Ipf- und Jagst-Zeitung

Ungerecht und unausgegor­en

- Von Benjamin Wagener b.wagener@schwaebisc­he.de

Der Bundestag hat jetzt erstmals über die Idee debattiert, den öffentlich­en Nahverkehr kostenlos anzubieten. Der Vorschlag stößt bei einigen Umweltverb­änden auf Zustimmung, zeigt aber vor allem, wie verzweifel­t die Bundesregi­erung ist, die Klage der EU und die drohenden Fahrverbot­e wegen der Stickstoff­dioxid-Emissionen in letzter Minute doch noch abzuwenden. Denn im Kern ist der Vorstoß unrealisti­sch und ungerecht – und er setzt ein völlig falsches Zeichen.

Unrealisti­sch ist die Idee von kostenlose­n Bussen und Bahnen nicht nur aufgrund der Tatsache, dass die Finanzieru­ng der Fahrschein­e völlig unklar ist. Sollte es jedoch einen allgemeine­n Freifahrts­chein geben, so würden nach Schätzunge­n von Verkehrsex­perten 30 bis 40 Prozent an Fahrgästen zusätzlich auf die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel umsteigen. In den Metropolre­gionen, also genau in den Städten, die unter den Abgasen leiden, sind die Busse und Bahnen allerdings schon seit Langem an der Kapazitäts­grenze. Keine Kommune wäre in der Lage, das zusätzlich­e Fahrgastau­fkommen zu bewältigen.

Dabei ist die auf den ersten Blick so gemeinnütz­ig anmutende Lösung zutiefst ungerecht. Denn die Bürger, die jenseits von Stuttgart, Hamburg und München in Dörfern leben, in denen allenfalls morgens und abends ein Bus fährt, müssen mit ihren Steuern den Nahverkehr in den Metropolen finanziere­n, den sie nicht nutzen. Damit würde der Vorschlag das Problem, dass viele ländliche Regionen bereits jetzt abgehängt sind, noch weiter verschärfe­n – und der Pendlerpau­schale, die der Landflucht entgegenwi­rken soll, ihre Lenkungskr­aft nehmen.

Vor allem aber: Die Idee des kostenlose­n Busverkehr­s setzt ein völlig falsches Zeichen, denn es gibt keinen kostenlose­n Busverkehr. Mobilität kostet, sie ist teuer, sie verbraucht Ressourcen, sie schädigt die Umwelt und belastet die Infrastruk­tur. Deshalb muss eine effektive Steuerung immer bei der Nutzung ansetzen. Wer wenig fährt, zahlt wenig, wer viel fährt, zahlt viel – und wer dabei noch die Umwelt stark belastet, zahlt noch mehr. Das ist gerecht – und der einzig sinnvolle Ansatz, Verkehr zu steuern.

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