Keine Suppe an Seollal
Es soll ja Menschen geben, die können mit so einem Jahreswechsel partout nichts anfangen. Boykottieren Miss Sophie und Butler James, haben Raclette-Allergie und finden Feuerwerk, aus Flaschen verballert, genauso suspekt wie Sekt, aus Kelchen geschlürft. Denen sei gesagt: Meidet Südkorea! Hier, liebe Jahreswechselmuffel, ist Neujahr der Feiertag schlechthin. Merkt nur kaum wer, weil alle weg sind. An Seollal lebt der Koreaner auf der Autobahn. Oder im Zugabteil. Oder er schafft es zu den Verwandten, deren Besuch an Seollal guter Brauch, ja verdammte Pflicht ist. Beim ältesten noch lebenden männlichen Familienoberhaupt kommt man traditionell zusammen. Seollal dauert. Drei Tage – 2018, im Jahr des Hundes, vom 16. bis 18. Februar. Drei Feiertage! Der ei- gentliche Neujahrstag fällt stets auf den zweiten Neumond nach der Wintersonnwende, auf den 16. diesmal folglich, auf gestern. „Saehae Bok Manhi Badeuseyo“begrüßt man sich da, am Vorabend schon wurden Haus und Hof gereinigt, Räucherund Bambusstäbchen gegen die bösen Geister entzündet, alle Familienmitglieder nahmen ein reinigendes Bad. Das Ahnengedenken bei reich gedeckter Tafel und die Verneigungszeremonie der Jüngeren vor Eltern und Großeltern prägen den Neujahrstag. Festtagsessen ist Tteokguk, eine Suppe aus Reiskuchen-Scheiben. Deren ovale Form steht für den Wunsch nach einem langen Leben und – Geldmünzen! – nach Wohlstand. Mit dem Verzehr der Suppe hofft man auf ein gutes neues Jahr und glaubt, der koreanischen Alterszählweise zufolge, dass man dank Tteokguk ein Jahr älter geworden ist. Insofern lief unser Seollal durchwachsen: Der Bus vom Langlaufstadion gesellte sich zum Stau diverser Familienoberhauptsbesuchsvölkerwanderungsströme. An Vermögen gebricht es uns chronisch, ganz gleich, ob es nun Euros sind oder Won. Und: Als wir ein Tässchen Reiskuchensuppe suchten spätabends nach Claudia Pechstein, war überall schon alles weg. Immerhin: jung geblieben! Und nur noch zehneinhalb Monate bis 2019. (lin)