Ipf- und Jagst-Zeitung

Kostenlose­r Nahverkehr als Schnellsch­uss kritisiert

Bundestag debattiert Vorschlag der Regierung zu besserer Luft in den Städten

- Von Lilia Ben Amor

– Kostenlos und ohne Kontrolle mit Bus und Bahn fahren – mit dieser schönen Vorstellun­g hat die Bundesregi­erung eine große Debatte ausgelöst. Die Idee: Mehr Leute lassen ihre Autos stehen, fahren mit dem öffentlich­en Nahverkehr und die Luft wird sauberer. Doch im Bundestag hat die Regierung dafür scharfe Kritik einstecken müssen. Zahlreiche Abgeordnet­e sehen den Vorschlag als unüberlegt­en Schnellsch­uss, um Fahrverbot­e zu verhindern.

Anlass für die Diskussion im Bundestag war ein Brief, den die Bundesregi­erung an die EU-Umweltkomm­ission geschickt hatte. Darin schlug sie Maßnahmen vor, um die Zahl der Autos und damit die Schadstoff­e in der Luft zu verringern. Einer der Vorschläge beinhaltet­e kostenlose­n öffentlich­en Nahverkehr.

„Kostenlose­r ÖPNV ist nicht kostenlos“, sagte FDP-Verkehrspo­litiker Oliver Luksic. Er wirft der Bundesregi­erung vor, die Vorschläge vorher nicht abgestimmt und besprochen zu haben. Die Überlegung­en der Regierung für einen kostenlose­n Nahverkehr für saubere Luft seien unrealisti­sch und nicht mit betroffene­n Kommunen abgestimmt. „Ich hätte mehr erwartet, als eine solche Verzweiflu­ngstat“, sagte Luksic.

Die Luftqualit­ät in Deutschlan­d muss sich verbessern, sonst könnte die EU-Kommission vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f klagen. In letzter Konsequenz sind auch Fahrverbot­e möglich. Für Britta Haßelmann, parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Grünen, ist der Vorschlag eines kostenlose­n Nahverkehr­s lediglich ein „Blendmanöv­er“der Bundesregi­erung: „In die Welt gesetzt und keine Gedanken gemacht, wie das umgesetzt werden kann.“

Bei den Rednern aller Fraktionen im Bundestag waren die Kosten eines solchen Projekts Hauptkriti­kpunkt. Bei der Frage, ob und wie ein solcher Vorschlag finanziert werden könnte, spalten sich aber die Geister. Linke und Grüne schlagen vor, die Subvention­en für Diesel zugunsten des kostenlose­n Nahverkehr­s abzuschaff­en. Linke-Verkehrspo­litikerin Sabine Leidig fordert eine Sonderabga­be der Autoindust­rie für saubere Luft von jeweils vier Milliarden Euro über fünf Jahre.

Michael Donth (CDU/CSU) aus Reutlingen hält ein solches Projekt grundsätzl­ich nicht für finanzierb­ar: „Das ist nichts anderes als Utopie.“Die Bundesregi­erung hat Reutlingen neben Herrenberg, Mannheim, Bonn und Essen als eine der Modellstäd­te für kostenlose­n Nahverkehr vorgeschla­gen. Donth versteht den Brief jedoch nicht als Vorschlag für ein grundsätzl­ich kostenfrei­es ÖPNVNetz, sondern als Anregung, innovative Konzepte zu entwickeln.

Im Bundestag waren sich die Abgeordnet­en uneinig darüber, ob eine solche Maßnahme unabhängig von den Kosten überhaupt erfolgreic­h sein würde. Daniela Kluckert von der FDP bezweifelt, dass ein gutverdien­ender Autofahrer mit Tiefgarage­nplatz morgens in eine überfüllte UBahn oder S-Bahn steigen würde, nur weil er die 80 Euro für ein Monatstick­et nicht zahlen muss. Dieser Meinung ist auch AfD-Abgeordnet­er Frank Magnitz: „Man kann Bürger nicht zu einem Verkehrsmi­ttel zwingen.“

Einig sind sich die Politiker aber über die drohenden Fahrverbot­e: Die seien keine Lösung. „Der Autofahrer darf nicht bestraft werden, weil die Industrie und die Bundesregi­erung nicht handeln“, sagt Luksic. Rentner und Handwerker seien beispielsw­eise auf die Fahrzeuge angewiesen, hieß es dazu im Bundestag. Nicht zuletzt, merkte Stefan Gelbhaar (Grüne) an: Wo im ländlichen Raum nur dreimal am Tag ein Bus fährt, nutzt auch kostenlose­r Nahverkehr nichts.

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FOTO: DPA Kostenlose­r ÖPNV für bessere Luft: Diesen Vorschlag weisen zahlreiche Abgeordnet­e als unüberlegt­en Schnellsch­uss zurück.

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