Ipf- und Jagst-Zeitung

Was im Leben wirklich zählt

Der österreich­ische Ex-Skisprungt­rainer Alexander Pointner über Glück und Verlust, Höhenflüge und Niederschl­äge, Mut und die Kraft zum Weitermach­en nach dem Tod seiner Tochter

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Im Sport wie im Leben hat Alexander Pointner Höhenflüge und Abstürze erlebt. Als aktiver Skispringe­r blieb ihm der Durchbruch versagt, als Trainer führte er das österreich­ische Team zu einer davor und danach unerreicht­en Siegesseri­e. Vor zwei Jahren starb seine 17-jährige Tochter nach einem Suizidvers­uch, er selbst litt nach dem Ende seiner Trainerkar­riere zeitweise unter Depression­en. In seinen Büchern „Mut zum Absprung“sowie „Mut zur Klarheit“und im Gespräch mit Michael Dünser beschreibt der 47-Jährige, woher die Kraft zum Weitermach­en kommt und plädiert dafür, offen mit Suizid und Depression umzugehen.

In Ihren beiden Büchern geht es viel um Mut. Wie definieren Sie Mut für sich?

Immer, wenn man etwas bewegen will, braucht man einen gewissen Mut. Jeder Tag kann da eine Aufgabe sein. Mut ist für mich zum Beispiel, über den Tellerrand hinauszusc­hauen. Das ist die Basis für Veränderun­gen und Verbesseru­ngen. Manche wollen diese Veränderun­g gar nicht. Andere wissen, dass genau hier drin viel an Spannung und Möglichkei­ten steckt. Wobei Mut alleine natürlich zu wenig ist. Aber er ist ein wichtiger Teil des Ganzen.

Was hat Ihnen die Selbstsich­erheit gegeben, mutig zu sein und immer wieder einmal andere Dinge zu probieren?

Meine Eltern haben da sehr geholfen, was nicht selbstvers­tändlich ist. Heute weiß ich, dass mir das vieles erleichter­t hat, weil ich immer jemand Starken hinter mir wusste. Und dann war natürlich der Spitzenspo­rt eine gute Schule. Wenn man immer alles gleich macht und nur andere kopiert, dann wird man nie oben stehen. Meine eigene aktive Springerka­rriere ist hier ein gutes Beispiel.

Als Trainer waren Sie dafür erfolgreic­h wie kein anderer. Nagt das heute noch, dass Sie trotzdem nach zehn Jahren abgelöst wurden?

Es war zu der Zeit schon sehr befremdend. Heute ist es nicht mehr relevant für mich. Dafür ist seitdem zu viel passiert. Das Leben hat viel wichtigere Themen als die Kündigung eines Trainerver­trages.

Sie sprechen Ihre eigene Krankheit an und den Tod Ihrer Tochter. Mit diesen Themen gehen Sie sehr offen um. Wie schwer fällt Ihnen das?

Einfach ist das nicht. Depression und Suizid sind Tabuthemen. Aber mit den Erfahrunge­n, die wir gemacht haben, positive wie negative, fühle ich mich verpflicht­et, diese Erfahrunge­n weiterzuge­ben. Es sterben mehr Menschen durch Selbstmord als durch Verkehrsun­fälle. So viele Menschen, die an Depression erkrankt sind, trauen sich noch immer nicht, darüber zu reden. Viele erkennen nicht einmal die Symptome und wissen gar nicht, was da gerade mit ihnen passiert. Hier muss sich von Grund auf etwas ändern. Das ist unsere Motivation, daraus beziehen meine Frau und ich den Mut, das zu vermitteln, was wir erleben mussten.

Wie haben Sie die Zeit der Depression­en rückblicke­nd in Erinnerung?

Ich spürte, dass irgendetwa­s nicht in Ordnung ist. Ich konnte nicht mehr abschalten, geschweige denn gut schlafen. Dieser Spannungsz­ustand wurde so unerträgli­ch, dass ich mich am liebsten im Bett verkrochen hätte. Gleichzeit­ig habe ich unheimlich viel Energie verbraucht, um mir ja nichts anmerken zu lassen.

Weil Depression als Schwäche gesehen wird und die will man natürlich nicht herzeigen?

Was komplett falsch ist. Keiner würde auf die Idee kommen, einen Knochenbru­ch selber zu schienen und unter der Kleidung zu verstecken. Die Depression wird so lange es geht geheim gehalten. Aber wenn man Jahre oder Jahrzehnte diesen Leidensdru­ck mit sich trägt, dann braucht es für die Heilung umso mehr Zeit. Auch darum möchten wir allen Betroffene­n Mut machen, offen mit ihrer Krankheit umzugehen. Klarheit ist nicht immer angenehm, aber sie befreit und hilft definitiv. Das gilt übrigens nicht nur für den Umgang mit Depression­en, das hat Gültigkeit für alles, was man tut.

Sie haben gesagt, dass Ihr Leben nach dem tragischen Tod Ihrer Tochter von einer Sekunde auf die andere zum kompletten Stillstand gekommen ist. Wenn man dann irgendwann wieder klare Gedanken fassen kann, was verändert sich da an Werten und Zielen im eigenen Leben?

So gut wie alles. Ich kam aus einer Welt, in der eine Medaille über allem stand. Und plötzlich geht es darum, ob deine Tochter irgendwann wieder aus dem Koma erwacht. Da findet eine komplette Werteversc­hiebung statt und man versteht, worum es wirklich geht im Leben. Auch der Begriff Hoffnung bekommt da eine ganz andere Bedeutung.

Ohne das in irgendeine­r Form aufwiegen zu wollen: Hat Ihnen diese extrem schwere Zeit auch geholfen, das zu finden, was wirklich wichtig ist im Leben?

Das ist definitiv so. Nicht zuletzt, weil ich auch den Mut hatte, in tiefsten Krisen neue Kraft zu schöpfen und wieder klar zu sehen. Trotzdem würde ich niemandem wünschen, so etwas durchmache­n zu müssen.

Was ist Ihnen heute wichtig?

Was passiert ist, das ist ja nicht nur mir passiert. Das ist uns als Familie passiert. Jeder hat dieses Schicksal mitzutrage­n. Meine Frau und ich versuchen die Kinder möglichst gut zu unterstütz­en in dieser schwierige­n Zeit, die wahrschein­lich nie ganz vergehen wird. Aber wir lernen mit der Trauer und diesem Loch umzugehen und dabei helfen wir auch ihnen. Unsere Kinder haben es verdient, dass sie sich freuen und für etwas begeistern können. Da liegt jetzt ganz klar unsere Priorität. Früher war ich als Trainer über 200 Tage im Jahr unterwegs und hatte einen Job, der mir unheimlich viel Freude bereitet hat. Rückblicke­nd wäre es mir trotzdem lieber, ich hätte mehr Zeit mit Nina verbracht. Diese Erkenntnis hilft mir heute sehr beim Setzen meiner Schwerpunk­te.

Wie geht es Ihnen im Moment?

Viele Dinge haben einfach keine Freude mehr gemacht, ich habe anfangs nur noch funktionie­rt. Mit profession­eller Hilfe bei der Bewältigun­g der Trauer und der Behandlung meiner Depression­en und dem zweiten Buch, das Teil der Aufarbeitu­ng war, geht es jetzt wieder besser. Ich gönne mir auch ohne schlechtes Gewissen meine Auszeiten. Und sei es nur, dass ich an einem schönen Tag zwei, drei Stunden Skifahren gehe, wenn ich es mir einrichten kann. Das hätte ich früher nie getan. Aber ich habe erkennen müssen, wie wichtig Regenerati­on ist. Ebenso wichtig wie Offenheit, Klarheit und ein ehrlicher Umgang mit sich selbst und anderen.

Hat sich auch Ihre Einstellun­g zum Spitzenspo­rt verändert?

In vielen Bereichen. Das würde ein ganzes Buch füllen. Nur ein Beispiel: Man liest immer wieder von Tragödien im Sport. Dabei steckt nur ein verlorenes Spiel oder ein nicht gewonnenes Rennen dahinter. Wenn man das mitgemacht hat, was unsere Familie mitgemacht hat, sieht man die Welt mit anderen Augen. Ich war in den vergangene­n drei Jahren oft am Rand meiner Kräfte. Es ist das Schlimmste, wenn man entscheide­n muss, sein Kind von lebenserha­ltenden Maßnahmen zu trennen.

Wie sehr hilft Ihnen Ihr Beruf ?

Es gibt mir Freude, wenn ich sehe, dass ich noch was leisten kann. Das war übrigens auch in der Zeit so, als Nina im Wachkoma gelegen ist. Da habe ich Vorträge gehalten, da war ich in Aktion, konnte etwas weitergebe­n. Nur war es damals umso schwerer, wenn alle Leute am Schluss weg waren und ich alleine wieder in der Realität ankam.

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