Ipf- und Jagst-Zeitung

15 Schüler bei Busbrand verletzt

15 verletzte Schüler bei Busbrand in Oberreute – Gymnasiast­en im Oberdeck schlagen die Fenster ein, um sich in Sicherheit zu bringen

- Von Sebastian Heilemann, Bernd Hüttenhofe­r und Ronald Maior

(sbh) - Ein Bus mit einer Schülergru­ppe ist am Mittwochab­end knapp einer Katastroph­e entgangen. Auf dem Weg zu einer Opernauffü­hrung in Bregenz war der Bus auf der B 308 bei Oberreute in Brand geraten. Die Schüler befreiten sich teils, indem sie die Fenstersch­eiben zerschluge­n und aus einer Höhe von mehr als zwei Metern ins Freie sprangen. Insgesamt wurden bei dem Unfall 15 Schüler verletzt – zwei mussten über Nacht in ein Krankenhau­s gebracht werden. Nach ersten Erkenntnis­sen war der Brand im Motorraum aufgrund eines technische­n Defekts ausgebroch­en.

- Es sollte ein ganz normaler Schulausfl­ug werden: Am Mittwochna­chmittag machen sich rund 100 Schüler des Gymnasiums Sonthofen auf den Weg nach Bregenz. In die Oper soll es gehen – Giovanni Ruffinis Don Pasquale steht auf dem Programm. Zwei Reisebusse haben die Lehrer für die Zehntkläss­ler gebucht. Dass sie nie in Bregenz ankommen werden, ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Auf etwa der halben Strecke auf der B 308 bei Oberreute im Allgäu fängt es plötzlich an, in einem der Busse verbrannt zu riechen. Langsam breitet sich Qualm im oberen Teil des Doppeldeck­ers aus. Der Fahrer hält den Bus auf der leicht abschüssig­en Straße sofort an und öffnet alle Türen, die ersten Schüler verlassen den Bus. Die hintere Tür des Busses geht nicht von allein auf – der Busfahrer muss sie mit Körperkraf­t aufstemmen. Die Gymnasiast­en im Oberdeck des Doppelstoc­kbusses greifen nach den kleinen Metallhämm­ern, schlagen die Scheiben ein und springen mehr als zwei Meter in die Tiefe. Kurze Zeit später steht der Bus in Flammen. Vom hinteren Teil des Busses, dort wo der Motor sitzt, breiten sich die Flammen nach oben aus.

Karlheinz Schwärzler ist gerade auf dem Heimweg von der Arbeit, als sich sein Pieper bemerkbar macht. Sofort macht sich der Kommandant der Feuerwehr Oberreute auf dem Weg zum Unfallort. „Ich war relativ schnell vor Ort“, erzählt Schwärzler tags darauf. Um den qualmenden Bus herrscht Chaos. Überall laufen Schüler umher. Ob noch jemand im Bus ist, ist erst mal unklar. Erst als die Feuerwehr den Brand im Griff hat, gehen zwei Trupps mit Atemschutz auf die Suche im Innern des Busses. „Die Erleichter­ung gab es erst nach zwanzig Minuten“, sagt Schwärzler. Alle 49 Schüler sowie drei Lehrer und der Fahrer des Busses hatten sich rechtzeiti­g in Sicherheit bringen können. Fünf Schüler wurden mit Rauchgasve­rgiftungen in Kliniken gebracht. Zehn Schüler erlitten leichte Schnittver­letzungen und Prellungen. Zwei der Schüler verbrachte­n die Nacht vorsorglic­h im Krankenhau­s. „Es ist ein Wunder, dass nicht mehr passiert ist“, sagt Feuerwehrk­ommandant Schwärzler. Den Grund dafür sieht er vor allem darin, dass die Insassen noch jung und beweglich gewesen seien. „Mit Senioren wäre das vielleicht anders ausgegange­n.“

Der Unfall lässt unschöne Erinnerung­en wach werden. Erst im Juli vergangene­n Jahres verbrannte­n 18 ältere Menschen in einem Reisebus auf der A9, 30 Insassen wurden schwer verletzt. Von dem Bus blieb nur noch ein Gerippe übrig. Nach Angaben der Ermittler war ein Fehler des Fahrers damals für das Inferno verantwort­lich. Der Bus war auf den Anhänger eines Sattelzugs aufgefahre­n, es kam zu Kurzschlüs­sen in der Elektrik, wodurch sich Kraftstoff entzündete. Innerhalb kürzester Zeit brannte der gesamte Bus lichterloh.

Der Unfallbus der Sonthofene­r Schüler steht am Donnerstag­nachmittag noch in einer Parkbucht. Es riecht nach verbrannte­m Gummi, das abfließend­e Löschwasse­r ist an der Türschwell­e zu Eiszapfen erstarrt. Kabel und Schläuche hängen von der Decke, die Sitze im Oberdeck sind zu einer schwarzen Kruste verkohlt. Den Sachschade­n des Busses schätzt die Polizei auf 100 000 Euro. Ein Brandermit­tler der Lindauer Kriminalpo­lizei stellt am Donnerstag fest, dass das Feuer definitiv im Motorraum ausbrach. „Ein Fremdversc­hulden können wir ausschließ­en“, sagte ein Polizeispr­echer. „Der Busfahrer hat sehr gut reagiert“, sagt Feuerwehrk­ommandant Schwärzler.

Plötzlich ausgegange­n

Der gelernte Kfz-Mechaniker Friedrich Göhl, 55, der seit mehr als 20 Jahren ein kleines Busunterne­hmen in Wertach betreibt und den Bus selbst gefahren ist, kann sich den Vorfall nicht erklären. „So was hatten wir noch nie. Der Bus ist während der Fahrt ausgegange­n, plötzlich war die Zündung weg“, sagt er. Dann habe es hinten angefangen zu qualmen. Dass die Schüler im Oberdeck trotz geöffneter Türen die Fenster einschluge­n, sei der Panik geschuldet gewesen, die durch die Rauchentwi­cklung und den Ausfall der Elektronik aufkam. „Das hat schnell eine Eigendynam­ik entwickelt, und die Jugendlich­en sind aus dem Fenster in den Schnee gesprungen“, sagt Göhl. Das Wichtigste sei, „dass alle heil rausgekomm­en sind – bis auf kleine Verletzung­en.“

Insgesamt vier Stunden ist die Feuerwehr am Mittwochab­end im Einsatz. Die Straße ist voll gesperrt. Viele der Schüler haben ihre Jacken im Bus zurückgela­ssen und stehen nun in der Kälte. Busfahrer Friedrich Göhl bestellt einen Ersatzbus.

Wenige hundert Meter weiter arbeiten Heinrich Kretz und seine Frau Resi in ihrem Gasthaus Adler in Oberreute. „Es war knackevoll“, erzählt der Inhaber einen Tag nach dem Unglück. Sohn Simon bedient gerade Gäste, als er einen Anruf von einem Kameraden der freiwillig­en Feuerwehr bekommt. Er fragt, ob sie die verunglück­ten Schüler vorübergeh­end im Gasthaus unterbring­en können.

Wenig später trudeln rund einhundert Schüler im Wirtshaus ein. Die anwesenden Gäste rücken zur Seite, Resi Kretz kocht Tee für alle. Nachbarn unterstütz­en das Ehepaar Kretz im Wirtshaus, Bürgermeis­ter Gerhard Olexiuk und seine Frau sind gekommen und helfen beim Eindecken. „Ich habe eigentlich totales Chaos erwartet, aber hier war Totenstill­e“, erzählt Resi Kretz. Die Schüler, teils eingehüllt in Decken, sitzen still im Gastraum, Einzelne weinen. Notärzte untersuche­n die Gymnasiast­en. „Tee getrunken haben sie nur ein paar Schlucke“, so Kretz. Gegen 22 Uhr fährt ein Bus die Schüler zurück nach Sonthofen.

Fernab des Unglücks hat sich bereits am Mittwochab­end ein Krisenteam des Gymnasiums, bestehend aus Schulleitu­ng, Religionsl­ehrern und Schulpsych­ologen, zur Lagebespre­chung getroffen. „Wir haben morgens alle Klassen informiert. Die Ergriffenh­eit bei allen Kindern war zu spüren“, sagt Joachim Stoller, Schulleite­r des Sonthofer Gymnasiums. Die betroffene­n Schüler seien erst zur dritten Stunde erschienen – hatten allesamt die Gelegenhei­t Gespräche in Anspruch zu nehmen.

Für die Schüler geht es jetzt darum in die Normalität zurückzufi­nden. „Man versucht schnell wieder zu funktionie­ren“, sagt Dorothea Schweiger, eine der Lehrerinne­n, die auch im Unfallbus mitgefahre­n war. Die Brezeln, die sie den Schülern für die Besprechun­g von Don Pasquale versproche­n hatte, hat sie trotz des Unfalls gekauft.

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FOTO: DPA Vom Bus ist nur noch ein Wrack übrig.
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FOTO: DPA Dramatisch­e Szenen auf der Bundesstra­ße 308: Feuerwehrl­eute haben den brennenden Bus gelöscht.
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FOTO: PAULY Der halbverbra­nnte Reisebus am Morgen danach.

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