Kostenloser Nahverkehr als Schnellschuss kritisiert
Bundestag debattiert Vorschlag der Regierung zu besserer Luft in den Städten
– Kostenlos und ohne Kontrolle mit Bus und Bahn fahren – mit dieser schönen Vorstellung hat die Bundesregierung eine große Debatte ausgelöst. Die Idee: Mehr Leute lassen ihre Autos stehen, fahren mit dem öffentlichen Nahverkehr und die Luft wird sauberer. Doch im Bundestag hat die Regierung dafür scharfe Kritik einstecken müssen. Zahlreiche Abgeordnete sehen den Vorschlag als unüberlegten Schnellschuss, um Fahrverbote zu verhindern.
Anlass für die Diskussion im Bundestag war ein Brief, den die Bundesregierung an die EU-Umweltkommission geschickt hatte. Darin schlug sie Maßnahmen vor, um die Zahl der Autos und damit die Schadstoffe in der Luft zu verringern. Einer der Vorschläge beinhaltete kostenlosen öffentlichen Nahverkehr.
„Kostenloser ÖPNV ist nicht kostenlos“, sagte FDP-Verkehrspolitiker Oliver Luksic. Er wirft der Bundesregierung vor, die Vorschläge vorher nicht abgestimmt und besprochen zu haben. Die Überlegungen der Regierung für einen kostenlosen Nahverkehr für saubere Luft seien unrealistisch und nicht mit betroffenen Kommunen abgestimmt. „Ich hätte mehr erwartet, als eine solche Verzweiflungstat“, sagte Luksic.
Die Luftqualität in Deutschland muss sich verbessern, sonst könnte die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. In letzter Konsequenz sind auch Fahrverbote möglich. Für Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, ist der Vorschlag eines kostenlosen Nahverkehrs lediglich ein „Blendmanöver“der Bundesregierung: „In die Welt gesetzt und keine Gedanken gemacht, wie das umgesetzt werden kann.“
Bei den Rednern aller Fraktionen im Bundestag waren die Kosten eines solchen Projekts Hauptkritikpunkt. Bei der Frage, ob und wie ein solcher Vorschlag finanziert werden könnte, spalten sich aber die Geister. Linke und Grüne schlagen vor, die Subventionen für Diesel zugunsten des kostenlosen Nahverkehrs abzuschaffen. Linke-Verkehrspolitikerin Sabine Leidig fordert eine Sonderabgabe der Autoindustrie für saubere Luft von jeweils vier Milliarden Euro über fünf Jahre.
Michael Donth (CDU/CSU) aus Reutlingen hält ein solches Projekt grundsätzlich nicht für finanzierbar: „Das ist nichts anderes als Utopie.“Die Bundesregierung hat Reutlingen neben Herrenberg, Mannheim, Bonn und Essen als eine der Modellstädte für kostenlosen Nahverkehr vorgeschlagen. Donth versteht den Brief jedoch nicht als Vorschlag für ein grundsätzlich kostenfreies ÖPNVNetz, sondern als Anregung, innovative Konzepte zu entwickeln.
Im Bundestag waren sich die Abgeordneten uneinig darüber, ob eine solche Maßnahme unabhängig von den Kosten überhaupt erfolgreich sein würde. Daniela Kluckert von der FDP bezweifelt, dass ein gutverdienender Autofahrer mit Tiefgaragenplatz morgens in eine überfüllte UBahn oder S-Bahn steigen würde, nur weil er die 80 Euro für ein Monatsticket nicht zahlen muss. Dieser Meinung ist auch AfD-Abgeordneter Frank Magnitz: „Man kann Bürger nicht zu einem Verkehrsmittel zwingen.“
Einig sind sich die Politiker aber über die drohenden Fahrverbote: Die seien keine Lösung. „Der Autofahrer darf nicht bestraft werden, weil die Industrie und die Bundesregierung nicht handeln“, sagt Luksic. Rentner und Handwerker seien beispielsweise auf die Fahrzeuge angewiesen, hieß es dazu im Bundestag. Nicht zuletzt, merkte Stefan Gelbhaar (Grüne) an: Wo im ländlichen Raum nur dreimal am Tag ein Bus fährt, nutzt auch kostenloser Nahverkehr nichts.