Sterben in Gangneung, siegen in Peking
Claudia Pechstein läuft über 5000 Meter an Medaille vorbei und will bis 2022 weitermachen
- Der Plan war das eine. Der Plan war gut. Der Plan hieß Medaille. Beim Eisschnelllauf über die langen Distanzen bedeutet das: Rundenzeiten so akkurat abliefern, dass die Summe die gewünschte Gesamtzeit ergibt. Eine Medaillenzeit. So weit der Plan, sechs Runden lang schien er aufzugehen in Claudia Pechsteins siebtem olympischen 5000-Meter-Rennen. Was dann geschah, sahen alle, erklären könnte es niemand am Freitagabend im „Gangneung Oval“. Am wenigsten Claudia Pechstein selbst: „Ich kann leider noch nicht sagen, woran es lag, warum ich das Tempo nicht halten konnte.“Dafür, dass die Berlinerin Großes, ja Sporthistorisches vorgehabt hatte auf ihrer Paradestrecke, klang das recht gefasst. Mit 45 Jahren und 359 Tagen wollte sie als älteste Frau der Olympiageschichte eine Medaille in einer Einzeldisziplin holen. Ihr zehntes olympisches Edelmetall wäre das zudem gewesen. Da wird das „weshalb nicht?“marginal, entscheidend ist das „nicht“. In Pechstein’scher, jetzt doch weniger undramatischer Diktion: „Siegen oder sterben! Ich war heut’ eher in Richtung sterben unterwegs.“
„Ich schlage die Mädels noch“
Gesiegt hatte die erst 22-jährige Niederländerin Esmee Visser (6:50,23 Minuten; Bahnrekord), geboren 1996, da war Claudia Pechstein seit zwei Jahren Olympiasiegerin. 24 Jahre später fand sie sich letztlich abgeschlagen (7:05,43) auf Rang acht wieder, zu Bronze fehlten fast zwölf Sekunden, „Achte oder Vierte – das ist jetzt auch scheißegal. Medaille oder gar nichts!“Mit gar nichts aufhören. Nein, das wird nicht passieren. Am 22. Februar 2022 wird Claudia Pechstein 50, den runden Geburtstag könnte sie in Peking feiern. „Wenn ich bis dahin noch lebe, noch gesund bin und mich qualifiziere.“Würden Sie denn wollen, dreimal „Ja“vorausgesetzt? Das vierte, Claudia Pechsteins „Ja“, klingt entschlossen, kämpferisch. So fast, als sei das mit dem „Sterben“schon wieder Olympiaden weit weg. Und, nur zur Erinnerung: „Ich schlage die jüngeren Mädels ja noch. Warum sollte meine Zeit vorüber sein?“Also: „Ich laufe vier Jahre weiter, dann muss es nächstes Mal halt Gold werden.“
In Gangneung fehlte da doch einiges, namentlich in den Runden sieben und folgende. Lebensgefährte Matthias Große, vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) als Mentalcoach akkreditiert, machte sich diesbezüglich zum Analytiker/ Pressesprecher für die noch Ratlose: „Und in der sechsten Runde, als sie zurückgekommen ist, hat sie versucht, zu drücken, zu drücken, und so sah’s dann eben auch aus, dass dann kein Druck mehr kam. Das ist die Situation, das ist die Analyse. Wir haben verloren, das gehört zum Sport dazu. Also machen wir vier Jahre weiter.“
Zu vermuten steht, dass die – komplett anwesende – Spitze des DOSB zumindest diesen Teilaspekt des Abends als einen positiven verbucht hatte. „Natürlich ist es schade für sie“, sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann. „Ich bin mir sicher, sie hat wie immer im Leben alles gegeben. Wir hätten es ihr alle von Herzen gegönnt.“Dafür immerhin gibt es ja nun noch eine Gelegenheit.