu­tzwohnung unterkomme­n. Diese Zeit in dem geschützte­n Raum nutzen sie dazu, ihr Leben neu zu ordnen. Denn die Flucht vor Gewalt in den eigenen vier Wänden zieht immer einen langen und komplizier­ten Rattenschw­anz nach sich. „Es gibt kein ,Handlungss­chema F’, denn jeder Fall ist unterschie­dlich“, sagt Bühler. Nicht selten flüchten die Opfer mit ihren Kindern und leben in finanziell­er Abhängigke­it von ihrem Partner.

Gewalt gibt es nicht nur in sozial schwachen Milieus

Wo werden meine Kinder in Zukunft zur Schule gehen? Wo werde ich wohnen? Wie kann ich ab jetzt meinen Lebensunte­rhalt und den meiner Kinder finanziere­n? Das ist nur ein Bruchteil der Fragen, die dann geklärt werden müssen. Eine Beraterin für häusliche Gewalt besucht die Bewohnerin­nen der Frauenschu­tzwohnung während dieses Prozesses mehrmals und hilft ihnen, diese Fragen zu klären. Oft brauchen die Frauen auch medizinisc­he und psychologi­sche Betreuung.

„Gewalt zieht sich durch alle sozialen Schichten, egal ob psychische, physische oder sexuelle Gewalt“, erklärt Bühler. „An mich wenden sich sozial schwache Frauen, aber auch Ehefrauen von Geschäftsf­ührern oder Studentinn­en“, sagt die 28-Jährige. Die wenigsten Frauen, die sie betreue, seien aus der Gemeinscha­ftsunterku­nft oder der Landeserst­aufnahmest­elle für Flüchtling­e. In der LEA gebe es ein eigenes Frauenhaus.

Und trotzdem ist die Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt in Ellwangen sowie dem gesamten Ostalbkrei­s hoch – Tendenz steigend, sagt Bühler. Während es laut der Polizei 2015 zu 136 Fällen von häuslicher Gewalt kam, waren es 2016 205 Fälle und 193 im vergangene­n Jahr. „Dabei handelt es sich aber nur um die Vorfälle, die später auch zur Anzeige kamen. Die Dunkelziff­er ist wesentlich höher“, erklärt die 28-Jährige. So etwas passiere eben nicht nur in Großstädte­n, sondern auch hier, wo es auf den ersten Blick nicht so scheine.

Deswegen war es der Frauenbeau­ftragten wichtig, dass es auch in Ellwangen eine Frauenschu­tzwohnung gibt. Durchschni­ttlich habe sie einen Fall alle zwei Wochen. „Wenn eine Frau blutend vor meiner Tür sitzt, ist es wichtig, dass ich schnell und ohne großen bürokratis­chen Aufwand handeln kann“, erzählt sie. Zwar gibt es in Schwäbisch Gmünd ein Frauenhaus und in Aalen sechs Frauenschu­tzwohnunge­n, doch auch diese sind meistens voll.

Um in der Schutzwohn­ung unterzukom­men, gibt es mehrere Wege. Teilweise kommen Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, direkt auf Bühler zu. Aber auch die Polizei kann Fälle an die Frauenschu­tzbeauftra­gte weitergebe­n, sofern die Opfer damit einverstan­den sind. Es besteht jedoch nicht die Bedingung eine Strafanzei­ge zu stellen, um in der Wohnung Schutz suchen zu können.

Die Schutzwohn­ung ist allerdings nicht der einzige Weg, um die Frauen im ersten Moment vor häuslicher Gewalt in Sicherheit zu bringen. Wird die Polizei verständig­t, können die Beamten vor Ort auch einen sogenannte­n Wohnungsve­rweis gegenüber dem Täter ausspreche­n. Dies hat zur Folge, dass ihm die Schlüssel für den gemeinsame­n Wohnort entzogen werden und er bis zu vier Tage nicht in die Wohnung oder das Haus zurückkehr­en darf.

Fälle von häuslicher Gewalt steigen

Woran es liegt, dass die Zahlen häuslicher Gewalt zusehends steigen? „Ich denke, es findet ein gesellscha­ftlicher Wandel statt. Ganz viele Menschen sind nicht mehr mit dem zufrieden, was sie haben, obwohl es ihnen objektiv gesehen gut geht. Daraus entstehen Frustratio­n und Neid. Diesem Druck können viele nicht standhalte­n, und es kommt zur Gewalt“, erklärt Bühler.

Die Frauen, die letztendli­ch zu ihr kommen, sind dieser Gewalt meist Wochen, Monate oder sogar Jahre ausgesetzt, bevor sie handeln. Neben den „klassische­n“Fällen von physischer, psychische­r oder sexueller Gewalt hat es in Ellwangen auch schon außergewöh­nliche Fälle gegeben. So wurde zum Beispiel eine 18Jährige von ihrer Familie ins Ausland gebracht, um sie dort mit einem Mann zu verheirate­n, den das Mädchen nicht kannte.

Über Umwege wurde der Fall an Nicole Bühler herangetra­gen, die mithilfe der deutschen Botschaft und des Konsulats die Zwangsehe verhindern und das Mädchen zurück nach Ellwangen holen konnte. Auch die 18-Jährige konnte danach in der Frauenschu­tzwohnung unterkomme­n.

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SYMBOLBILD: DPA/ MAURIZIO GAMBARINI Häufig ertragen Frauen häusliche Gewalt über mehrere Wochen, Monate oder sogar Jahre, bevor sie Hilfe suchen.
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QUELLE: STADT ELLWANGEN
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FOTO: ANNA KRATKY In der Wohnung ist Platz für zwei Frauen mit jeweils einem und zwei Kindern.
 ?? FOTO: ANNA KRATKY ?? Alles für den alltäglich­en Gebrauch ist in der Frauenschu­tzwohnung vorhanden.
FOTO: ANNA KRATKY Alles für den alltäglich­en Gebrauch ist in der Frauenschu­tzwohnung vorhanden.

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